Wenn er nachts wach liegt, erzählt Juan Carlos Lecompte, muss er immer an seine Frau denken. Würde er schlafen, wäre es ein Albtraum. Juan Carlos Lecompte ist 48, er war Vizepräsident einer der größten Werbeagenturen Kolumbiens. Zu seinen Kunden gehörten Palmolive und Pepsi, er verdiente gutes Geld, besaß zwei Apartments in Bogotá und fuhr einen BMW. Der Bürger- und der Drogenkrieg in Kolumbien, die Morde und Entführungen es interessierte ihn nicht. »Ich habe gelebt wie in einer Blase«, sagt Lecompte.
Er ist auf dem Weg nach La Dorada, zum modernsten Hochsicherheitsgefängnis Kolumbiens, gelegen vier Autostunden von Bogotá entfernt. Denn seit drei Jahren führt Lecompte ein anderes Leben. Es begann am 23. Februar 2002, als seine Frau Ingrid Betancourt, Präsidentschaftskandidatin der Grünen, von Rebellen der Farc, der linken Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens, entführt wurde. »45 Jahre ging es mir total gut«, sagt Lecompte. »Jetzt habe ich keinen Job mehr und bin fast pleite. Gestern war ich im Amazonasgebiet auf der Suche nach Ingrid, heute fahr ich ins Gefängnis. Und was morgen passiert, weiß ich nicht. Das totale Chaos.« Lecompte nimmt noch einen Zug von der Zigarette, dann wirft er sie aus dem Wagenfenster. Das letzte Lebenszeichen seiner Frau stammt von einem Video ihrer Entführer es ist 22 Monate alt. Blass und erschöpft saß sie irgendwo im Dschungel Kolumbiens und sagte: »Juan, ich liebe dich. Und mit der Liebe ist es wie mit dem Wasser irgendwann fließt sie wieder zusammen.« Der Besuchsraum des Gefängnisses besteht aus einem Dutzend Betontischen mit je zwei Steinbänken. Zwischen den Tischen sind Metallgestänge im Boden verankert, um die Häftlinge daran festzuketten. Dumpfe Hitze dringt durch eine Öffnung in der Decke. Die Wärter nehmen dem Häftling er soll hier Eduardo Reyes heißen die Handschellen ab, dann verlassen sie den Raum und schließen die Gittertür. Reyes ist etwa 40, ein gedrungener, stämmiger Mann in Jogginghose, T-Shirt und Turnschuhen. Er hat ein gewinnendes Lächeln, eine sonore Stimme. Und bestimmt ein Dutzend Menschen auf dem Gewissen. Eduardo Reyes ist einer der Anführer der Farc, der ältesten und größten Rebellengruppe Kolumbiens. Sie führt seit vierzig Jahren Krieg gegen die Regierung. Reyes wurde 1998 gefasst, doch sein letzter Mord liegt nur ein paar Monate zurück: Als seine Familie ihn im Gefängnis besuchen wollte, versuchten Rebellen der rechten Paramilitärs, sie zu entführen. Reyes brachte daraufhin den Anführer der Paramilitärs im Gefängnis um. Mit bloßen Händen.
Lecompte hat Reyes vor zwei Jahren schon einmal besucht. Damals habe er Angst vor der Begegnung gehabt, sagt Lecompte. Jetzt begrüßen sich die beiden mit Handschlag. Sie führen Smalltalk, so gut, wie das zwischen einem Häftling und einem verzweifelten Mann eben geht. Über die Haftbedingungen und die Situation draußen.
3000 Menschen sind in Kolumbien zurzeit Geiseln professioneller Gangster oder einer der Rebellengruppen. Die meisten wurden entführt, um Lösegeld zu erpressen, sechzig Menschen aber sind aus politischen Gründen in der Gewalt der Farc. Darunter neben Ingrid Betancourt Exminister und Kongressabgeordnete. Sie sind das Faustpfand in einem Ringen um Anerkennung und Macht. Denn während die politischen Gefangenen unter früheren Präsidenten regelmäßig ausgetauscht wurden, weigert sich die rechtskonservative Regierung, mit der Farc zu verhandeln. Ingrid Betan-court und Eduardo Reyes aber stehen ganz oben auf der Liste der »austauschbaren Gefangenen«, wenn es eine Einigung geben sollte, wären sie die Ersten, die freikommen würden.
»Also«, fragt Reyes schließlich, »weshalb bist du gekommen?«
»Ich will ein Lebenszeichen von Ingrid. Eine kleine Karte, nur eine Zeile.«
»Ich verstehe deine Situation, wirklich, von ganzem Herzen«, antwortet Reyes. »Nur muss ich auch an die Farc denken.«
»Ingrid ist eine politische Gefangene, du bist ein politischer Gefangener. Aber dich kann deine Familie besuchen«, beharrt Lecompte. »Ihr seid mir ein Lebenszeichen schuldig, es ist mein Recht.«
»Ich weiß nicht, ob das im Interesse der Farc ist.«
»Soll ich dir sagen, was mich wirklich ankotzt?«, erwidert Lecompte. »Die Geiseln sind auch für euch nur Spielmaterial. Die Farc ist kein bisschen besser als die Regierung.«
»Du bist jetzt emotional, das verstehe ich«, sagt Reyes ruhig. »Das kann dir niemand übel nehmen. Aber du sollst wissen, Ingrid und du ihr seid nicht unsere Feinde.«
»Aber ihr seid meine Feinde. Ihr habt meine Frau entführt.«
Wenn er dann nachts wach liege, erzählt Lecompte auf der Fahrt zurück nach Bogotá, habe er immer dieselben Bilder von seiner Frau im Kopf: »Ein kleiner Holzverschlag, eine dünne Matte auf blankem Boden, Hitze. Eine verzweifelte Situation.« Vielleicht, hat Eduardo Reyes nach dem zweistündigen Gespräch noch gesagt, könne er Kontakt zu seinen Kameraden aufnehmen. Und vielleicht könne er sie dazu bringen, Lecompte ein Lebenszeichen von seiner Frau zu übermitteln. Diese »Vielleichts« begleiten Lecompte jetzt seit drei Jahren. Sie machen ihn mürbe.
Es war ein Samstagmorgen, als seine Frau zu ihm sagte: »Ich versuche, noch heute zurückzukommen. Sonst bestimmt morgen.« Es waren Ingrid Betancourts letzte Worte an ihren Mann. Für einen Wahlkampfauftritt will sie den kleinen Ort San Vicente, 450 Kilometer südlich von Bogotá, besuchen. Ursprünglich sollte der Präsident sie von der nächstgelegenen größeren Stadt in seinem Hubschrauber mitnehmen, sagt aber im letzten Moment ab. Ingrid Betancourt fährt mit dem Auto, auch wenn die Polizei sie warnt: Die Strecke ist nicht sicher. Nach acht Jahren in der kolumbianischen Politik hat sie sich an solche Bedrohungen gewöhnt. Gegen 15 Uhr, nach zwei Stunden Fahrt, werden Ingrid Betancourt und ihre Begleiter Wahlkampfhelfer und zwei Journalisten von der Farc angehalten. Die Männer der Gruppe dürfen nach ein paar Stunden weiterfahren, Ingrid Betancourt und ihre Wahlkampfhelferin Clara Rojos bleiben in der Gewalt der Farc.
Lecompte erfährt am Abend von der Entführung. Er geht davon aus, dass die Farc seine Frau nach wenigen Tagen wieder freilassen wird. Denn Ingrid Betancourt ist eine Galionsfigur der Linken und hat sich immer für einen Dialog zwischen Regierung und Rebellen eingesetzt. Durch ihren Kampf gegen die Korruption wurde sie in ganz Kolumbien bekannt, ihr Buch, Die Wut in meinem Herzen, erschien in 13 Sprachen. Lecompte lässt eine lebensgroße Pappfigur von seiner Frau anfertigen und macht weiter Wahlkampf: Wenn sich die Präsidentschaftskandidaten der anderen Parteien in den politischen Talkshows treffen, stellt er die Pappfigur dazwischen. Nach zwei Wochen dann die erste Nachricht der Farc: Ingrid Betancourt werde mindestens ein Jahr in Geiselhaft bleiben.
Es ist halb acht Uhr morgens, Lecompte sieht etwas grau im Gesicht aus, die sonst kräftigen braunen Augen matt. Die Universität Javeri-ana in Bogotá hat ihn eingeladen, damit er zwanzig Psychologiestudenten seine Geschichte erzählt. In einem neuen Studiengang sollen sie lernen, später einmal Entführungsopfer und deren Ange-hörige zu behandeln. Lecompte berichtet, wie er mit den ständigen »Vielleichts« umgeht. Vor allem mit der Ungewissheit, ob seine Frau überhaupt noch lebt. Er tut das gern, er sieht es als Therapie.
»Ich glaube nicht, dass die Entführer sie erschießen«, sagt Lecompte und macht mit seiner rechten Hand eine Bewegung, als feuere er eine Pistole ab. Aber sie könnte auf eine Mine getreten oder bei einem Luftangriff der Militärs auf die Rebellenstellung umgekommen sein. »Ich denke, dass sie noch lebt, aber ich bin mir nicht hundertprozentig sicher.« Lecompte erzählt, dass er manchmal tagelang deprimiert sei. Dass er dann morgens gar nicht erst aufstehen will. »Aber dann klingelt wieder das Telefon, irgendjemand ruft an wegen Ingrid. Und ich mache weiter, so als liefe ich auf Autopilot.« In der vergangenen Woche erst hat er in einer waghalsigen Aktion 7000 Fotos von einem kleinen Flugzeug aus über dem Dschungel abgeworfen. Dort, wo er seine Frau vermutet. Es waren Bilder ihrer beiden Kinder, die sie aus Angst vor Anschlägen schon vor Jahren zu ihrem ersten Mann nach Paris geschickt hatte. »Ich wollte, dass Ingrid die beiden wiedersieht.«
In ihrem Buch beschreibt Ingrid Betancourt, wie sie mit Lecompte oft bis zum Morgengrauen diskutiert. Wie er ihr einen Heiratsantrag macht. Genau in dem Moment, als ihre Gegner ihre politische Karriere durch einen Schauprozess fast zerstört hatten. Wie er sie dazu drängt, die Grüne Partei zu gründen, und seinen Job aufgibt, als sie als Präsidentschaftskandidatin antritt. Lecompte, der Werber, erfindet den Namen »Verde Oxígeno«, grüner Sauerstoff, für die Partei und lässt die Helfer Viagra verteilen: »Damit Kolumbien wieder hochkommt.« Er sagt, er verabscheue die Politik. »Aber ich habe verstanden, dass Kolumbien eine Frau wie Ingrid braucht.«
Ein paar Wochen nach ihrer Entführung geht er zum Radiosender Caracol, der seine Frequenz samstagnachts den Angehörigen der Entführten zur Verfügung stellt, und macht ein Versprechen: »Ingrid, ich werde alles tun, damit du freikommst.« Er lässt sich ihr Gesicht auf den Oberarm tätowieren, morgens bleibt er in der Nähe des Telefons und wartet auf den erlösenden Anruf: »Ich bin frei.«
Der neu gewählte Präsident Kolumbiens, Álvaro Uribe, erklärt ihm, er wisse, wo seine Frau gefangen gehalten werde. Er wolle sie von der Armee befreien lassen. Lecompte lehnt ab. »Wenn die Rebellen nur einen Soldaten sehen, bringen sie Ingrid um.« Stattdessen versucht er Kontakt zu den Entführern aufzunehmen, einmal steht er kurz davor, ein Mitglied der Farc zu treffen. Doch die Regierung streut das Gerücht, Ingrid Betancourt werde bald frei sein, und verhindert so die Begegnung. Also reist Lecompte durch Europa, trifft den EU-Ratspräsidenten Jean-Claude Juncker, den französischen Außenminister, den Bürgermeister von Rom. Er will sie dazu bringen, Druck auf die kolumbianische Regierung auszuüben, damit sie sich zu einem Gefangenenaustausch bereit erklärt.
In Europa wird Ingrid Betancourt, die in Frankreich aufwuchs und in Paris studierte, als Heldin gefeiert, als die Jeanne d'Arc Kolumbiens. Mehr als 200 Komitees streiten für ihre Freilassung, mehr als 1300 Städte haben sie zur Ehrenbürgerin ernannt. In Kolumbien muss Lecompte dagegen mit einer kugelsicheren Weste auftreten. Und wenn über seine Frau berichtet wird, dann meist kritisch: als ein verwöhntes Mädchen, das Politik spielte und verlor.
Im Februar 2004 muss der Präsident Kolumbiens auf seiner Europareise vor einem halb leeren EU-Parlament sprechen, in Berlin und anderen Städten demonstrieren tausende gegen seine Politik. Ein Eklat, für den in den kolumbianischen Medien die Familie Betancourt und Lecompte verantwortlich gemacht werden. Ein paar Tage später klingelt Lecomptes Mobiltelefon. »Hör zu, du Schwein«, sagt eine Männerstimme, »wenn du Scheiße über den Präsidenten erzählst, machen wir dich kalt.« Am Abend ruft derselbe Mann bei ihm zu Hause an. Er sagt: »Entweder du schweigst. Oder wir bringen dich zum Schweigen.« Im Frühjahr 2004 flieht Lecompte nach Miami, setzt sich für ein halbes Jahr in das Haus eines Freundes und schreibt seine Geschichte auf. Er nennt das Buch Auf der Suche nach Ingrid, er sagt, er habe es für sie geschrieben. »Als ich fertig war, habe ich das Buch in eine Schublade gesteckt und gesagt: Da liegt mein Problem.« Dann geht er zum ersten Mal seit der Entführung seiner Frau für ein paar Abende aus. »Aber am Ende«, sagt Lecompte, »war doch alles wieder wie vorher.«
Francisco Santos weiß, wie es einem in Geiselhaft ergeht. 1990 war er acht Monate in den Händen des berüchtigten Drogenbosses des Medellínkartells, Pablo Escobar. Santos' Familie gehört die wichtigste Tageszeitung Kolumbiens, El Tiempo, und inzwischen ist er Vizepräsident des Landes. Beim Namen Ingrid Betancourt verdreht er die Augen und fragt genervt: »Was habt ihr Europäer bloß mit ihr?« Santos will lieber über die Erfolge der Regierung sprechen: 20000 statt 23500 Morde im Jahr, 1440 statt 2200 Entführungen, zum ersten Mal seit Jahren könnten einige der Hauptstraßen Kolumbiens wieder gefahrlos befahren werden. Und vor 13 Monaten habe der »Plan Patriota« begonnen, der größte Militäreinsatz gegen die etwa 18000 Rebellen der Farc überhaupt. »Wir packen sie am Hals«, sagt Santos und macht mit beiden Händen eine Bewegung, als wolle er jemanden erwürgen. »So zwingen wir sie an den Verhandlungstisch.« >
Politische Beobachter kritisieren, dass die Ruhe in Teilen des Landes kaum von Dauer sei und nur mit einem massiven Einsatz der Armee erkauft wurde; dass die Regierung, während sie hart gegen die linken Rebellen vorgehe, mit den rechten Paramilitärs paktiere.
»Sie können mir glauben, dass ich Herrn Lecompte verstehe«, sagt der Vizepräsident zum Abschied. »Ich kenne Geiselhaft. Aber die Regierung hat ihre Prinzipien.«
Beim Besuch von Lecomptes Wohnung ist es, als betrete man einen Schrein. Ölgemälde und Fotos zeigen Ingrid Betancourt als Baby, als Mädchen und als Frau; mit ihrer Mutter, mit dem Vater. In dem begehbaren Schrank stehen ihre geputzten Stiefel, darüber hängen ordentlich ihre Kleider, im Bad liegt ihr Schmuck und auf dem Wohnzimmertisch ihr Buch in 13 Sprachen. Lecompte sitzt mit einer grauen Decke über den Schultern auf dem Boden des Schlafzimmers. Neben ihm stehen die Reste seines Abendessens, Pommes frites mit Ketchup und Mayonnaise, drum herum stapeln sich Bücher, Unterlagen und Zeitungsausrisse aus drei Jahren: Interviews mit Lecompte über sein Buch in Paris Match, im Figaro, in France Soir, in amerikanischen Zeitungen und einer brasilianischen. Fotos, die ihn mit der Grünen-Chefin Claudia Roth oder mit Venezuelas Präsident Hugo Chávez zeigen. Berichte darüber, wie er mit ein paar Mitstreitern im vergangenen Jahr die Catedral Primada, die bedeutendste Kirche Kolumbiens, besetzte, um für einen Gefangenenaustausch zu demonstrieren.
Er wiegt einen der Stapel in seiner Hand, er wiegt offensichtlich schwer. Er ist der Beweis dafür, dass er viel getan hat, um seine Frau zu befreien. Und Lecompte denkt bereits über eine neue Aktion nach, so eine wie die Besetzung der Kirche, »nur spektakulärer«. Er will erreichen, dass die Präsidentschaftskandidaten im Wahlkampf den Gefangenenaustausch auf ihre Agenda nehmen. »Damit der Präsident endlich reagiert, muss ich den Druck noch erhöhen.«
Könnte es nicht sein, dass der Druck längst hoch genug ist? Dass er alles getan hat, was er kann?
Statt zu antworten, geht Lecompte zum Regal und kramt ein Video hervor. Es zeigt seine Frau bei einer ihrer letzten Reden, aufgenommen bei einem Treffen der Präsidentschaftskandidaten mit Anführern der Farc und einer Regierungsdelegation. Schweigend hockt Lecompte eine Weile vor dem Fernseher und schaut zu, manchmal lacht er kurz. Er sehe sich das Video oft an, sagt er dann unvermittelt, »es ist ihr stärkster Auftritt«. Der Auftritt birgt eine enorme Verpflichtung in sich: So bedingungslos, wie Ingrid Betancourt dort gekämpft hat, so will auch Lecompte kämpfen.
Und wenn seine Frau nicht in diesem und auch nicht im nächsten Jahr freigelassen wird?
»Ich muss realistisch sein«, antwortet Lecompte. »Die Chance, dass wir jemals wieder zusammenkommen, liegt vielleicht bei 25 Prozent. Denn auch wenn sie noch lebt nach so vielen Jahren werden wir uns beide sehr verändert haben.«
Am vergangenen Wochenende war Lecompte bei seinen Eltern in Cartagena. Sie machen sich Sorgen um ihren Sohn, sie verstehen seinen Kampf nicht mehr. Lecomptes Freunde befürchten, dass er allmählich zu »einem Freak« werde, sie raten ihm, sich doch wenigstens eine Freundin zu suchen. Und weil auch von den Tantiemen seines Buches kaum noch etwas übrig ist, überlegt er jetzt manchmal, ob er sich nicht wenigstens einen Job suchen sollte. Ob er nicht versuchen sollte, sein Leben wieder halbwegs in den Griff zu bekommen. Doch das hieße, nicht mehr voll für seine Frau da zu sein. Es hieße, auswählen zu müssen, was ihr mehr und was ihr weniger hilft. »Davor habe ich Angst.«
Sein Mobiltelefon klingelt, ein entfernter Bekannter ist dran. Er erzählt, dass sein Bruder ein Krankenhaus in Medellín leite. Dort habe die Farc vor ein paar Wochen einen der Ärzte abgeholt. Zwei Stunden seien sie mit dem Auto gefahren, dann noch einmal eine Stunde in den Dschungel geflogen. Und der Patient sei Ingrid Betancourt gewesen.
»Wahrscheinlich wieder mal Unsinn«, meint Lecompte. Er wird trotzdem versuchen, den Arzt zu finden. So wie er bisher noch jedem Hinweis nachgespürt ist. »Wenn ich das nicht tue, weiß ich nicht, was ich sonst machen soll«, sagt er müde. »Es ist wie eine Obsession.«
Fotos: dpa