14.04.2009
Ich will meinen Einfluss auf das Weltgeschehen wirklich nicht überbewerten, aber immer wenn ich in Thailand bin, herrscht Revolution.
Letztes Mal, im November, wollten die in gelb gekleideten Demonstranten den Ministerpräsidenten ablösen und haben deshalb tagelang den internationalen Flughafen von Bangkok blockiert. Zehntausende von Touristen konnten nicht losfliegen, darunter ich. Jetzt tragen die Demonstranten rote Hemden und fordern, dass der, der vor dem abgelösten Ministerpräsidenten Ministerpräsident war, wieder Ministerpräsident wird. Glaube ich.
Ich bin nicht in Bangkok, wo die Unruhen stattfinden, auch nicht in Pattaya, wo sie ihren Ursprung nahmen, sondern in Koh Chang, einer Insel vor Kambodscha. Aufgeregt sind vor allem meine Familie und meine Freunde in Deutschland, die mitten in der Nacht eine besorgte SMS um die andere schicken, während ich schlafen will, aber sie haben gerade die Abendnachrichten gesehen und machen sich Sorgen, während es hier mitten in der Nacht ist. Im Fernsehen zeigen sie Bilder von Demonstranten, die Rauchbomben werfen und Busse demolieren, aber auch von solchen, die vor den Soldaten niederknien und ihnen eine Blume schenken, schließlich wird hier seit drei Tagen Songkrang gefeiert, Neujahr, und die Soldaten sollen auch eine Freude haben.
Wie schon beim letzten Mal fühle ich mich vollkommen sicher hier, vielleicht ein Fehlurteil. Meine Familie wünscht sich, dass ich künftig an der Mecklenburgischen Seenplatte Ferien mache. Ich habe aber insgeheim schon meinen nächsten Urlaub in Thailand geplant. Wenn allerdings ein Zollbeamter einen Datenabgleich macht und sieht, wann ich in Thailand gewesen war, lässt er mich vielleicht nicht wieder rein, einfach um keine neuen Unruhen zu provozieren.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, was unsere Kollegin vor einigen Monaten in Thailand erlebt hat.
02.12.2008
Drei Computer und geschätzte 3.000 Leute, die ran wollen. Es muss also schnell gehen. Wir sind jetzt in Uta Pao, einem kleinen Militaerflughafen, 200 km von Bangkok entfernt, heute morgen um vier Uhr aufgebrochen, jetzt ist es drei Uhr nachmittags und wir sollen gleich ins Flugzeug steigen.
Ein unglaubliches Chaos und eine ebenso unglaubliche organisatorische Meisterleistung. Auf dem Flughafen starten wohl normalerweise fünf Militärflugzeuge am Tag, jetzt warten hier täglich 15.000 Menschen ausgeflogen zu werden, es gibt keine Wartehallen, nur zwei Sicherheitsschleusen, keinen Schatten und eine Schlange von etwa hundert Bussen.
Wir warten jetzt seit drei Stunden. Im Bus ist es kühl aber langweilig, draußen tobt das Leben bei gefühlten 40 Grad. Menschen, die nach Hongkong fliegen wollen, nach Moskau, nach Muscat oder nach Düsseldorf wie wir. Fliegende Händler, die Bier verkaufen, Frauen, die Hühnchen kochen und Nudeln und Reis, ein paar wollen auch noch Souvernirs an Touristen losbringen. Die machen jetzt ein gutes Geschäft. Wundern würde es mich nicht, wenn diese Händler Durchhalteparolen an die Demonstranten, die die Flughäfen Bangkoks besetzt halten, schicken würden.
Die Stimmung ist keine Sekunde aggressiv, wie ja ganz wenig in Thailand aggressiv wirkt, auch wenn die Demonstranten in Bangkok angeblich eine Bombe gezündet haben. In ein paar Minuten soll das Schild Düsseldorf hochgehalten werden. Bis dahin wollen noch ein paar hundert Leute hinter mir ihre Mails an ihre Lieben daheim schreiben. Ich muss Platz machen.
Drücken Sie mir bitte die Daumen, dass es klappt mit dem nach Hause kommen, ja? Danke.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Stimmungsbild vom Flughafen Bangkok.)
30.11.2008
Jetzt sind wir schon 160 000. Bis vorgestern waren wir 100 000. Morgen werden wir wohl 200 000 Touristen sein, die seit einer Woche in Thailand festsitzen.
Krisenmanager wäre der Beruf der Stunde. Krisenmanager bei einer Airline, die ihre Passagiere irgendwie ausfliegen soll, von einem Militärflughafen 200 km von Bangkok entfernt, oder von Phuket im Süden oder Chiang Mai im Norden. Alle Touristen, die Pauschalreisenden vielleicht ausgenommen, fühlen sich schlecht behandelt von ihrer Airline.
Am Telefon: Warteschleifen, genervte Telefonistinnen. In den Stadtbüros der Fluggesellschaften sind die Türen abgesperrt, weil man dort mit dem Ansturm der Touristen und ihren Fragen überfordert ist. Fast alle versprechen Rückrufe, auf fünf versprochene Rückrufe kommt ein tatsächlich erfolgter.
Ich meine: Wie leicht ist es, eine gute Fluggesellschaft zu sein, wenn die Zeiten in Ordnung sind? Aber wenn die Zeiten schlecht sind – dann kommt es doch darauf an, oder? Alle Passagiere wollen nur eins: als Mensch ernst genommen zu werden. Wenn ich eine Fluggesellschaft besäße, Mensch, da würde ich einen Service bieten, würde die Leute zurückrufen und ihnen versprechen,
dass sie von mir hören, sobald es etwas Neues gibt. Und es einhalten.
Würde nicht jammern: "Können Sie sich vorstellen, was bei uns los ist?" Natürlich ist so viel los, weil alle Passagiere ständig anrufen, weil sie nicht zurückgerufen werden. Weil Zusagen nicht eingehalten werden. Ein Tourist neben mir sagte eben: "Kein Wunder, dass sich immer mehr Menschen Privatjets kaufen." Da ist was dran.
Übermorgen werden wir wohl 230 000 sein. Der Flughafen in Bangkok, so hört man, soll noch die ganze Woche geschlossen bleiben. Tausende demonstrieren dort, die "Kronjuwelen der thailändischen Wirtschaft" nennt sie der Nachrichtensprecher der BBC, weil eine Nation wie Thailand vom Export und vom Tourismus lebe.
Dass die Flughäfen besetzt sind, weiß ich, weil BBC-World, die Deutsche Welle und CNN davon berichten. Das heißt, seit den Massakern in Mumbai läuft diese Nachricht nur noch als Schleife am unteren Bildschirmrand, es gibt kaum noch Bilder. Ohne das Fernsehen hätte ich überhaupt nicht gemerkt, dass hier Ausnahmezustand herrscht. Ich muss an meinen Großvater denken, der immer erzählte, in den Städten hätte man jahrelang fast gar nichts vom Krieg bemerkt. Mich hat das fassungslos gemacht, damals.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Frauen in Thailand nur knapp über den Tieren rangieren.)
Als das Fernsehen noch Bilder von der Flughafenbesetzung zeigte, sah man ständig den Anführer der Demonstranten und im Gegenschnitt den Premierminister und den Polizeipräsidenten und einen hohen General. Und erst nach ein paar Tagen wurde mir klar, warum ich fand, dass etwas nicht stimmte mit diesen Bildern, auf denen man lauter wichtige Männer sah: Weil einem im Alltag Thailand wie ein Land ohne Männer vorkommt. Sie sind da, aber sie fallen nicht auf, sie fahren die Autos, spielen Polizei und erledigen die Bauarbeiten. Aber auf ihre Weise sind sie unsichtbar und völlig unscheinbar.
Wer hier die Kraft hat und das Auftreten und die Ausstrahlung, wer das Leben und den Alltag managt, das sind die Frauen. Unendlich viele unendlich schöne Frauen, selbstbewusst, wunderbar angezogen, laut lachend. In den Geschäften, den Straßenküchen, den Hotels, auf den Straßen die Händlerinnen – fast nur Frauen, oft noch ein, zwei Kinder im Schlepptau. Trotzdem haben sie nicht
viel zu melden, offiziell. Im Buddhismus, der hier praktiziert wird,
rangieren sie knapp über den Tieren. Es ist nicht wirklich vorstellbar, dass sie sich das noch lange gefallen lassen.
Hier im Hotel gibt es natürlich nur ein Thema: Wann fliegt ihr zurück? Hat euch die Fluggesellschaft schon angerufen? Wann ruft ihr wieder an und fragt? Ist es besser zu mailen oder anzurufen? Und ja: Auch um die Flüge und das Heimkommen scheinen sich nur die Frauen zu kümmern. Die Männer liegen am Pool und schlafen.