Wenn George W. Bush im Januar abtritt, endet eine Zeit, die man als die Ära amerikanischer Allmacht umschreiben könnte. Seinem Nachfolger übergibt er ein Land, das in der Sinnkrise steckt. Die Sprache, die Allüren, die Moden und der politische Stil der Bush-Jahre – sie sind der letzte Atemzug eines auftrumpfenden Amerikas. Das außenpolitische Ansehen schrumpft, die Wirtschaft liegt am Boden. Die schicken Fertighäuser des Mittelstandes harren verlassen und verwildert der Zwangsversteigerung durch die Banken. Die Banken wiederum bewegen sich ihrerseits am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Der amerikanische Traum, er scheint ausgeträumt. Ein Zeichen für diesen Wandel kommt von der sensibelsten Trendfabrik Amerikas: aus Hollywood. Wo einst Heldenmut und Patriotismus zelebriert wurden, herrschen nun Verunsicherung und Galgenhumor. In der Komödie Harold und Kumar 2: Flucht aus Guantanamo-Bay wird Bushs »War on Terror« zur Lachnummer. Und in Batman – The Dark Knight ist nicht der Superheld der wahre Held, sondern die anarchische Figur des »Joker«, der Gotham City ins Chaos stürzt.
Wie sehr die USA ihren Nimbus als Supermacht eingebüßt hat, ist vor allem in der Außenpolitik spürbar: Die Hardliner sind noch da, nur nimmt sie keiner mehr ernst. Die Selbstverständlichkeit, mit der Russland in Georgien einmarschierte und Amerikas Proteste ignorierte, spricht für sich. Russland, China und Indien betrachten die Ära amerikanischer Hegemonie als Relikt des 20. Jahrhunderts. Diplomatie, von der Regierung Bush nur als Schwäche betrachtet, findet wieder statt. So wunderte sich die Welt, als Außenministerin Rice vor Kurzem ein Abkommen mit Nordkorea über atomare Abrüstung verkündete. Die Weltpolizei verhandelt wieder mit Schurkenstaaten.
Nicht nur in der Außenpolitik scheinen sich die Prioritäten zu verschieben. Ein Grund: die Energiekrise, die nun auch die Amerikaner zu spüren bekommen. Dabei hatte ihnen die Regierung viel versprochen: Bush und Cheney, beide im Ölgeschäft groß geworden – der erste aus Texas, der zweite aus Wyoming – verhöhnten Al Gore wegen seiner Warnungen vor dem Treibhauseffekt und dachten gar nicht daran, die Ansprüche der Amerikaner zu beschneiden – sei es auf Steuersenkungen oder eine unerschöpfliche Energieversorgung. Selten hat eine Regierung die Zeichen der Zeit so missverstanden. Die Amerikaner sind längst dabei, von ihrem alten Lebensstil Abschied zu nehmen. Das Statussymbol der einstigen PS-Nation – das SUV – ist zum Ladenhüter geworden, derweil Hybrid-Autos aus Fernost zum Liebling der VIPs aufstiegen. Bescheidenheit statt Protzerei scheint die neue Mode zu sein. Das Verkehrsministerium hat festgestellt, dass die Amerikaner sechs Monate in Folge weniger Meilen gefahren sind als im Jahr zuvor; Fahrräder und der öffentliche Personenverkehr erleben eine Renaissance; Wal-Mart hat neue Milchpackungen anfertigen lassen, die kostengünstiger transportiert werden können.
Die explodierenden Ölpreise bremsen die amerikanische Wirtschaft jäh. Gleichzeitig stürzten die von der Bush-Regierung eingeführten Steuersenkungen Amerika in Schulden und leiteten die Talfahrt des Dollars ein. Durch die stockende Konjunktur wächst der Druck auf den nächsten Präsidenten, die Wirtschaftspolitik grundlegend zu ändern. Wer aber kann mit diesem schweren Erbe besser umgehen? Wer ist nun der bessere Kandidat für die Zeit nach Bush – Obama oder McCain?
McCain hat sich seit Langem als Eigenbrötler etabliert, dabei aber den Fehler gemacht, sich zu sehr bei Bush anzubiedern. Gefühlt gehört der 71-Jährige zum »Old Boy’s Network«, das seine Chance hatte. Er liebt Grillfeste und geht mit seiner Dienstzeit im Vietnamkrieg hausieren. Während Obama die USA zum Weltführer für erneuerbare Energien aufbauen will, spricht McCain davon, die aufstrebenden Mächte China und Indien zu mehr Umweltschutz zu motivieren. Dem Charisma Obamas stellt der Kalte Krieger McCain politische Erfahrung und schneidenden Patriotismus entgegen; Aufbruchsstimmung aber kann er nicht entfachen.
Das könnte der Vorteil von Obama sein, denn nichts ist bei Wahlen in den USA wichtiger als ein gutes Image. Anders als Bush, der immer gern betonte, wie wenig er vor seinem Amtsantritt das Ausland bereist hatte, wuchs Obama in Indonesien auf, bevor er nach Hawaii kam und sich nun mit Joseph R. Biden ein außenpolitisches Schwergewicht an seine Seite geholt hat. Und anders als McCain, der gebrochene Vietnam-Veteran, umweht den 47-jährigen Senator aus Chicago der Idealismus eines John F. Kennedy. Er ist ein wahrer Kosmopolit, clever und hip. Seine Frau Michelle und er klatschen sich auf der Bühne wie Sportler ab. Obamas schlimmste Sünde in den Augen der Republikaner ist wahrscheinlich, dass er nicht gern Golf spielt. Private, elitäre Golfclubs, die Schwarze schon immer ausgeschlossen haben, sind die traditionellen Lieblings-freizeitorte der Republikaner. Obama spielt lieber eine Runde Basketball. Basketball ist demokratisch; man braucht dazu weder einen teuren Schlägersatz noch einen Caddie, kein perfekt gemähtes Grün und kein Golfwägelchen. Gegen so viel jugendlichen Esprit wirkt McCain wie ein grauer alter Mann. Seine einzige Chance wird sein, ein weiteres Mal die amerikanische Vorherrschaft zu beschwören, in einer Welt, in der genau das immer weniger beachtet wird.
Der bevorstehende Wandel in Amerika kündigt sich auch in einem neuen Dresscode an: Bush und Cheney liebten steife, wuchtige Power-Anzüge im Oxford-Stil, mit gepolsterten Schultern. Auch McCain trägt diese bulligen Anzüge. Das unterstreicht zwar sein Image als Elderstatesman, lässt ihn aber auch behäbig wirken. Obama dagegen legt Wert auf eine schlanke Silhouette mit schmalen Aufschlägen, was einmal mehr an John F. Kennedy erinnert. Damit passt er gut zum neuen amerikanischen Stil, der von auf-strebenden Designern wie Thom Browne angeführt wird – bekannt für seine eng sitzenden Anzüge mit kurzen Ärmeln, und Hosen, die über dem Knöchel enden; McCain würde wahrscheinlich glauben, ein Thom-Browne-Anzug sei für den Angelausflug. Obama trägt selten Krawatte. Wie die Mehrheit des jungen Amerikas bevorzugt er einen salopp-lässigen Business-Look. Auch in seiner Freizeit gibt er sich hip: Jeans, graues Polohemd und Asics-Tennisschuhe, kombiniert mit einem Hightech-Fahrrad.
Während die blondierte Cindy McCain an eine eingefrorene Barbiepuppe erinnert, werden Michelle Obamas Kleider mit Jackie Onassis’ Chanel-Klassikern aus ihrer Zeit als First Lady verglichen. Viele ihrer eleganten Kleider – gern mit Bausch-ärmeln – stammen von der neuen Stardesignerin aus Chicago, Maria Pinto, deren Entwürfe auch Oprah Winfrey trägt. Als Michelle in Winfreys Sendung The View ein leichtes schwarz-weißes Strandkleid trug, stürmten im ganzen Land Frauen die Läden und kauften sich das gleiche Kleid. Die Obamas, deren Kleidungsstil für beträchtliche Aufregung und unzählige Kommentare gesorgt hat, stehen bereit, eine Revolution in der Mode und der Politik einzuleiten.
Ob Obama nun Präsident wird oder nicht, seine Kampagne trägt schon jetzt dazu bei, Amerika grundlegend zu verändern. > Die Wahlkampfstrategie von Republikanern wie Karl Rove, einem ehemaligen Bush-Berater, Obama als »elitär« und »arrogant« zu etikettieren, greift nicht mehr. Das Land hat genug von leutseligem Populismus und Cowboystiefel-Diplomatie. Auch der Vorwurf, der schwarze Kandidat sei nicht »einer von uns«, erscheint nicht mehr zeitgemäß; die Losung der Republikaner, bei der weißen Arbeiterschaft einmal mehr die Rassenfrage zu bemühen, geht an der Wirklichkeit vorbei. Sie haben andere Sorgen, als alte Ressentiments aufzuwärmen.
Die Mehrheit der Amerikaner kann das Ende der Ära Bush kaum erwarten. Als einer der unpopulärsten Präsidenten der Geschichte hat er den Abgesang auf die illusorische Allmacht Amerikas eingeläutet. Die Europäer könnten ihrem alten Feindbild Bush sogar dankbar dafür sein, den Niedergang des amerikanischen Einflusses und Ansehens beschleunigt zu haben. Indem er den Dollarkurs in den Keller trieb und die Wirtschaft ruinierte, hat er aus Amerika das gemacht, was für viele Amerikaner einmal Europa war: einen historischen Freizeitpark mit Dumpingpreisen. Jetzt ist Amerika an der Reihe, Gastgeber für wohlhabende Ausländer zu sein, die mitansehen wollen, wie ein so großes Reich von innen heraus zerfällt.
Das Schreckgespenst des Niedergangs aber ist auch eine Chance, es hat Nationen seit je als Ansporn gedient, ihrem Schicksal eine glückliche Wendung zu geben. Dazu müsste Amerika dem Rest der Welt wieder die Hand reichen und den Bruch mit der Bush-Ära vollziehen. Statt Aggressivität und Hochmut wären Optimismus, Vertrauen und Innovation gefragt. Alte Werte für ein neues Amerika.
Illustrationen: Birthe Steinbeck