Verzückung

Die Zierde der Freude

Momentaufnahmen zu den wichtigsten Begriffen der Saison. Hier: Verzückung
Oh, wie einfallslos, wie langweilig!, werden Sie möglicherweise denken, wenn ausgerechnet ich Ihnen verrate, dass meine Vorstellung von Glück untrennbar mit Juwelen verbunden ist. Dass Frauen beim Anblick eines Diamanten in Verzückung geraten, gilt ja als Klischee schlechthin: Frauen warten demnach eigentlich nur darauf, irgendwann einen Mann kennenzulernen, der sie mit Juwelen überhäuft. Und je teurer das Schmuckstück ausfällt, desto wertvoller und begehrenswerter fühlen sie sich.

Die Faszination für Schmuck hatte ich schon als Kind. Um genau zu sein: mit vier Jahren. Schuld daran war meine Großmutter Sylvia Hennessy. Sie beeindruckte mich maßlos. Immer wenn ich sie sah, trug sie Schmuck. Sie gehörte zur Cognac-Dynastie und hatte Berge von Juwelen: für den Tag, für den Abend, immer genau passend. Zu einem grünen Kleid trug sie Smaragde, zu Blau wählte sie einen Türkis. Damals hatte ich keine Ahnung, wie teuer und kostbar Juwelen sind. Sie gehörten selbstverständlich zu meinem Leben. Daher rührt auch mein unbefangener Umgang mit Preziosen.

Die Patentante meines Vaters, Barbara Hutton, die Woolworth-Erbin, war eng mit meiner Großmutter befreundet. Sie schenkte meiner Mutter häufig Schmuck. Einmal nahm ich eine Schere und zerschnitt ihre Armbänder und Ketten. Als meine Mutter all das Gold und die Edelsteine auf dem Boden verstreut sah, schimpfte sie fürchterlich mit mir. Ich verstand ihre Aufregung nicht und erwiderte nur: »Was hast du? Ich wollte doch nur etwas viel Schöneres daraus machen.«

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Mit 18 wurde ich Karl Lagerfeld vorgestellt. Einer meiner Onkel, Gilles Dufour, arbeitete als Assistent für ihn. Lagerfeld fand mein Aussehen lustig, wir verstanden uns gut und er fragte mich, ob ich mich bei Chanel nicht um den Schmuck kümmern wolle. Ich war zu aufgeregt, um Nein zu sagen – und blieb 14 Jahre. Jeden Morgen, wenn ich ins Atelier kam, machte Karl eine kleine Zeichnung von mir, über die Jahre sind es Tausende geworden. Und mindestens genauso viele Schmuckstücke habe ich für ihn entworfen. Jede Saison eine Kollektion, passend – so wie ich es von meiner Großmutter gelernt habe – zu seiner Mode. Okay, nicht immer. Manchmal nur passend zu meiner Fantasie.

Nun, im Grunde bin ich nichts weiter als eine Märchentante. Ich liebe es, Geschichten zu erzählen. Andere schreiben Bücher, machen Filme oder stellen sich mit einem Pinsel an die Leinwand. In meinen Dichtereien spielt Schmuck die Hauptrolle. Mein kostbarstes Stück, das Collier Château hanté, erzählt von einem Vampir, der mit seiner schönen Verlobten in einem Spukschloss lebt. Ich erfinde Piraten auf Schatzsuche, die mysteriöse Liebe eines Sultans oder Paradiesgärten. Die Kette, das Armband sehen dann aus wie ein Seepferdchen, ein Schmetterling oder mal wie Maiglöckchen mit Blättern aus Smaragden und Blüten aus Diamanten und Perlen. Schon die erste Skizze, meist hingehuscht auf einem Post-it-Zettel, liebe ich genauso wie das fertige Stück. Natürlich nur, wenn es so wird, wie ich es mir vorgestellt habe.

Edelsteine wie Beryll, Morganit oder Aquamarin begeistern mich mehr als Diamanten. Am besten gefällt mir der Opal. Sicher wohnt Aladin aus Tausendundeiner Nacht in einem dieser schillernden Steine.

Seit sieben Jahren arbeite ich für Christian Dior. Zum Glück erlaubt man mir, maßlos zu sein. Ich habe nie verstanden, wie man einen einzelnen Diamanten in einer langweiligen Goldfassung verschwinden lassen kann. Wie soll einem Schmuck gefallen, wenn man ihn nicht bemerkt? Für mich gibt es nichts Schöneres, als verschwenderisch sein zu dürfen und aus 3000 Diamanten und Smaragden oder ebenso vielen orangegelben Saphiren nur eine Halskette anzufertigen. Ja. ich weiß, das ist elitär. Luxus soll Freude und keine Sorgen bereiten. Sein Gewissen kann man damit beruhigen, dass Juwelen für die Ewigkeit sind. Ein Kleid trägt man zehnmal, dann ist es aus der Mode – über einen wertvollen Ring freut sich noch Ihre Enkelin.

Victoire de Castellane entwirft Schmuck, unter anderem für Christian Dior.