Der Klang der Straße: Pfennigabsatz auf Asphalt. Pumps von Manolo Blahnik, gesehen bei Marion Heinrich, München.
SZ-Magazin: Hallo, Herr Blahnik, wie ist das Wetter bei Ihnen in London?
Manolo Blahnik: Sehr heiß. 28 Grad, das ist eine Seltenheit hier.
Was für Schuhe tragen Sie in der englischen Hitze?
Sie sind hellbeige, rahmengenäht, helle Schnürsenkel. Als Junge war ich in Natalie Wood verliebt. Und natürlich in James Dean, im Film … denn sie wissen nicht, was sie tun. Die Schuhe, die ich heute anhabe, erinnern mich an den Film. Zu den Schuhen trage ich gestreifte Baumwollsocken und einen karierten Anzug im Prince-of-Wales-Stil. Dünnes Leinen, er wurde in Mailand für mich angefertigt.
Laufen Sie manchmal durch die Straßen von London?
Aber sicher! Jeden Morgen ins Büro, eine Meile. Das ist mein Sport. Und ich schwimme. Aber in London zu schwimmen ist nicht einfach, zu viele Leute. Und den Chlorgeruch kann ich auch kaum aushalten.
Was für Schuhe empfehlen Sie einer Frau für längere Wege?
Keine flachen jedenfalls, die sind total unbequem. Ein kleiner Absatz muss sein. Und ich finde Woodstocks toll. Nein, so heißen die nicht. Sie wissen schon, diese deutschen Schuhe, die die Hippies trugen. Die Firma verdient damit ein Vermögen.
Birkenstock!
Good Lord, natürlich, nicht Woodstock – Birkenstock! Man muss natürlich etwas Leichtes dazu tragen, ein Fähnchen. Ich mag die Mode gerade gar nicht. Alles langweilig. Trends sind albern. Ich sehe vielleicht ein, zwei aufregende Kleider im Jahr.
Vor mir liegt Ihre Zeichnung einer Sandale aus dem Jahr 1971, der Cherry Shoe. Der könnte auch dieses Jahr im Schuhregal stehen.
Oh, das ist einer meiner absoluten Lieblingsentwürfe. Damals war ich verrückt nach Kirschen. Ich habe ihn für Ossie Clark entworfen, ein toller Designer. Er hat mir gesagt, die Kleider sind leicht, aus Chiffon, mit roten Kreisen darauf, erfinde einen Schuh, der dazu passt. Ich wusste sofort, was zu tun war.
Gibt es ein Minimum an Schuh?
Der Fuß muss angezogen sein und sich im Schuh aufgehoben fühlen. Das geht nur, wenn etwas Schuh da und sehr gut geschnitten ist. Vor allem, wenn der Fuß nicht perfekt ist. Schöne Füße sind selten.
Was ist ein schöner Fuß für Sie?
Da können Sie sich jede griechische Statue angucken. Leider kommt die Wirklichkeit selten mit. Frauen auf Inseln haben oft schöne Füße. Sie laufen ständig barfuß durch den Sand und baden im Meer. Auch Kinder und junge Leute am Strand haben schöne Füße. Ich muss nicht sagen, dass der Fuß in einer Sandale extrem gut gepflegt sein muss, oder? In den Städten scheinen die Leute das zu vergessen. Ihre Füße sind staubig und trocken – das geht natürlich gar nicht.
Wie stehen Sie zu Schläppchen in der Stadt?
Mir ist heute alles viel zu einfach, zu vulgär. Zu meinen Schülern am Royal College of Art sage ich immer: Guckt euch die wunderbaren Charles-Eames-Stühle an. California Style. Und übertragt das auf eure Schuhe.
Christian Louboutin, der andere große Schuhdesigner, sagt, Sie seien der Meister der Sandale.
Oh! Ich finde es immer noch seltsam, wenn über mich gesprochen wird. Wenn ich in New York ins Taxi steige, sagen Leute, ach, Sie sind der, der die Schuhe für Sex and the City macht. Ich finde das etwas aufdringlich.
Seit Sex and the City heißen Ihre Schuhe Manolos und sind in der öffentlichen Wahrnehmung identisch mit Stilettos.
Ich hasse das Wort Stiletto. Das klingt wie eine Waffe, mit der man sich in Neapel absticht.
Aber es sind doch die hohen Schuhe, die es Ihnen angetan haben, oder?
Soll das ein Witz sein? Ich liebe flache Schuhe. Ich finde allerdings, dass die Frauen heute in flachen Schuhen oft wie Soldaten laufen, bumm, bumm. Das kommt von den schauderhaften Plateauschuhen. Ein bisschen sinnlich sollte der Gang einer Frau schon sein. In den Fünfzigerjahren hatten die Mädchen tagsüber flache Schuhe an und abends: Pumps. Diese Regeln existieren nicht mehr. Die Mädchen damals konnten auch in flachen Schuhen laufen. Denken Sie nur an Audrey Hepburn! Sie wissen hoffentlich, wer das ist.
Aber sicher.
Na ja. Neulich wurde ich in einem Interview gefragt, welche Frau ich für die Ikone des 20. Jahrhunderts halte. Ich habe geantwortet: Julie Christie. Die Journalistin kannte sie nicht. Können Sie sich das vorstellen?
»Höher als 11 Zentimeter ist vulgär.«
Manolo Blahnik, geboren 1942 auf der kanarischen Insel La Palma, wuchs auf einer Bananenplantage auf. Wenn seine Mutter nach Paris und Madrid fuhr, um Kleider zu kaufen, nahm sie ihn mit. Er studierte in Genf Jura, später Kunst in Paris. Als Schuhmacher ist er Autodidakt. Der erste große Auftritt seiner Schuhe: Bianca Jaggers Geburtstag 1977 im »Studio 54«, New York. (Foto: Michael Roberts)
Welches Geräusch müssen Schuhe auf der Straße machen?
Klack-klack-klack. Das können Sie sich in fast jedem Sophia-Loren-Film anhören. Oder bei Pedro Almodóvar. Ich liebe dieses Geräusch. Ich konnte immer hören, wo meine Mutter im Haus gerade herumlief. Klack-klack-klack. Oder wenn man in einer Bar sitzt und hört dieses Klack-klack-Klack – das ist so unfassbar sexy.
Zu welchem Anlass wären High Heels nicht angebracht?
Auf einer Gartenparty sind High Heels keine gute Idee. Im Juli vor zwei Jahren war ich auf der Hochzeit von Kate Moss. Die Damen versanken mit ihren Absätzen im Erdboden. Und niemand sollte versuchen, mit High Heels größer zu erscheinen. Eine kleine Frau sollte ihre Zierlichkeit mit flachen Schuhen unterstreichen und eine große Frau ihre Größe mit hohen. Ich liebe Walküren. Große blonde Frauen wie Uma Thurman, in High Heels.
Gibt es ein Alter, in dem hohe Schuhe nicht mehr gehen?
Meine Mutter hat hohe Schuhe getragen, bis sie 98 war. Nicht so hoch, wie die jungen Leute heute sie tragen. Diese jungen Leute auf ihren Plateauschuhen! Ich verstehe das nicht. Im Krieg haben sich die Frauen Holz oder Kork unter die Füße geschnallt, weil nichts anderes da war. Aber heute? Plateauschuhe gehören auf den Fischmarkt in Palermo und nicht auf den Abiturball.
Zurzeit werden die Schuhe immer höher. Wann ist die Grenze erreicht?
Wenn die Mädchen umfallen und sich umbringen. Bei mir ist kein Schuh höher als elf Zentimeter. Höher ist vulgär.
Probieren Sie Ihre Schuhe auch selbst aus?
Ich stehe nicht drauf, Frauensachen zu tragen, wenn Sie das meinen. Aber um perfekte Schuhe anzufertigen, musste ich welche anziehen. Und ich bin nah rangekommen an den perfekten Schuh, im Lauf von vierzig Jahren.
Wie viele Paar Schuhe haben Sie entworfen, alles in allem?
Das weiß ich nicht. Interessiert mich auch nicht. So um die 30 000.
Stimmt es, dass Sie in Ihrem Wohnort Bath das Nachbarhaus gekauft haben, um Ihre Schuhe unterzubringen?
Mein Gott! Tausende Schuhe in Naphthalin, gegen die Motten. Ein schrecklicher Geruch.
Was war das extravaganteste Material, das Sie für einen Schuh benutzt haben?
Das ist lange her: Der Schuh war für einen Freund von Paloma Picasso und ganz und gar aus Gold. Das würde ich niemandem empfehlen, es kostet ein Vermögen. Heute finde ich das obszön. Extravaganz ist so von gestern.
Sie fertigen jeden Prototypen selbst an. Wie lang dauert das?
Das zieht sich über sechs, sieben Monate, wenn man gute Arbeit leisten möchte.
Ihre Mutter hat sich ihre Schuhe auch selbst gemacht. Hat sie Sie darauf gebracht?
Meine Mutter war göttlich. Ich vermisse sie sehr. Sie war unzufrieden mit den Schuhen, die man während des Krieges auf der kanarischen Insel, auf der wir lebten, kaufen konnte. Ein Schuhmacher dort hat ihr das Handwerk beigebracht, und sie hat sich Seidenschuhe gemacht. Ich habe sie natürlich noch, in einer Schachtel voller Naphthalin.
Sie sind auf einer Bananenplantage aufgewachsen. Wo hat Ihre Mutter die Schuhe getragen?
Das Leben auf einer Insel war einsam, das stimmt. Einmal in der Woche kam ein Boot. Kein Fernsehen, Zeitschriften aus Argentinien. Aber meine Eltern gingen in den Country Club und gaben große Abendessen. Mein Vater spielte immerzu Tennis. Er achtete streng darauf, dass wir sauber und gepflegt waren. Die Fingernägel vor allem. Die hat er ganz genau kontrolliert.
Foto: Jork Weismann