Sie trugen die braunen Haare offen, frisch gewaschen und nur gehalten von einer großen Sonnenbrille, die sie sich in die Haare geschoben hatten, weil ihre Augen schon glatt und grausam genug schauten. Sie sprachen in ihr Handy, während sie die Auslagen mit einer Langeweile abmaßen, die so kalt war, dass man meinen konnte, das Glas werde unter ihrem Blick von einer leichten Frostschicht überzogen. Es war nicht ihre Schönheit, die einschüchternd wirkte, es war etwas anderes, das eine Distanz um sie schuf, die sie wie eine elegante Schleppe um sich herum ausbreiteten. Es war eine harte, aggressive Arroganz, die sich vom blassen, passiven Hochmut deutlich unterscheidet. Ist Verachtung eine Waffe?
Sie waren 18 oder 19 Jahre alt, die beiden Mädchen, sie waren jung und wirkten in ihrem eisigen, einsamen Selbstbewusstsein doch, als seien sie aus der Gegenwart gerutscht. Vor einem oder zwei Jahren hätte man gesagt, dass ihnen die Welt gehört. Aber diese Welt lag nun in Scherben. Die beiden standen bei Sprüngli in der Bahnhofstraße in Zürich, wo alles so heil wirkt, dass einem ganz unheimlich wird, weil man ja weiß, dass das eine Lüge ist, und über ihren braunen Haaren schwebten ein paar wichtige Fragen: Wer würde ihnen eine neue Sonnenbrille kaufen? Wer würde ihnen zeigen, wie man ein Spiegelei brät? Wer würde ihre Kälte aushalten? Anders gesagt: Was passiert, wenn der Angriff ins Leere zielt, wenn die Verachtung ein Gegenüber trifft, das schon geschlagen ist? Das Spiel der arroganten Mädchen funktionierte nur, als es noch eine Sicherheit gab, die sie mit einer hochgezogenen Augen-braue erschüttern konnten. Sie waren das Emblem einer anderen Zeit, sie waren eine Erfindung der Sechzigerjahre, als Schönheit zur Leitwährung der westlichen Welt wurde, sie entfalteten ihre ganze Macht in den späten Neunzigerjahren, als die Eitelkeit die Schönheit als gesellschaftlichen Gradmesser ablöste. Und wenn sie nun seltsam überlebt wirken, dann zeigt das nur, wie tief der Kulturbruch dieser Krise tatsächlich ist. Wo alle von der neuen Einfachheit reden und davon, dass Freundschaft und Familie wichtig sind, wo alle rechnen und sparen und die Angst regiert, wo alle die Sakkos der letzten Saison auftragen und Solidarität zum Selbstzweck wird, da bleibt kaum Raum für dieses Schauspiel von stolzer Anmaßung – was ein Verlust ist: In dieser Frechheit steckte Freiheit.
Die Arroganz dieser Mädchen hatte etwas Aristokratisches, aber weil sich ihr Adel auf Schönheit gründete, galten demokratische Spielregeln. Arroganz war klassen-übergreifend. Arroganz war ein Bruch mit Regeln, die andere erfunden hatten. Arroganz war erst möglich in einer durch den Kapitalismus eingeebneten Welt. Es konnte die Professorentochter sein oder das Mädchen an der Bar, sie konnte ihr Erbe verpulvern oder in einer Galerie arbeiten, sie konnte sich einen reichen Freund leisten, wobei die Männer an ihrer Seite eher störten, denn arrogant ist man am besten allein. Das war die literarische und existenzielle Aura, die diese Mädchen umgab: Ihre Arroganz konnte eine Zumutung sein für die Welt um sie herum – aber war die Welt um sie herum nicht auch eine Zumutung?
Es war ihr Reiz, dass sie gegen die Nettigkeit rebellierten, die das soziale Leben in unserer Angestelltenrepublik dominiert. Sie riskierten es, nicht gemocht zu werden. Sie gefielen sich in ihrer Unnahbarkeit. Ihre Arroganz war wie ein Test, ein Spiel, eine Aufforderung, sich zu messen, mit ihnen, an sich selbst. Die Verunsicherung, die sie dabei erzeugten, könnte am Ende ihre eigene gewesen sein – die Verstörung, die sie hinterließen, hatte auf jeden Fall eine produktive und schöne gesellschaftliche Kraft. Was gerade gescheitert ist, bei Banken und Politikern, ist nicht Arroganz, sondern Borniertheit. So seltsam es klingt: Ohne Arroganz sind Veränderungen nicht möglich.
Collage: Dörte Gebhardt