Auf der Suche nach Bin Laden

Als Kind liebte er Fury, als Teenager Hemden von Yves Saint Laurent. Heute ist Osama Bin Laden der meistgesuchte Terrorist der Welt. Seine Weggefährten berichten, wie es dazu kam.

I. DER MENSCH

Osama Bin Laden in einem Interview mit Al-Dschasira 1998: Wie wohl bekannt sein dürfte, wurde mein Vater, Scheich Mohammed Bin Awad Bin Laden, in Hadramaut im südlichen Jemen geboren. Schon in jungen Jahren begann er in Hedschas in Saudi-Arabien zu arbeiten. Eines Tages ließ Gott ihm eine Ehre widerfahren, wie sie keinem anderen Bauunternehmer jemals zuteil geworden ist: Er durfte die heilige Moschee in Mekka bauen und – weil Gott ihm wohl gesonnen war – auch die heilige Moschee in Medina.

Dschamal Khalifa, Bin Ladens Schwager: Osama vergötterte seinen Vater. Aber er starb, als Osama erst zehn war. Der Vater hatte nicht viel Zeit mit seinen Kindern verbracht. Er hatte insgesamt 54 Kinder und mehr als 20 Ehefrauen, verteilt über jede Menge Häuser. Deshalb sah er Osama nur bei offiziellen Anlässen. Osamas Mutter ist Syrerin, Osama das einzige Kind von ihr und Mohammed Bin Laden.
Brian Fyfield-Shayler, ein Engländer, der in Saudi-Arabien etlichen der Bin-Laden-Jungen Englisch-Unterricht gab: Alle Söhne sehen blendend aus. Ich glaube, ich habe nie einen hässlichen Bin Laden zu Gesicht bekommen. Es heißt, Osamas Mutter sei eine große Schönheit gewesen. Da sein Vater nie mehr als vier Ehefrauen gleichzeitig hatte, ließ er sich ständig von der dritten und vierten scheiden und holte sich zwei neue ins Haus: Das war selbst in den fünfziger und sechziger Jahren ein Anachronismus.
Im vierten Jahr, in dem ich dort unterrichtete, kam Osama in meine Klasse. Das war 1968, Osama war elf, einer von dreißig Schülern. Meist saß er in einer der hinteren Reihen, an der Fensterseite, und blickte nach draußen auf die Sportfelder und Spielplätze. Osama fiel mir wegen seines Familien-namens auf und natürlich wegen seiner Körpergröße – er ragte heraus, war größer als seine Klassenkameraden. Sein Englisch war allerdings ziemlich dürftig. Er zählte nicht zu den Hellsten in der Klasse.
Als Osamas Vater 1967 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, sorgte dies landesweit für Schlagzeilen. Und während des gesamten folgenden Jahres, wenn nicht sogar noch länger, war die Zukunft des Familienunternehmens völlig ungewiss. Damals waren vermutlich nur Salem [Osamas ältester Bruder] und drei oder vier andere Brüder überhaupt in dem Alter, um die Leitung der Firma übernehmen zu können. Salem war in England erzogen worden. Er war sehr verwestlicht. Sein Englisch war beeindruckend, sehr ausdrucksstark.
Salem war ein einmaliger Typ, charismatisch, amüsant, keine Gesichtsbehaarung. Er spielte Gitarre – Hits aus den Sixties wie Where Have All the Flowers Gone? Er war so etwas wie der Hofnarr des saudischen Königs Fahd. Manchmal trieb er es nach Ansicht des Königs jedoch ein bisschen zu toll. Als er einmal das Wüstenlager des Königs mit einem seiner Flugzeuge in extrem geringer Höhe überflog, wurde ihm das bei Hofe sehr übel genommen, aber am Ende wurde er dort wieder mit offenen Armen empfangen.
Christina Akerblad, ehemalige Besitzerin des »Hotel Astoria« in der schwedischen Stadt Falun, wo Salem Bin Laden und sein jüngerer Bruder Osama 1970 Urlaub machten: Sie fuhren in einem Rolls-Royce vor. Es war verboten, das Auto vor dem Hotel auf der Straße zu parken. Ich sagte zu ihnen: »Wenn Sie Ihr Auto hier abstellen, wird Sie das pro Stunde ein saftiges Bußgeld kosten.« Aber sie meinten nur: »Das ist uns egal – es ist ein Riesenspaß, zur Polizei zu gehen und mit den Polizisten zu plaudern.« Für die war das Ganze ein Witz. Ich fragte sie, wie sie es geschafft hatten, mit diesem riesigen Rolls-Royce nach Schweden zu gelangen. Sie sagten: »Dafür haben wir unser Flugzeug.« Sie blieben eine Woche, trugen jeden Tag feinste Anzüge. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, als ich einmal in ihr Zimmer kam: In eine Tasche hatten sie haufenweise weiße Oberhemden gestopft, von Dior und Yves Saint Laurent. Hatten sie ein Hemd einmal getragen, warfen sie es weg. Als das Zimmermädchen die Hemden waschen wollte, sagten sie: »Nein, die tragen wir nur einmal. Wenn Sie wollen, können Sie die behalten.

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Khaled Batarfi, Nachbarsjunge von Osama in Dschidda, als beide im Teenageralter waren: Ich war Kapitän der Fußballmannschaft, obwohl Osama älter war als ich. Da er sehr groß war, spielte er auf der Position des Mittelstürmers und seine Spezialität waren Kopfballtore. Ich war damals ein harter Bursche und Osama ein eher friedlicher Typ, schüchtern, brav. Er stand auf Westernfilme. Eine seiner Lieblingsfernsehserien war Fury. Außerdem mochte er Kung-Fu-Filme. Bruce Lee! Er fuhr gern zum Bergsteigen in das Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei und war ein passionierter Reiter.
Jeden Montag und Donnerstag fastete er, wie es auch der Prophet getan hat. Osama machte auch seinen Brüdern Vorhaltungen, wenn diese den Hausmädchen nachgafften, und er weckte sie stets zum Morgengebet. Mit 17 heiratete er seine Cousine in Latakia, einem wunderschönen Urlaubsort in Syrien, und ging dann an die Universität.
Dschamal Khalifa, Schwager, Kommilitone an der Universität in Dschidda: Ich lernte Osama 1976 kennen. Er studierte an einem anderen Fachbereich, Wirtschaftswissenschaften. Damals waren wir religiös und extrem konservativ. Natürlich keine Weibergeschichten – und keine Fotografien. Deshalb besitze ich auch keine Fotos von mir und Osama.
Osama Bin Laden, der sich 1997 an den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan erinnert, ein Ereignis, das hingebungsvolle junge Muslime wie ihn zutiefst schockierte. Das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hatte ein nicht muslimisches Land ein muslimisches angegriffen: Als ich die Radionachrichten hörte, stand für mich fest, dass ich unseren afghanischen Brüdern zu Hilfe eilen musste. Trotz der militärischen Stärke der Sowjets war uns Gott gnädig, denn es gelang uns, schweres technisches Gerät von Saudi-Arabien nach Afghanistan zu transportieren: Bulldozer, Bagger, Kipper und Maschinen zum Ausheben von Gräben. Als wir sahen, mit welcher Brutalität die Russen die Stellungen der Mudschaheddin bombardierten, gruben wir viele riesige Tunnel, die den Kämpfern fortan als Lagerräume dienten.
Khalid Khawadscha, ehemaliger pakistanischer Luftwaffenoffizier, der an der Seite von Bin Laden in Afghanistan gegen die Sowjets kämpfte: Ich nahm an der Schlacht von Dschadschi teil und wurde Bin Laden vorgestellt. Also, zunächst einmal, der Mann ist alles andere als ein Genie. Als ich ihn kennen lernte, war er dreißig. Er betete viel und lächelte andauernd – kein Mensch, von dem ich dachte, er könnte einmal Geschichte machen. Dem Mann fehlt jegliches Charisma. Er ist nicht besonders intelligent, verfügt aber über eine Hingabe und Opferbereitschaft, die irgendwie ihresgleichen suchen.
Khaled Batarfi, Nachbar aus Jugendtagen: Anfangs ging es ja noch nicht um den Dschihad, sondern nur um die Unterstützung des afghanischen Widerstands. Bin Ladens Mutter begann, sich Sorgen zu machen, und als er dann beschloss, ein Kämpfer zu werden, bekam sie es wirklich mit der Angst zu tun: Oh Gott, oh Gott! Und dann hörte sie, dass die Russen Chemiewaffen gegen die Mudschaheddin einsetzten. Von da an hockte sie pausenlos vor dem Fernseher und wartete auf Hiobsbotschaften.
Alia Ghanem, Osamas Muttera: Nach dem Tod seines Vaters, Mohammed, war sein älterer Bruder Salem für Osama wie ein Vater. Salems Tod [1988, bei einem selbst verschuldeten Flugzeugabsturz in den USA] betrübte Osama sehr.
Ein Verwandter von Bin Laden: Wäre Salem noch am Leben gewesen, so würde heute niemand Bücher über Osama Bin Laden schreiben. Salem hatte ein hitziges Temperament und er scheute sich nicht davor, Stunk zu machen. Er wäre persönlich in den Sudan [wo Osama von 1991 bis 1996 lebte] geflogen. Salem hätte Osama beim Schlafittchen gepackt und ihn ohne Zögern nach Saudi-Arabien zurückverfrachtet.

II. BIN LADEN UND SADDAM HUSSEIN
Khaled Batarfi, Nachbar aus Jugendtagen: Zum letzten Mal sah ich Osama 1990, sechs Monate, bevor die irakische Armee in Kuwait einmarschierte. Das war in Mekka, wo sich jeden Freitag eine Gruppe von Intellektuellen traf. Er tauchte dort auf, sprach über den Dschihad in Afghanistan und meinte dann, er müsse mit uns über Saddam reden. Er sagte: »Wir müssen unsere Leute ausbilden, unsere jungen Männer. Wir müssen unsere Armee vergrößern und uns auf den Tag vorbereiteten, an dem wir angegriffen werden. Diesem Typen Saddam kann man nicht trauen.« Er bezweifelte, dass Saddam ein Muslim sei.
Prinz Turki, ehemaliger Chef des saudischen Geheimdienstes, 2001 in der Zeitung »Arab News«: Bin Laden war fest davon überzeugt, er könnte eine Armee aufstellen, die in der Lage wäre, Saddams Streitkräfte in die Schranken zu weisen. Er war gegen die Entscheidung des Königreichs, befreundete Truppen – also 500 000 US-Soldaten – ins Land zu holen. Damit missachtete er die Fatwa der obersten islamischen Geistlichen. Ich erlebte nun eine radikale Veränderung von Osamas Persönlichkeit. Er verwandelte sich von einem friedfertigen und besonnenen Menschen in jemanden, der glaubte, er könnte eigenhändig eine Armee auf die Beine stellen, die dann Kuwait befreien würde. Darin zeigte sich seine grenzenlose Arroganz.

III. DSCHIHAD

Abdel Bari Atwan interviewte Bin Laden im November 1996, sechs Monate nachdem dieser wieder nach Afghanistan zurückgekehrt war: Ich wurde mit einigen anderen Leuten nach Tora Bora gebracht, dieses Gebirge mit Blick auf Dschalalabad. Man führte uns in die Lieblingshöhle von Osama. Es war eine sehr schlichte Höhle. Wir aßen gemeinsam zu Abend. Das Essen war schauderhaft. Es bestand aus verdorbenem Käse, echt ungenießbar, dazu Kartoffeln, die vor Baumwollsamenöl trieften, und fünf oder sechs Spiegeleiern. Außerdem Brot, an dessen Kruste Sandkörner klebten. Das war Osamas typisches Essen – schlimm. Er isst sehr wenig. Bin Laden gefällt dieses harte Leben.
Wir sprachen nicht über sein Privatleben, nie über seine Ehefrauen oder etwas in der Art – das war tabu. Um acht Uhr morgens nahm Osama mich auf eine zweistündige Führung durch Tora Bora mit. Draußen fror es, doch plötzlich begann die Sonne zu scheinen und es wurde wunderschön. Er zeigte mir die Häuser, die sich manche seiner Leute gebaut hatten, Lehmziegelhäuser. Sie versuchten, ihr eigenes Gemeinwesen zu errichten, ihre eigenen Nahrungsmittel anzubauen und heirateten untereinander – eine Oase mitten in Afghanistan. Bin Laden strotzte vor Gesundheit. Nur sein Mund war fast immer trocken. Ich bemerkte, dass er viel Wasser und viel Tee trank.
Er erzählte mir, wie sehr er die Amerikaner hasste und dass er sie sogar mit seinem Landwirtschaftsprojekt schlagen wollte. Er war sehr stolz, als er mir eine von ihm gezüchtete Sonnenblume in Rekordgröße aufwies: Sie war größer als jede amerikanische Sonnenblume. Er sagte: »Siehst du, ich habe sie sogar in der Landwirtschaft besiegt!
«Abu Dschandal, Osamas ehemaliger Chef-Leibwächter: Scheich Osama gab mir eine Pistole und machte mich zu seinem persönlichen Leibwächter. Die Pistole enthielt nur zwei Patronen. Mit diesen sollte ich Scheich Osama töten, falls er in die Hände des Feindes zu fallen drohte. Ich war das einzige Mitglied seiner Leibwache, das mit dieser Aufgabe betraut war, und ich durfte nur diese Pistole dazu benutzen. Also achtete ich darauf, dass die Patronen in einem guten Zustand blieben. Ich putzte sie jede Nacht und dabei sagte ich zu mir: »Dies sind die Kugeln für Scheich Osama. Ich bete zu Gott, dass ich sie niemals werde benutzen müssen.«
Sulayman Abu Ghaith, Sprecher von Al-Qaida, erinnert sich an den 11. September 2001: Ich saß mit dem Scheich Bin Laden in einem Zimmer. Dann ging ich in ein anderes Zimmer, in dem ein Fernseher lief. Ein arabischer Sender berichtete gerade von dem großen Ereignis. Auf dem Bildschirm sah man eine ägyptische Familie, die in ihrem Wohnzimmer saß – sie waren außer sich vor Freude. Ich rannte zurück zum Scheich, der zusammen mit fünfzig oder sechzig Leuten nebenan saß. Ich wollte ihm berichten, was ich gerade gesehen hatte, doch er machte eine Geste, die besagte: »Ich weiß, ich weiß.«
Hamid Mir, pakistanischer Biograf Osamas: Natürlich sieht Bin Laden fern, meist CNN oder BBC. Als ich ihn nach dem 11. September traf, sagte er zu mir: »Ich habe Sie vor ein paar Tagen in der Talkshow von Larry King gesehen, und Sie haben zu King gesagt, Osama Bin Laden sei nicht sehr überzeugend, wenn er über religiöse Dinge spricht, hingegen sehr überzeugend, wenn er über Politik spricht. Also werde ich Sie heute in einigen religiösen Fragen überzeugen.« Ich sagte zu ihm: »Sie haben sich die Talkshow von Larry King angeschaut?« Er sagte: »Ja, ich führe einen großen Krieg und da muss ich die Aktivitäten meines Feindes überwachen.«

IV. TORA BORA

Abu Dschaafar al-Kuwaiti, ein Al-Qaida-Kämpfer: 14. November 2001: Der Mudschahed-Scheich Osama Bin Laden und seine Spezial-eskorte trafen in dem 2750 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Stützpunkt im Tora-Bora-Gebirge ein – ein extrem unwegsames Gelände mit eisigen Temperaturen. Wir waren bei ihm. Dieser Stützpunkt verfügte über mehr als 15 Schützengräben, die die Mudschaheddin vor den wahnsinnigen Luftangriffen der Amerikaner schützen sollten, die fünf Tage zuvor begonnen hatten. Diese Gräben hatten wir mit unseren eigenen Händen ausgehoben, unterstützt von unseren Brüdern, den afghanischen Mudschaheddin. Wir bemerkten eine Zunahme der Flüge unbemannter US-Aufklärungsdronen, die den Luftraum kontrollierten.
Am 9. Dezember 2001 wurden wir tief in der Nacht durch das Krachen massiver Explosionen aus dem Schlaf gerissen. Die Bomben hatten genau an der Stelle eingeschlagen, wo sich der Graben von Scheich Osama Bin Laden befand. Die Nacht war noch sehr lang und mit bangen Herzen warteten wir auf den Morgen, denn erst dann konnten wir feststellen, was dieser barbarische Luftangriff angerichtet hatte.
Am Morgen erhielten wir dann die schreckliche Nachricht! Der Graben von Scheich Osama war völlig zerstört worden – genau dort, wo der Scheich jeden Tag herausgeklettert war, um sich ein Bild vom Fortgang der Schlacht zu machen. Doch Gott sorgte dafür, dass Osama Bin Laden am Leben blieb, denn dieser hatte den Bunker zwei Tage zuvor verlassen und eine neue, nur zweihundert Meter entfernte Stellung bezogen.
Abdellah Tabarak, ein marokkanischer Leibwächter Bin Ladens: Nach dem Beginn der US-Luftangriffe auf Afghanistan verließ ich Kandahar zusammen mit Bin Laden, Ayman Al-Zawahiri [Nummer zwei der Al-Qaida] und mehreren Leibwächtern. Im Monat Ramadan desselben Jahres begaben wir uns nach Tora Bora, wo wir zwanzig Tage blieben. Von dort floh Ayman Al-Zawahiri, begleitet von Uthman, einem Sohn Bin Ladens. Danach floh Bin Laden mit seinem Sohn Mohammed, begleitet von afghanischen Leibwächtern, während ich mich mit einer aus Jemeniten und Saudis bestehenden Gruppe in Richtung Pakistan absetzte. An einem Grenzkontrollpunkt wurden wir von den pakistanischen Behörden festgenommen und den Amerikanern übergeben, die uns dann in das Gefangenenlager Guantanamo deportierten.
Abdel Bari Atwan, der Bin Laden 1996 in Tora Bora interviewte: Es überraschte mich nicht, dass Osama 2001 in Tora Bora war. Ich erwartete, dass er sich dorthin zurückziehen würde. Ich hielt mich damals in der Golf-region auf und dort traf ich jemanden von Al-Qaida, der mir erzählte, Osama Bin Laden sei bei der Bombardierung von Tora Bora verletzt worden – man habe ihn an der linken Schulter operieren müssen. Als ich dann seine erste Videobotschaft sah, unmittelbar nach der Bombardierung von Tora Bora, merkte ich sofort, dass mit seiner linken Schulter etwas nicht stimmte. Die Schulter wirkte sehr steif und man sah auch, dass er seine linke Hand nicht bewegen konnte. Viele Leute von Al-Qaida nahmen es mir damals übel, dass ich dies öffentlich sagte, denn sie wollten auf keinen Fall, dass es hieß, Bin Laden sei verletzt worden.

V. DER IRAKKRIEG

Sayf Adel, militärischer Kommandeur von Al-Qaida, über die Vorbereitungen auf den Irakkrieg: Abu Musab Al-Zarqawi und seine jordanischen und palästinensischen Kameraden entschlossen sich, in den Irak zu gehen. Wegen ihrer Hautfarbe und ihres jordanischen Dialekts würde es ihnen nicht schwer fallen, sich unter die irakische Bevölkerung zu mischen. Unsere Einschätzung war, dass die Amerikaner früher oder später den Fehler machen würden, im Irak einzumarschieren. Somit würden wir eine wichtige Rolle im Widerstand spielen.
Im Gegensatz zu der ständig wiederholten Behauptung der Amerikaner hatte Al-Qaida keinerlei Beziehung zu Saddam Hussein oder zu seinem Regime. Wir mussten eigens einen Plan ausarbeiten, um in den Irak zu gelangen. Das ging nur über den Norden, denn dieser stand nicht unter der Kontrolle des Saddam-Regimes. Von dort aus sickerten wir in den Süden ein, in die Gebiete unserer sunnitischen Brüder. Unsere Brüder von Ansar al Islam [eine im nördlichen Irak verwurzelte Gruppe kurdischer Dschihad-Kämpfer] halfen uns. Unser Ziel bestand darin, in die sunnitischen Gebiete im zentralen Irak zu gelangen, uns dort auf den Kampf gegen die US-Invasoren vorzubereiten und diese vernichtend zu schlagen.
Hutaifa Azzam kennt nicht nur Bin Laden seit über 15 Jahren, sondern auch Abu Musab Al-Zarqawi, der heute als Al-Qaida-Anführer im Irak gilt: Bevor er in den Irak ging, hatte Zarqawi keine Beziehung zu Osama. Seine Beziehung zu ihm begann erst vor einem Jahr, 2004, über das Internet.
Donald Rumsfeld, US-Verteidigungsminister, vor dem Council on Foreign Relations am 4. Oktober 2004: Im Fall von Al-Qaida habe ich den Eindruck, dass die meisten hochrangigen Leute Osama Bin Laden tatsächlich die Treue geschworen haben, aber ich glaube nicht, dass Zarqawi, der Kopf des terroristischen Netzwerks im Irak... Also meines Wissens hat Zarqawi bis zum heutigen Tag keinen solchen Eid abgelegt.

VI. BIN LADENS VERMÄCHTNIS

Abdel Bari Atwan, der Bin Laden 1996 interviewte: Hinsichtlich Osama Bin Laden wird es unterschiedliche Bewertungen geben. Manche werden ihn als einen Helden sehen. Andere werden ihn als eine Katastrophe betrachten, denn durch den 11. September wurde Amerika überhaupt erst dazu gebracht, in die Region zu kommen und den Irak zu besetzen.
Ich glaube, Osama hat den Amerikanern erst die Augen dafür geöffnet, was für ein Fehler es war, diese verkommenen, korrupten Diktaturen in der arabischen Welt zu unterstützen. Erst nach dem 11. September dämmerte ihnen, dass sie mit Regimen liiert sind, die in dieser Region für große Unzufriedenheit sorgen, eine Unzufriedenheit, die diesem Radikalismus den Boden bereitet – dass diese Regime im Grunde für den antiwestlichen islamischen Fundamentalismus verantwortlich sind.
Noman Ben Othman, der in den frühen Neunzigern mit Al-Qaida in Afghanistan kämpfte: Kurzfristige Taktik hat über weitsichtige Strategie gesiegt. Inzwischen dreht sich alles nur noch ums Zerstören. In Afghanistan, im Irak; und nun auch in Amerika, in Europa. Man kann mit Osamas Leuten nicht mehr vernünftig reden. Die können nur noch töten, schießen, sich selbst in die Luft sprengen. Ich glaube, dass Bin Laden und seine Gruppe nichts erreichen werden. Sie werden dabei scheitern, ihr Ziel zu verwirklichen, und was Bin Ladens Glaubwürdigkeit betrifft – die nimmt nicht zu, sondern ab.
Dschamal Ismail, palästinensischer Korrespondent für Al-Dschasira: Sollte Bin Laden getötet werden, gibt es unter den anderen Dschihad-Führern keine vergleichbar charismatische Persönlichkeit.

Khalid Khawadscha, der mit Bin Laden in Afghanistan kämpfte: Osama wird sich nie gefangen nehmen lassen. Er ist nicht Saddam Hussein. Er ist Osama. Osama liebt den Tod. Bin Laden hat seine Aufgabe erfüllt. Osama hat die schlafenden Bin Ladens geweckt.