Sie sind hässlich, unförmig und leuchten wie Giftcocktails, aber 100 Millionen Menschen haben sie gekauft. Schuhe in Neongrün, -pink oder -gelb, in denen sie watscheln wie Enten und die Löcher haben wie ein Schweizer Käse. Wer sie trägt, sieht aus, als brauche er Hilfe. Das sagen die einen. Die anderen finden sie: lustig, praktisch, bequem, irgendwie unkonventionell. Kinder zählen dazu, Mütter, Fachärzte, OP-Schwestern, George W. Bush, Teri Hatcher, Jack Nicholson und Justin Timberlake. In wenigen Jahren wurde aus einem Nischenprodukt ein Kultschuh: Crocs.
Crocs Inc. aus Boulder, Colorado, versprach die größte Schuhrfolgsgeschichte seit Nike zu werden. Doch im Freudenrausch über den schnellen Aufstieg verpassten es die Macher, die Marke weiterzuentwickeln – jetzt kämpfen sie, um nicht als One-Shoe-Wonder zu enden. 75 Dollar war die Crocs-Aktie im Herbst 2007 wert, heute sind es nur noch 2,60 Dollar. Was ist passiert? Die Geschichte der Firma Crocs klingt, wie Erfolgsgeschichten meistens klingen, wenn man die Anfänge zu verklären beginnt. Ein Geistesblitz gehört dazu und eine Portion Beiläufigkeit: Drei Freunde segeln im Jahr 2002 von Mexiko nach Miami, genießen die Karibiksonne und trinken Coors-Light-Bier. Der Mann mit dem Geistesblitz heißt Scott Seamans, ist 48 und hat bisher Fußbetten, Angelspulen und Stühle entwickelt; mit an Bord ist George Boedecker, 40, Franchise-Unternehmer, der mit der Pizzakette Domino’s und den Quiznos-Sandwich-Shops viel Geld verdient hat. Und Duke Hanson, ebenfalls 40, der gerade sein Computer-Start-up dichtmachen musste, frisch geschieden ist und seine Mutter beerdigt hat.
Auf dem Meer zeigt Scott Seamans den anderen einen gummiartigen Pantoffel. Er hat ihn auf einer Geschäftsreise in Quebec entdeckt. Der Schuh wiegt nur 170 Gramm und besteht aus einem speziellen, Wasser abweisenden Granulat, das pilz- und geruchsresistent ist; bei Körperwärme passt es sich dem Fuß an. In bunten Farben und mit einem Riemen um die Ferse, meint Seamans, könnten diese Dinger der Renner unter den Bootsschuhen werden.
»Scott, die sind hässlich«, ruft Duke Hanson. Dann schlüpfen er und Boedecker doch in die Schuhe – ja, leicht und unglaublich bequem sind sie. Boedecker unterschreibt einen Scheck zur Unternehmensgründung, Duke Hanson erstellt ein Businesskonzept. Ihr Plan: Der Schuh sieht so seltsam aus, dass die Leute ihn allein deshalb anprobieren werden und dann nie wieder ausziehen wollen.
Bei der Bootsmesse Ende 2002 in Florida feiern die Crocs Premiere – den Namen leiten die Gründer von »Krokodil« ab, weil man mit den Schuhen auf nassem Boden genauso wendig sein soll wie auf trockenem. Sie taufen das erste Modell »Beach« und verkaufen auf einen Schlag tausend Paar. Ein paar Jahre später sind die drei Freunde aus Colorado reiche Männer.
Ende 2004 übernimmt Ron Snyder als Vorstandsvorsitzender. Er will die Schuhe in der ganzen Welt berühmt machen. Das Unternehmen kauft die kanadische Firma, in der Seamans damals den Schuh entdeckte, und sichert sich so die Rechte am Granulat, aus dem die Schuhe gefertigt sind, sie nennen es »Croslite«. Crocs produziert in Brasilien und Kanada, eröffnet Büros in Tokio und Den Haag, Markenläden von Dubai bis nach London. Aus dem Kleinunternehmen aus Colorado wird ein weltumspannender 5000-Mann-Betrieb. 2005 gewinnt Crocs erst den »Brandnew Award« auf der Münchner Sportmesse Ispo, dann Hunderttausende Kunden: Deutsche, Franzosen, Italiener lieben die klobigen Schuhe.
Als Crocs Inc. im Februar 2006 an die Börse geht, verdient die Firma auf Anhieb mehr als 200 Millionen Dollar – der höchste Börseneintritt eines Schuhherstellers in der Marktgeschichte. Spätestens jetzt müsste Crocs ein starkes Produkt nachlegen, doch man setzt lieber auf schnelles Wachstum. Die neuen Modelle sind fantasielos und erreichen nicht ansatzweise den Erfolg der auffälligen Crocs-Klassiker »Beach« und des sehr ähnlichen Nachfolgers »Cayman«.
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Die sind in den vier Jahren seit der Bootsfahrt zum globalen Modephänomen geworden. Journalisten schreiben Schmähartikel, Leser widersprechen; im Internet formieren sich Gegner und Fans auf Seiten wie ihatecrocs.com und littlerubbershoes.com. Die Amerikanerin Sheri Schmelzer erfindet Anstecker, »Jibbitz«, mit denen man die Löcher in den Schuhen verziert: Tierfiguren, Blumen, Sportclublogos. Schmelzer wird Millionärin.
2003 setzte die Firma weltweit rund eine Million Dollar um, 2007 war es schon das Achtfache. Crocs polarisieren – das macht sie so erfolgreich: Sie lösen starke Gefühle aus, die Menschen, die sie tragen, wirken humorvoll und sogar ein wenig mutig, weil sie das allgemeine Stildiktat ignorieren. »Auch hässlich kann modisch sein«, sagt Valerie Steele, Modehistorikerin und Direktorin am Fashion Institute of Technology in New York. »Die klobigen Plateauschuhe, die in den Siebzigern alle trugen, sahen auch seltsam aus.«
Doch jede Mode hat eine gewisse Lebensdauer – und jetzt beginnt der weniger schöne Teil der Geschichte.
Crocs hat zu lange auf den Zauber und die Beliebtheit der Bestseller vertraut. »Es ist ungewöhnlich, dass eine Firma mit nur einem charakteristischen Produkt an die Börse geht«, sagt der Analyst Christoph Schlienkamp vom Bankhaus Lampe in Düsseldorf. Dass die Crocs-Klassiker, verglichen mit anderen Sport- oder Freizeitschuhen, so komisch aussehen, hat sie berühmt gemacht. Jetzt wird es ihnen zum Verhängnis. Der sogenannte Tipping Point ist erreicht, der Punkt, an dem die Stimmung umschlägt: Der Markt ist gesättigt, und das Auffällige, Unkonventionelle, das vor einer Saison noch als schön galt, ist jetzt wieder hässlich.
Eine Firma muss ihre Kunden mit Neuem überraschen. Erreicht eine Marke wie Crocs Kultstatus, darf sie nicht zu gewöhnliche Nachfolgeprodukte anbieten. Badelatschen oder Zehensandalen verkaufen eben fast alle Sportschuhmarken. »Statt auf der Grundlage einer Idee immer mehr zu expandieren, immer noch mehr Profit zu machen, hätte Crocs rechtzeitig in die Marke investieren müssen«, sagt Uli Mayer-Johanssen, Kreativchefin der Markenagentur Metadesign in Berlin, »sie hätten nicht mehr Schuhe entwickeln sollen, sondern zum Beispiel eine sehr leichte Strandtasche; etwas, das mit dem besonderen Material spielt und die Marke auch in Zukunft attraktiv macht.« Doch daran scheitern die Crocs-Manager.
Am 31. Oktober 2007 verkündet Crocs-Chef Ron Snyder, dass die Firma zum ersten Mal in ihrer fünfjährigen Geschichte nicht mit Wachstum rechnet. Was wächst, sind die Warenbestände – und die Nervosität der Aktionäre: Der Kurs bricht innerhalb von zwei Wochen um mehr als 50 Prozent ein, auf 35 Dollar pro Aktie.
Droht Crocs das Schicksal anderer Marken, die nach einem erfolgreichen Produkt in der Bedeutungslosigkeit verschwanden? Doc Martens zum Beispiel, die klobigen Schuhe mit den gelben Nähten. Bis in die Neunziger wuchsen die Beliebtheit und die Umsätze, dann war der Trend vorbei, und die Firma hatte kein Alternativprodukt. Der Abstieg geht weiter. Crocs verliert einen internationalen Plagiatsprozess gegen eine Reihe von Firmen, die »Cayman« und »Beach« kopieren. Wenn die Löcher in den Schuhen statt rund oval, eckig oder schmaler gestaltet sind, kann Crocs dagegen nichts tun. Die Schleusen für Billigkopien sind geöffnet, es gibt sie bei Deichmann, Schlecker, Ikea. Preis: drei bis fünf Euro.
Weil jetzt Hinz und Kunz in Billigversionen herumlaufen, vergrätzen sie Kunden, die bereit wären, für das Original 40 Euro zu zahlen. Noch dazu hat die Firma selbst eine Crocs-Schwemme erzeugt, mit Läden und Firmensitzen auf der ganzen Welt. »Um Kult zu bleiben, darf ein Produkt nicht zu leicht überall verfügbar sein«, sagt die Markenexpertin Uli Mayer-Johanssen. Crocs muss gegensteuern: Die Firma schließt die Werke in Kanada und Brasilien. Bis Januar 2009 fällt die Crocs-Aktie unter zwei Dollar.
Sind die Schuhe noch zu retten? Zwei neue Männer sollen es schaffen: Im CEO-Büro sitzt seit einigen Wochen John Duerden, der erfolgreich den Turnschuhhersteller Reebok geführt hat. Im europäischen Sitz der Firma in Den Haag macht seit drei Monaten Robin Akeroyd den Job, er baute schon die Crocs-Europafiliale mit auf. An seinen Füßen orangefarbene Crocs, das bekannte Modell, aber ohne Löcher. In seinem Büro stehen die Hoffnungsträger: Sandalen in Pink, Schuhe mit Absatz, Winter-Clogs mit Fell, Turnschuhe. »Wir müssen den Leuten den Klassiker abgewöhnen. Sie sollen uns als Lifestyle-Marke wahrnehmen«, sagt Akeroyd.
Plötzlich sprudeln die Ideen: Athleten sollen die Schuhe nach dem Sport tragen, ein Fußbett für schnelle Regeneration sorgen. Auf der Website wirbt der Triathlet Matty Reed. Sportler fürs Image, bei Nike hat das auch geklappt. Es gibt jetzt antistatische Crocs für Krankenhäuser und sogar eine Handytasche aus dem Granulat Croslite. In Deutschland wird der »FC Bayern Croc« verkauft. Doch es scheint, als kämen diese Produkte zu spät.
Crocs Inc. habe noch genug Eigenkapital und die Menschen liebten den Schuh noch immer, sagt Robin Akeroyd. Er glaubt fest an ein Happy End der Geschichte, die damals irgendwo vor Mexiko begann. Doch nur in Asien sind die Umsätze 2008 gestiegen, in Europa sind sie um 16 Prozent, in Amerika um 27 Prozent gefallen. »Ich wäre mit der Aktie noch vorsichtig«, sagt der Analyst Christoph Schlienkamp. »Die Nachfolgeprodukte wirken schwach. Dass die Firma in diesen schwierigen Zeiten zum Erfolg zurückfindet, sehe ich im Moment nicht.«
Die Crocs-Welle ist abgeflaut, die neuen Modelle sind zu brav, als dass man sich über sie erregen wird. Irgendwann, in zehn oder zwanzig Jahren, holen wir unsere pinkfarbenen Crocs aus dem Schrank, weil wir auf eine Nullerjahre-Party eingeladen sind, dann werden unsere Kinder entgeistert fragen: Und das war mal modern? Das habt ihr doch nicht ernst gemeint, oder?