Peter der Größte

Sir Peter Jonas setzt sich zur Ruhe. Eine Hommage zum Abschied. Von seiner Freundin Donna Leon.

Großer Gott, eine Hommage auf Sir Peter Jonas verfassen? Vielleicht sollte ich mit den Superlativen anfangen. Intendant des besten Opernhauses in Europa? Leidenschaftlichster Händel-Junkie, dem ich je begegnet bin? Während der Vorstellung immer in seiner Loge? Nein, Superlativarien bekommt man immer zu lesen, wenn jemand aus dem Amt scheidet – bester dies und bester das, ein wunderbarer Mensch, immer geduldig und freundlich –, bis es klingt wie die Inschriften von Hundegrabsteinen auf amerikanischen Haustierfriedhöfen. Ich gehe besser chronologisch vor, vielleicht als Geschichte, wie abstrakte Liebe in die Tat umgesetzt wird.

Wie Paolo und Francesca, die sich durch die Lektüre eines Buchs verrieten, kamen Peter und ich durch eine Partitur zueinander. Als der mittlerweile legendäre Giulio Cesare herauskam – wie lange ist das her, zehn Jahre? –, fuhr ich nach München und sah mir die Aufführung an. Ich schwelgte in vier Stunden Händel vom Feinsten (obwohl ich zu den Menschen gehöre, die auch in vier Stunden Händel nicht vom Feinsten schwelgen). Meine Mutter hat mir beigebracht, danke zu sagen, also schrieb ich ihm und bedankte mich für die erstklassige Aufführung, allerdings adressierte ich den Brief schlicht und ergreifend an Mr. Jonas, wie er damals noch hieß. Ich fürchte, ich habe hemmungslos geschwärmt. Zu meiner großen Überraschung erhielt ich irgendwann eine durch und durch freundliche Antwort, er bedankte sich für meinen Dankesbrief und meinte, ich solle doch bei der nächsten Händel-Produktion wiederkommen. Und so geschah es, erst überquerten Dankesschreiben und Briefe die Alpen, dann überquerte ich selbst die Alpen, um mir Ariodante und Serse anzuschauen.

Später haben Peter und ich uns persönlich kennengelernt, und wir haben uns verschworen wie weiland die ersten Christen, haben die Köpfe zusammengesteckt und in ehrfurchtsvollem Flüsterton über diese Musik gesprochen, die so ungemein lebendig ist und in unserem Leben so wichtig, ein Quell größter Freude ist. Über die Jahre und mit dem Besuch zahlreicher Händel-Opern in unterschiedlichsten Ländern bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß eine weit verbreitete, internationale Händel-Gemeinde existiert, denn es gibt Herren und Damen, die ich bei fast allen Händel-Opern sehe und mittlerweile wiedererkenne. Vielleicht gehen sie auch in Opern weniger bedeutender Komponisten, ich weiß es nicht. Wir unterhalten uns nie, aber wir grüßen einander mit einem freundlichen Kopfnicken.

Meistgelesen diese Woche:

Sollten wir die Katakomben eines Tages verlassen, so werde ich als erste den Vorschlag machen, daß Sir Peter zu Papst Peter I. gekürt wird. Angesichts dessen, was er während seiner Intendanz in München für den Meister getan hat, dürfte sich kaum Protest regen. Mit der Zeit und vielleicht, weil das Englische einen nicht in linguistische Sie- oder Du-Formalitäten zwingt, wurden Peter und ich schon bald Kameraden und dann Freunde. Er kam ein paarmal nach Venedig und ich fuhr zu jeder neuen Händel-Oper nach München. Oder wir trafen uns in Zürich zum Essen. Unsere Freundschaft vertiefte sich und wir sprachen auch über andere Dinge als Händel, über alles, was eine Freundschaft begründet und zusammenhält: Bücher, Maler und Bilder, Sänger und Gesang und wo es sich wie leben läßt; über Familie, das Wandern und die Politik; über Gründe zu glauben, es gäbe Hoffnung, daß die Welt ein weniger schrecklicher Ort werden könnte.

Wie immer, wenn eine Freundschaft gedeiht, spürte ich die Seelenverwandtschaft mit einem Menschen, dessen Sensibilität der meinen ähnlich und daher vernünftig schien. Wir entdeckten, daß wir dieselben Dinge absurd fanden: Vielleicht erkennt man erst mit dem Alter, wie wichtig das für eine Freundschaft ist, oder vielleicht wird es erst mit dem Alter unmöglich, über die Absurdität dessen, was uns an jeder Ecke begegnet, hinwegzusehen. Mittlerweile bewundere ich Peter nicht nur dafür, daß er Händel einem Publikum nähergebracht hat, das mit dessen Opern nicht vertraut war, und maßgeblich daran beteiligt war, einen Kontinent zu Händels Musik zu bekehren.

Ich bewundere ihn auch für Dinge, die wir an Freunden und geliebten Menschen bewundern: für seine Courage angesichts gesundheitlicher Probleme, denen er mit der typisch britischen »stiff upper lip« begegnet. Für seine kindliche Neugier auf Menschen und ihre Ambitionen; bestes Zeugnis dafür ist sein Geständnis, er setze sich in einem Züricher Restaurant immer an denselben Platz, weil er dort die zwielichtigen Geschäftsleute belauschen könne, die am Tisch auf der anderen Seite der Abtrennung ihren Lunch einnehmen. Ich bewundere ihn für seinen unerschütterlichen Entschluß, in den Ruhestand zu gehen, so sehr ich die Tatsache bedauere. Für die tiefe Sympathie, die er den Menschen, mit denen er zu tun hat, entgegenbringt, für seine Bereitschaft zu verstehen und, wenn es ihm möglich ist, zu verzeihen. Ich bewundere ihn dafür, daß ich ihn nie schlecht über einen Sänger reden hörte. Und dafür, daß er zum Smoking rote Socken trägt.