Sehnsucht

Der Reiz des Unerfüllten

Momentaufnahmen zu den wichtigsten Begriffen der Saison. Hier: Sehnsucht
Die Musik ist für mich die Geschichte einer verlorenen und wiedergefundenen Liebe. Dass diese Geschichte sehr eng mit Sehnsucht verbunden ist, wurde mir erst spät klar. Ich bin mit Musik aufgewachsen, sie war einfach immer da, in unserem Haus, in meinem Leben – ich habe mir nie viele Gedanken darüber gemacht. Als ich vor mehr als zwanzig Jahren mit meinem Vater Serge Gainsbourg das Lied Lemon Incest aufgenommen habe, war das ganz selbstverständlich.

Dann starb er 1991 und mit ihm auch meine Liebe zur Musik. Nicht weil mich die Erinnerung an ihn zu sehr geschmerzt hätte, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ich jemals wieder etwas mit Musik zu tun haben würde. Da war nur eine stille Sehnsucht, die immer mal wieder aufkeimte: ein eigenes Album zu machen.

Doch diese Sehnsucht machte mir Angst. Ich kann zwar Klavier spielen, aber nicht komponieren und keine Lieder schreiben – ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie ich mich ausdrücken sollte.

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Dann traf ich Nicolas Godin und JB Dunckel von Air und den Produzenten Nigel Godrich, der für Beck und Radiohead gearbeitet hat und den ich sehr bewundere. Auf einmal nahm mein sehnlichster Wunsch konkrete Formen an. Ich dachte: Ja, mit diesen Musikern könnte ich tatsächlich ein eigenes Album aufnehmen, irgendwann. Aber ich war sehr zögerlich. Die Jungs sagten einfach: »Geh ins Studio und mach es!« Sie hatten recht – es fühlte sich gut an. Umgeben zu sein von Menschen, denen ich traute, und umgeben von Musik. Beim Film, in einer Rolle, fühle ich mich oft nur wie ein Instrument. Das hier war mein eigenes Ding, danach hatte ich mich gesehnt.

Aber ich merkte auch, dass man für die Erfüllung eines Traumes hart arbeiten muss: Wir brauchten zehn Monate im Studio, bis die Aufregung aus meiner Stimme verschwand. Ich hatte Angst, war schüchtern und traute mich nicht. Jarvis Cocker hatte die Texte geschrieben und sang sie vor. Anfangs versuchte ich ständig, ihn zu imitieren.

Und noch etwas war völlig neu: Als Schauspielerin bin ich es gewohnt, Anweisungen zu bekommen. Ich konnte überhaupt nicht damit umgehen, plötzlich selbst der Regisseur zu sein. Also flehte ich Nigel an: »Sag mir bitte, was ich tun soll.« Er erwiderte nur: »Spinnst du? Das ist dein Album.« Jetzt weiß ich auch, warum ich die Schule so geliebt habe: Es war das beruhigende Gefühl zu wissen, was man zu tun hat.

Ich wollte es nie wahrhaben, aber ich bin keine treibende Kraft. Das fällt mir auch auf, wenn ich an all meine anderen Sehnsüchte denke. Ich wollte malen, war sogar ein Jahr auf einer Kunstschule. Oft ärgere ich mich, dass ich aufgehört habe, und ich weiß nicht, ob ich irgendwann den Mut aufbringe, wieder anzufangen. Ich möchte gern schreiben, bin mir aber nicht sicher, ob ich Talent dazu habe. Genauso geht es mir mit dem Regieführen. Irgendwie stehe ich mir immer selbst im Weg. Ich grüble und grüble, zweifle und zweifle.

Selbstkritik ist ja ganz schön, aber bei mir geht sie so weit, dass ich mich permanent in Frage stelle, unzufrieden bin und sie mich völlig lähmt. Ehrlich, ich hasse diese Seite an mir. Und jeden Tag versuche ich, dagegen anzukämpfen.

Darum bin ich jetzt so stolz, dass ich dieses Album überhaupt geschafft habe. Dass ich die Musik wiedergefunden habe. Und dass die Sehnsucht gestillt ist. Fürs Erste jedenfalls. Ob ich weiter Musik machen werde, weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall nur, wenn mir jemand dabei hilft.

Charlotte Gainsbourg ist Schauspielerin und Sängerin.