Am Montagmorgen sind die Spuren am deutlichsten zu sehen. Einzelne Fingerkuppen, ganze Hände haben ihre Abdrücke hinterlassen. Im besten Fall wurde sogar gleich noch die Nase samt Stirn an der Fensterscheibe plattgedrückt. Dann war die Sehnsucht besonders groß und der Effekt, wie er sein sollte: das Schaufenster als Tor zur bunten Warenwelt, zum Greifen nah und doch für den Moment unerreichbar, was die Begehrlichkeit natürlich nur noch steigert. Die Rede ist vom Schaufensterbummel, dieser angeblich vom Aussterben bedrohten Freizeitbeschäftigung. Denn in Zeiten des Online-Shoppings muss ja niemand mehr vor verschlossenen Türen stehen, sondern kann einfach reinspazieren in den Online-Shop, zu jeder Tages- und Nachtzeit, und sich mit einem Klick sofort holen, was das Herz begehrt. Dass es auch dann noch ein paar Tage dauert, bis man die Tasche, das Kleid, die Ohrringe tatsächlich in Händen hält - kleinliche Offline-Denke, der Kauf ist, was zählt, die Bestätigung längst im digitalen Postfach.
Doch beim »window shopping«, wie es im Englischen sehr viel anschaulicher heißt, geht es ja gerade um etwas anderes. Das Fenster dient nur vordergründig als Auslage, es ist vielmehr Inspirations- und Projektionsfläche. Was aber nützt die Mode in Gedanken? Sehr viel: Wir betrachten aus der sicheren Distanz oft genauer, ungestörter, träumen oder versetzen uns stärker in Dinge hinein. Gerade weil wir nur gucken, nicht anfassen können, wird das Rendezvous an der Scheibe zu einer fast intimen Begegnung. Deshalb ist die beste Zeit für den Schaufensterbummel dann, wenn die Läden geschlossen sind. Nachts, wenn Ruhe einkehrt auf den Straßen und die erleuchteten Schaufenster erst richtig zur Geltung kommen, oder sonntags, wenn man einen Boulevard einfach nur so entlangflaniert. Dass man dann eben nicht »mal schnell in den Laden springen« kann, wirkt geradezu zwanghaft entspannend. Und die Begleitung freut es bisweilen auch.
Fotos: Markus Jans; Styling: Ann-Kathrin Obermeyer