"Wenn ich schreiben wollte, hätte ich es gemacht"

Einen Literaturnobelpreisträger zum Vater zu haben, ist nicht immer leicht gewesen für Helene Grass. Denn eigentlich interessiert sie sich viel mehr für Theater als für Bücher.

Frau Grass, hatten Sie je den Wunsch, Schriftstellerin zu werden?
Helene Grass: Nein, nie. Ich glaube auch nicht, dass ich es könnte.

Hat das auch mit dem Schatten zu tun, den ein Vater wirft, der Literatur-Nobelpreisträger ist?

Wenn ich das Bedürfnis gehabt hätte, schreiben zu wollen, hätte ich es sicher gemacht. Und dann wäre es mir wahrscheinlich auch egal, ob man mich mit ihm vergleicht. Aber die Frage stellte sich nie, ich hatte einfach andere Interessen.

Die Schauspielerei zum Beispiel.
Ja, das ging schon sehr früh los. Ich war im Kinderchor, und als wir den Rattenfänger von Hameln aufführten, habe ich gemerkt, wie viel Spaß mir das Spielen macht. Mit zwölf bin ich in die Theater AG unserer Schule eingetreten. Und je mehr ich spielte, desto größer wurde der Wunsch, daraus einen Beruf zu machen. Obwohl ich als Kind noch Hausfrau werden wollte.

Haben Ihre Eltern Sie unterstützt?

Es hieß immer: Du kannst alles ausprobieren, was dir wichtig ist. Aber mach eine Ausbildung. Darauf legte meine Mutter großen Wert. Sie wollte Architektin werden, durfte aber in der DDR nicht studieren und flüchtete deswegen in den Westen. Das hat sie sehr geprägt. Gleichzeitig versuchte sie mich zu ermutigen, nach der Schule doch erst mal zu verreisen, die Welt kennenzulernen und zu gucken, ob es noch etwas anders als die Schauspielerei geben könnte. Das hat sie bei mir aber nicht durchsetzen können: Ich fing sofort nach dem Abitur an der Otto-Falckenberg-Schule in München an.

Und Ihr Vater?

Als ich mit 17 an der Schule die Antigone spielte, war auch er restlos überzeugt. Das ist jetzt bald zwanzig Jahre her, aber damit kommt er mir immer noch. Heute kann ich meinen Vater am meisten damit beeindrucken, wenn ich mal wieder im Radio Kindergeschichten für die Sendung Ohrenbär lese.

Seit zwei Jahren spielen Sie nun in der ZDF-Fernsehserie Stubbe – Von Fall zu Fall.
Ich bin ein Familienmensch und es gefällt mir, auch im Beruf immer wieder in eine vertraute Umgebung zurückzukehren. Und Stubbe ist eine sehr, sehr angenehme Familie. Wir drehen ja nur drei Folgen pro Jahr, da bleibt mir noch genügend Zeit für anderes. Demnächst spiele ich wieder am Hamburger Schauspielhaus, ich mache Lesungen, Hörbücher oder musikalische Abende mit meinem Mann, der Dirigent ist. Wahrscheinlich unnötig zu fragen, aber welche Rolle spielt die Literatur in Ihrem Leben?
Nur weil ich ein Buch auf dem Nachttisch liegen habe, bin ich der Literatur nicht mehr verbunden als die meisten Schauspieler. Sie ist schließlich die Basis unserer Arbeit.

Nun hat aber nicht jeder Schauspieler einen berühmten Schriftsteller zum Vater.

Ich lese gern und viel. Immer schon. Doch das hält sich in normalen Grenzen. Um mich der Literatur intellektuell zu nähern, fehlt mir das Hintergrundwissen. Ich habe nie eine Uni von innen gesehen.

Meistgelesen diese Woche:

Hat Ihr Vater Ihnen nicht ein paar Lese-empfehlungen gegeben?
Mehr als er haben mich in diesen Dingen meine Mutter und meine Tante geprägt. Sie war Lektorin in einem Kinderbuchverlag und hat uns mit den neuesten Geschichten versorgt, die noch gar nicht veröffentlicht waren.

Ihre Lieblingsbücher als Kind?
Die Kinder von Bullerbü und Das doppelte Lottchen. Ich wäre gern ein Zwilling gewesen.

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Helene Grass, 35, ist Schauspielerin und die Tochter des Schriftstellers Günter Grass. 2009 spielte sie u.a. am Thalia Theater in Hamburg und in der TV-Serie »Stubbe«.

und Alexandra Kinga Fekete