»Ich trage immer hohe Absätze, wenn ich Lieder schreibe«

Wie man sich aus bitterer Armut nach oben kämpft - und warum man sogar Elvis mal einen Korb geben muss: ein Gespräch mit der unzerstörbaren Countrysängerin Dolly Parton.

Dolly Parton hat als Sängerin und Songschreiberin den Olymp der Countrymusik erreicht - aufgewachsen ist sie mit zehn Geschwistern in einer Hütte in den Smoky Mountains. (Foto: dpa)

SZ-Magazin: Ms. Parton, meine Großmutter erzählt ständig, wie sie Ihnen einmal begegnet ist und dass sie nie im Leben eine schönere Frau gesehen habe.
Dolly Parton:
Ach, wie reizend!

Sie sagt, Sie hätten »perfekte Haut«.
Sie ist blind, oder?

Meistgelesen diese Woche:

Ich habe ihr erzählt, dass Sie sich Ihren Stil bei einer Kleinstadt-Prostituierten aus Tennessee abgeschaut haben.
Das ist wahr.

Sie sind tatsächlich als junges Mädchen einer Prostituierten über den Weg gelaufen und haben sich gedacht: »So wie die will ich auch aussehen«?
Absolut.

War Ihnen nicht bewusst, was diese Frau beruflich machte, oder war es Ihnen egal?
Es war mir egal. Sie war damals die hübscheste Frau, die ich je gesehen hatte. Wir gingen ja nicht ins Kino, als ich klein war. Wir kannten keine Filmstars. Wir kannten keine Filmzeitschriften. Wir kannten nur Versandhauskataloge wie den von Sears & Roebuck, und da waren schon ein paar richtig hübsche Models zu sehen. Aber dieses Mädchen – du lieber Himmel, sie war ein echtes Glamourgirl. Rot lackierte Finger- und Zehennägel, hochhackige Schuhe, kurzer Rock, tolle Beine, wilde Mähne. Ich fand sie atemberaubend. Genauso wollte ich aussehen.

Aber Sie wurden älter.
Ja, sicher.

Dann muss Ihnen doch irgendwann klar geworden sein: »Augenblick, mein Stil-Vorbild war das Dorfflittchen.« Haben Sie später jemals überlegt, sich ein weniger auffälliges Outfit zu verpassen?

Ach was, nein, gar nicht. Mit zunehmenden Alter wurde mir klar: Ich war selbst ein Flittchen. Offensichtlich passte das am besten zu mir. Nein, ehrlich gesagt, der Look entsprach schon immer meiner Persönlichkeit. Ich fühle mich in diesen Sachen wohl.

Gibt es Tage, an denen Sie lieber nur in Jogginghosen herumlaufen würden?
Niemals. Also: Klar laufe ich manchmal in Jogginghosen rum. Aber selbst dann in hohen Hacken.

Nicht Ihr Ernst?
Absolut. Ich achte immer auf Frisur und Make-up. Ich bin eben so gepolt. Außer, ich bin mal krank, aber selbst dann bin ich oft komplett geschminkt. Morgens nach dem Aufstehen nehme ich ein Bad, schminke mich und mache mich ein wenig fein, weil es mir danach einfach besser geht. Und ich finde, mein Mann soll zu Hause auch nicht dauernd eine Schlamphenne um sich herum haben.

Was ist, wenn Sie allein sind und Lieder schreiben?

Ich bin immer geschminkt und trage hohe Absätze, wenn ich Lieder schreibe. Manchmal habe ich nur ein Paar Hausschuhe an, aber auch die haben hohe Absätze. Nur nicht ganz so hohe.

Gibt es Situationen, in denen Sie High Heels tragen und sich dann denken: »Das war eine ganz blöde Idee«?
Kann ich mir nicht vorstellen. Nennen Sie mir ein Beispiel.

Bei einer Wanderung.
Das kommt schon vor. Aber ich zieh’s trotzdem durch.

Sie tragen beim Bergwandern hohe Hacken?
Nicht in den Bergen, Herzchen. Aber auf einem kleinen Spaziergang durch die Natur, klar. Ich habe Stiefel mit hohen Absätzen.

Vielleicht ist es ja nur ein Gerücht, aber stimmt es, dass Sie einmal bei einem Dolly-Parton-Ähnlichkeitswettbewerb für Transvestiten angetreten sind?
Stimmt voll und ganz. Das war in einem Schwulenclub in Los Angeles. Damals wohnte ich in einer kleinen Wohnung gleich um die Ecke vom Santa Monica Boulevard, direkt neben der Schwulenmeile. In einem Club hatten sie zu Halloween einen Kostümwettbewerb laufen, und die Leute staffierten sich aus wie Cher oder eben wie ich. Vor dem Eingang tummelte sich ein ganzer Haufen Dollys, also sagte ich zu meinen Freunden: »Das will ich sehen.«

Hatten Sie keine Angst, erkannt zu werden?
Aber nein. Es war Halloween, also hab ich alles einfach ein wenig übertrieben. Ich hab mir die Haare noch höher toupiert, mich viel dunkler und stärker und noch alberner geschminkt, mit volleren Lippen. Wir marschierten da rein, bestellten was zu trinken und gaben uns die Show. Dann ging der Wettbewerb los, und alle, die so aussahen wie ich, marschierten auf die Bühne. Ich wollte eigentlich nur zusehen, aber meine Freunde überredeten mich, mitzumachen. Sie drängten so lange, bis ich auf die Bühne sprang und mich zu den anderen Dollys stellte.

Niemandem fiel auf, dass Sie die echte Dolly Parton waren?
Keiner hatte die leiseste Ahnung. Ich war einfach zu grell geschminkt. Ich sah aus wie eine Clownversion meiner selbst. Ich hab’s wohl zu sehr übertrieben, ich wurde nämlich Letzte.

Sie wurden bei einem Dolly-Parton-Ähnlichkeitswettbewerb Letzte?

So sieht’s aus. Es gab andere Dollys, die eher wie Dolly Parton aussahen als ich. Zugegeben, die waren schon ziemlich gut.

In dem Lied Home auf Ihrem neuen Album Blue Smoke zeichnen Sie ein idyllisches Bild Ihrer Kindheit. War ein Leben in Armut in den Smoky Mountains von Tennessee wirklich so zauberhaft?

Natürlich überhöht man die Vergangenheit in der Erinnerung, wenn man älter wird. Aber so wie im Lied beschrieben, fällt mir zu meiner Kindheit wirklich ein, wie wir im Teich geschwommen sind, wie wir bei Oma auf der von Wein umrankten Veranda gesessen haben. So ist meine Erinnerung, und sie ist wunderbar.

Ihre Memoiren My Life and Other Unfinished Business sind 1995 erschienen. So, wie Sie dort Ihre Jugend beschreiben, hört sich das fast erfunden an. Sie sind wirklich in einer Holzhütte aufgewachsen, ohne Strom oder richtige Toilette im Haus?
So war das.

Ein Bett für die gesamte Familie, darunter Sie selbst und Ihre zehn Geschwister? Ihre Mutter hat Ihnen Kleider aus Futtersäcken genäht?
Das ist die reine Wahrheit. Neben unserer Hütte war ein Bach, in dem haben wir gebadet und die Wäsche gewaschen. Wir hatten so ein Brett zum Rubbeln – Waschbrett sagt man wohl dazu. Man hat alles von Hand geschrubbt, so war das nun mal.

Und Sie haben tatsächlich Eichhörnchen gegessen?

Hasen und Eichhörnchen. Köstlich! Wir haben auch Murmeltier gegessen. Die Leute auf dem Land lernen schnell, was man alles essen kann und wie man es zubereiten muss. Meine Mutter war die beste Köchin der Welt.

Die beste Eichhörnchen-Köchin?

Herzchen, das müssen Sie mal kosten. Sie wissen ja nicht, was Sie verpassen. Das schmeckt fantastisch. Überall auf der Welt isst man Hasen. Ein Eichhörnchen sieht doch fast genauso aus.

Wie schmeckt denn Eichhörnchen?
Wie Huhn. Aber süßlich. Es ist ganz weiches, zartes Fleisch. Wir haben auch Schildkröten und Frösche gegessen – eben so ziemlich alles, was wir fangen konnten.

Da gab’s Remmidemmi im Stall, wir haben uns zum Squaredance getroffen, Musikfeste abgehalten, das volle Programm.

Das Interview in Nashville war schon vorbei, als eric Spitznagel Dolly Parton noch eine letzte Frage stellte: »Was halten Sie von meinem Männerbusen?« Ihre Antwort: »Mit mir kannst du leider nicht mithalten, Schätzchen.«

Ihre ganze Familie war sehr musikalisch, richtig?
Die Familie meiner Mutter war sehr musikalisch und auch ein paar Verwandte auf Seiten meines Vaters. Aber hauptsächlich die Familie meiner Mutter. Sie konnten alle singen und Lieder schreiben, sie konnten auch alle irgendein Instrument spielen.

Wurde bei Familientreffen im Hause Parton immer Musik gemacht? Muss man sich das als permanenten Musikantenstadl vorstellen?
Ja, klar. Es war so, wie ich es in Home beschreibe: Alle waren vor dem Haus versammelt und sangen und tanzten. An den Wochenenden schleppte die Verwandtschaft die Instrumente an, und wir hockten uns in den Hof oder auf die Veranda und sangen einfach dazu. Da gab’s Remmidemmi im Stall, wir haben uns zum Squaredance getroffen, Musikfeste abgehalten, das volle Programm.

Wie alt waren Sie, als Sie das erste Mal mitmachten?

Beim Tanz im Stall? Ach, Schätzchen, ich habe praktisch schon bei meiner Geburt getanzt.

Ich meinte, ab wann Sie selbst zur Gitarre gegriffen und Musik gemacht haben.
Meine Geschwister und ich waren von Anfang an mittendrin. Mit Gitarrespielen habe ich angefangen, da war ich etwa sieben. Mein Onkel Louis merkte, wie ernst es mir damit war, er hat mir meine erste Gitarre geschenkt.

Ist nicht einer Ihrer Onkel Ihr Manager geworden?
Das war mein Onkel Bill, ein anderer Bruder meiner Mutter. Er hat mich nach Knoxville und Nashville gefahren und mir geholfen, Auftritte zu buchen. Meine erste Single Puppy Love, die ich mit 13 aufgenommen habe, hatten wir zusammen geschrieben, Bill und ich.

Ihr Vater war vielleicht musikalisch nicht sehr begabt, dafür aber sehr geschäftstüchtig.
Stimmt. Er war nur ein Farmer und konnte nicht lesen oder schreiben. Er war aber trotzdem ein sehr kluger Mann, mit gesundem Menschenverstand gesegnet. Ich merkte schnell, dass die Familie meiner Mutter sehr kreativ war und dass sie nicht gern körperlich arbeiteten. Aber mein Vater konnte richtig anpacken, und das galt für seine ganze Familie.

Sie haben also das Beste von beiden geerbt?
Haargenau! Ich habe die besten Eigenschaften meiner Mutter geerbt und die besten meines Vaters. Ich schufte wie ein Tier, Tag und Nacht, genau wie mein Vater. Wenn mich mal das Selbstmitleid packt, wenn ich so kaputt bin, dass ich kaum noch stehen kann, fällt mir immer mein armer alter Vater ein. Er musste elf Kinder durchfüttern. Er konnte auch nicht einfach aufhören, wenn er keine Lust mehr hatte. Ich denke oft daran. Er war vielleicht nicht sehr belesen, aber er wusste, wie man Geschäfte macht, und er wusste auch, wie man feilscht.

Für Ihre Entbindung hat er angeblich mit einem Sack Maismehl bezahlt.
Stimmt genau. Irgendwie ist das Gerücht im Umlauf, dass es ein Sack Weizenmehl war, aber das stimmt nicht. Es war nur ein Sack Maismehl. Die Leute damals hatten kein Geld, zumindest nicht dort, wo wir wohnten. Unser Arzt hieß Dr. Robert Thomas, ein Missionar und Methodistenpfarrer. Für gewöhnlich bezahlte man ihn mit Konserven oder mit Fleisch, was man halt so hatte. Vater hat ihm Maismehl angeboten, und das hat wohl gereicht. So viel bin ich wert, gerade mal einen Sack Maismehl.

Sie sagten mal, Ihr Vater sei nicht sehr glücklich über Ihre frühen Schminkversuche gewesen.
Nein, nein, das war er sicher nicht.

Wovor hatte er Angst?
Mir hätte er ja vertraut. Er hat nur den Männern nicht vertraut. Er wollte nicht, dass wir Aufmerksamkeit auf uns lenken, vor allem nicht bis zu dem Punkt, wo das jemand missverstehen könnte.

Hat er noch erlebt, was die Schminke und die hohen Absätze Ihnen alles ermöglicht haben?
Aber ja. Er ist erst vor 14 Jahren gestorben. Ihm wurde schnell klar, dass ich sehr wohl wusste, was ich tat. Er sah, dass es mir gut ging und dass ich richtig ranklotzte. Der Einzige, der in meiner Familie damit ein echtes Problem hatte, dass ich Sängerin wurde, war mein Großvater, der Vater meiner Mutter. Er war Prediger bei der Pfingstkirche und dachte, ich würde später garantiert in der Hölle schmoren.

Hat er das so gesagt?
Oh ja. Vater hatte eher Angst, dass die Leute denken könnten, seine Töchter wären billige Schlampen. Mein Opa hatte Angst, dass aus mir eine verruchte Verführerin wird und ich nicht in den Himmel komme. Ich habe ihn immer beruhigt: »Ich will ja in den Himmel kommen, Opa, aber muss ich bis dahin denn in Sack und Asche rumlaufen?«

Hat er je seine Ansicht geändert?
Ich habe ein Lied über ihn geschrieben: Daddy Was An Old Time Preacher Man. Er mochte es sehr. Gab überall damit an, er wisse genau, dass er damit gemeint sei. Danach hatte er nichts mehr an mir auszusetzen. Manchmal braucht es einfach nur ein Lied.

Sie sagten mal, Sie hätten drei große Leidenschaften: Gott, Musik und Sex. Eine seltsame Mischung.
Vielleicht. Aber wenn man sich’s genau überlegt, gilt das doch für die meisten, finden Sie nicht? Die wenigsten würden es wohl zugeben, aber viele haben diese drei Leidenschaften. Nur die Reihenfolge ist bei jedem anders.

Gott und Musik verstehe ich. Und Musik und Sex natürlich auch. Aber Gott und Sex?
Nein?

Es gibt nicht viele Lieder über Gott und Sex.
Das sollte es aber. Gott hat uns erschaffen. Er hat uns all diese Triebe geschenkt. Ich bin ein leidenschaftlicher Mensch und ich hatte nie das Gefühl, meine Leidenschaften oder meine Begierden wären eine Sünde. Sie sind ein Teil von mir. Was soll ich sagen? Ich behaupte nicht, Gott heißt all meine Taten oder die meiner Mitmenschen gut. Ich werde aber bestimmt keine davon verteufeln.

Ihr Freizeitpark in Tennessee, Dollywood, feiert jährlich »Schwulentage«. Von allen christlich geprägten Countrysängerinnen auf Erden sind Sie vermutlich die mit den wenigsten Vorurteilen.
Das kann ich nicht beurteilen, ich halte es aber für Irrsinn, andere zu verurteilen oder sich von anderen verurteilen zu lassen. Ich habe nie in meinem Leben etwas getan, was ich nicht tun wollte. Ich werde nie voller Reue denken: »Na, hätte ich das mal lieber gelassen.« Was ich auch getan habe, ob ich nun zu viel Spaß am Essen hatte oder am Sex, es liegt offensichtlich daran, dass ich ein lebendiges, leidenschaftliches menschliches Wesen bin.

Man hat Sie eine feministische Ikone genannt, aber sehen Sie sich selbst als Feministin?
Nein, sicher nicht.

Im Ernst? Sie haben im Bereich der Countrymusik so viel für die Frauen bewirkt.
Aber nichts davon rührte aus feministischer Überzeugung her.

Einige der Entscheidungen in Ihrer Karriere könnte man durchaus feministisch nennen. Elvis Presley durfte Ihren Song I Will Always Love You nicht aufnehmen, weil Sie ihm die Hälfte der Verlagsrechte abtreten sollten.
Zu der Zeit war es das erfolgreichste Lied in meinem Repertoire. Ich hatte damit einen Nummer-eins-Hit. Ich wusste, das Urheberrecht war wichtig, und ich konnte es nicht einfach so abtreten. Wäre das Lied neu gewesen, hätte ich’s mir eventuell überlegt. Es gibt Zeiten, in denen man zu Kompromissen bereit sein muss. Bei Elvis hat mir allerdings das Herz geblutet.

Sie haben Elvis eine Abfuhr erteilt.

Ich weiß, ich weiß.

Elvis Presley! Der King of Rock ’n’ Roll!

Reiben Sie’s mir nicht noch rein! Was hätte ich denn tun sollen? Ich wusste einfach, dass ich nicht die Urheberrechte für ein Lied abtreten kann, das schon mal Nummer eins war.

Hört sich sehr feministisch an.
Nenn es, wie du willst, Herzchen. So bin
ich nun mal.

-
Dolly Parton
Sirene in Blond
Mit mehr als 100 Millionen verkauften Platten ist Dolly Parton eine der erfolgreichsten Künstlerinnen im Popgeschäft. Sie kam 1946 zur Welt und wuchs mit zehn Geschwistern in ärmlichen Verhältnissen in den Bergen von Tennessee auf. Ab Mitte der Sechzigerjahre hatte sie Erfolg als Countrysängerin und Songschreiberin. Whitney Houstons Version ihres Titels »I Will Always Love You« gilt als eine der meistverkauften Singles der Geschichte. Anfang Mai brachte Dolly Parton ihr neues Album »Blue Smoke« heraus, im Juli kommt sie für zwei Konzerte nach Deutschland: nach Köln (5. Juli) und Berlin (6. Juli).