Transparentes Spitzenkleid mit blauen Paillettten-Schulterpolstern, von Givenchy, darüber ein Strickkleid von Missoni
Die ideale Frau hat ein ansprechendes Äußeres, man guckt sich gern fest und nicht gern weh an ihr. Deswegen sollen keine spitzen Knochen sein und nicht zu viel Muskelhart, und ehe sie sich auszieht, wäre man für ein wenig Liebreiz dankbar, ein paar Rüschen, Puffärmel, florale Drucke, niedlich eben. So wie Sienna Miller, als sie noch Boho-Chic trug, oder eines dieser Berlin-Mitte-Mädchen, denen man Bionade ausgeben und die Ponyfransen aus den Manga-Augen pusten möchte. Man hat ohnehin schon vor so vielem Angst, da will man nicht auch noch vor Frauen Angst haben. Die ideale Frau ist eine zum Nichtangsthabenmüssen. Und so entsetzlich öde, dass man klaglos ins Büro geht, um sie ein paar Stunden lang nicht anschauen zu müssen.
Darum ist man so erleichtert, wenn sich die Modemacher alle paar Jahre, wahrscheinlich aus schierer Langeweile, auf die Schulter besinnen. Nicht auf
die Rocklänge, den Faltenfall, den Ausschnitt, sondern auf die Schulter. Normalerweise soll sie nicht weiter auffallen und sich mit ihrem Sosein bescheiden. Eine Frau darf tief sein, aber nicht breit, breit ist ein Mann selbst, eine Frau soll Knautschzonen, aber keinesfalls etwas Eckiges haben, man soll ihr nicht ausweichen müssen. Dieses Jahr aber sollen die Schultern etwas hermachen. Praktisch jeder Vorne-dran-Modemacher gibt seinen Jacken, Kleidern, Tops noch etwas on top mit: Pagodendach-Aufschwünge, Origami-Konstruktionen, Epauletten-Verbreiterungen. Niemand käme auf die Idee, sich an solchen Schul-tern ausheulen zu wollen. Das macht man bei einem General auch nicht. »Power Dressing« nennen die Mode-Semantiker diesen Stil und erinnern an Maggie Thatcher, die in den Achtzigerjahren erst wirklich zur eisernen Lady wurde, nachdem sie den Landesmutter-Look hinter sich und ihr Volumen mit Schulterpolstern vergrößert hatte. Wer mit breitem Rücken gegen die Welt antritt, weicht nicht schnell zurück, erspart sich entmündigende Gönnerhaftigkeit und lässt gar nicht erst das Missverständ-nis aufkommen, auf eine helfende Hand angewiesen zu sein. Vielleicht ist jetzt wieder eine Zeit angebrochen, in der Frauen Stärke signalisieren wollen, statt immerzu so casual zu sein, dass man ihre Smartness nicht mehr bemerkt. Vielleicht haben sie auch nur den ewigen Sex and the City-Look über, samt der Namenshalskettchen und 20-Zentimeter-Heels, mit denen man bloß trippeln, aber nie vorankommen konnte. Vielleicht kommt es nicht mehr darauf an, sexy zu wirken, sondern imposant. Eines steht fest: Wer sich neue Schultern anschafft, ist von jetzt auf gleich unübersehbar – auf diese gute alte männliche Weise, die das Gegenüber wortlos zu ein wenig Bedenkzeit ermuntert, ehe es die Kontaktaufnahme wagt.
Wieder ins Spiel gebracht haben die Schulter-Architekturen übrigens Roísín Murphy und Lady Gaga, zwei Exzentrikerinnen, an deren Benimmregeln man sich orientieren kann: Das richtige Verhalten Frauen gegenüber ist eingeschüch-terte Bewunderung; man spricht sie nicht an, sondern wartet, bis man angesprochen wird; wenn sie es nicht tut, ist man eben nicht interessant genug. Zur Not kann man sich ja bei einem dieser Mädchen in Bauernblüschen und Wickelröckchen ausheulen. Die sind vermutlich sogar das bessere Heiratsmaterial. Falls man Langeweile erträgt.
Noch spitzer als Balmain-Schultern: die Metall-Couture in William Kleins Film Qui êtes-vous Polly Maggoo? von 1966, den Peter Praschl allen ans Herz legt, die viel Spaß mit Mode haben wollen: als DVD-Doppelpack mit In & Out Of Fashion erhältlich unter www.arte-boutique.fr.
Markus Gaab (Fotos)