Der Schwachpunkt der selbsternannten Sprachwächter

Mit einem Aufruf gegen sprachlichen »Gender-Unfug« machten kürzlich Prominente von Monika Maron bis Dieter Hallervorden von sich reden. Ihr Manifest ist entsetzlich schlecht geschrieben - doch das ist nur einer von vielen Mängeln in der Argumentation.

»Schluss mit dem Gender-Unfug«, forderte eine Gruppe von Prominenten kürzlich. Dazu zählen sie auch das »Gendersternchen«, das hier in einem Tweet der Landesregierung von Baden-Württemberg auftaucht.

Foto: dpa

Vorige Woche machte ein Verein für Leute, die sich als Fans der deutschen Sprache begreifen, mit einem Aufruf und einer Petition gegen den »Gender-Unfug« auf sich aufmerksam. Der Verein, der recht pegidahafte Züge hat, wehrt sich im Namen der Unterzeichnenden gegen »zerstörerische Eingriffe in die deutsche Sprache«, die durch den »Generalirrtum« entstünden, »zwischen dem natürlichen und dem grammatischen Geschlecht bestehe ein fester Zusammenhang«. Durch diesen Irrtum komme es zu »lächerlichen Sprachgebilde(n)« wie »die Radfahrenden«, und auch »der seltsame Gender-Stern« sei nur »eine weitere Verrenkung«.

Aufruf und Petition bekamen recht viel Aufmerksamkeit, weil Politiker*innen wie CSU-Staatsministerin Dorothee Bär darauf einstiegen, und weil die Unterschriftenliste herrlich bunt gemischt ist: Hier finden sich Komiker wie Dieter Nuhr und Dieter Hallervorden neben Dichtern wie Reiner Kunze und Günter Kunert, es haben Schriftstellerinnen wie Judith Hermann, Katja Lange-Müller und Angelika Klüssendorf ebenso unterschrieben wie Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maassen (der hier sprachschützerisch offenbar bewusst auf sein »ß« verzichtet). Außerdem schrieb Mit-Unterzeichnerin Sybille Lewitscharoff fast zeitgleich über »Sprachpolizei und Gender-Unfug« einen längeren Essay, in dem sie unter anderem erklärt, »gendergerecht flirten« ginge nicht, mithin sei der »Gender-Unfug« für einen gewissen von ihr beobachteten Libido-Verlust in der Bundeshauptstadt verantwortlich.

Zum Aufruf gegen den »Gender-Unfug« hat es Kritik, Einordnung und kluge Anmerkungen von Fachfrauen gegeben. Ich persönlich bin zufriedener Nutzer des Gender-Sternchens. Mit »Verrenkung« ist von den Kritiker*innen womöglich gemeint, dass der Stern aufgrund seiner Tastatur-Randlage etwas schwerer zu erreichen ist, aber das ist Übungssache. Tatsächlich ist ein Stern ein schönes, allumschließendes Zeichen, und wie einfach man es sprechen kann, hat der Linguist Anatol Stefanowitsch längst erklärt. In Wahrheit wird niemand gezwungen, im privaten Gebrauch das Gendersternchen, das Binnen-I oder andere Formen des Genderns zu verwenden; wer im beruflichen Schriftwechsel dazu angehalten ist, muss sich auch auf anderen Ebenen Arbeitsplatz-Richtlinien anpassen, was grundsätzlich ätzend, aber nicht Zeichen einer Diktatur ist. Und wenn Städte und Gemeinden beschließen, ihre Bürger*innen inklusiv anzusprechen, dann kann man das unschön oder ungeschickt finden, wie vieles anderes, was Behörden tun. Aber ist es wirklich »ein tiefer Eingriff in Köpfe, Körper, Persönlichkeitsrechte«, wie die Gegner*innen schreiben? Ist deshalb die »Gender-Ideologie ... auf dem Weg zur Staatsdoktrin«?

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Der Versuch, Sprache davor zu schützen, dass sie sich verändert, entspringt nicht der Liebe zur Sprache, sondern der Liebe zum Hergebrachten

Es lohnt es sich, das Kampfwort »Gender-Unfug« etwas genauer zu betrachten und seine Verwender*innen bei genau diesem Wort zu nehmen. Der Versuch, Sprache davor zu schützen, dass sie sich verändert, entspringt nicht der Liebe zur Sprache, wie ihre Vereinsmeier*innen glauben machen wollen, sondern der Liebe zum Hergebrachten, zum Immer-so-Gewesenen. Es ist kein Obrigkeitsakt, wenn eine Behörde beschließt, in Zukunft nicht nur generisch Männer anzusprechen. Die Behörde reagiert damit auf eine bereits stattfindende Veränderung der Sprache, sie bildet soziale und politische Realität ab. Die Unterzeichner*innen von Sprach-Stillstands-Petitionen aber fürchten sich buchstäblich vor dem Unfug: also davor, dass die Dinge aus den Fugen geraten. Sie fürchten sich davor, dass Menschen sich nicht mehr fügen, zum Beispiel darin, nicht genannt und nicht angesprochen zu werden. Sie fürchten sich davor, dass nicht nur die Sprache, sondern die Welt aus den Fugen gerät: ihre vertraute Welt, in der alles an seinem Ort ist. In der immer die oben sind, die immer schon oben waren, und die draußen, die immer schon unten waren. Von diesem Unfug kann es daher gern mehr geben.

Erstaunlich dabei ist: das Unvermögen der Deutschbeschützer*innen, ihrer eigenen Sprache Schönheit zu schenken. Im Grunde fing es menetekelhaft an, als Martin Walser sich im Oktober 1996 im Spiegel beim Protest gegen die Rechtschreibreform in einem Sweatshirt mit der Aufschrift »Hodge Podge Fuerte« fotografieren ließ. Wer solch austauschbaren Wortmüll bis an seinen Körper lässt und ihn froh und ungeniert vor einem Millionenpublikum spazierenträgt, liebt womöglich nicht Sprache, sondern erstens keine Veränderung und zweitens sich selbst in der Pose dessen, der diese Veränderung aufhält.

Vor allem, weil der Wortmüll schnell so toxisch wird: Warum benutzen die Sprachschützer*innen die schreckliche Metapher von der »Vergewaltigung der Sprache«? Sie findet sich auf der rechten Meinungsseite »Tichys Einblick«, deren Chef zu den Erst-Unterzeichnern des Aufrufs gehört, und auch die CSU-Politikerin Bär verwendet sie. Wie hässlich, geschmacklos und verletzend kann ein Sprachbild sein? »Man kann Sprache nicht vergewaltigen«, schreibt meine Kollegin Alena Schröder. Man kann nur die Traumata anderer für billige Effekte einsetzen.

Der Eindruck, dass es ihr nicht um die Unversehrtheit der Sprache geht, drängt sich auch bei Sibylle Lewitscharoff auf: »Eros hat seine Launen und Abgründe«, schreibt sie in ihrem Text zu »Sprachpolizei und Gender-Unfug«, und weiter: »Die Preisgabe des Körpers ist ein heikel Ding. Die Sprachdrift, die sie begleitet, verträgt keine starre Reglementierung. Männer wissen oft nicht mehr recht, was sie sagen und wie sie es sagen sollen, wenn sie eine Frau begehren. Die Krux ist: Sie werden zu unentschlossenen Hasenfüßen. Doch der durch und durch gezähmte Mann, der nichts riskiert, ist so erotisch wie eine Blindschleiche.« Hier finden sich auf engstem Raum:

  • ein Metaphern-Gewirr (Eros personifiziert oder als eine Art Gelände?)
  • ein affektierter Archaismus (»ein heikel Ding«)
  • ein lexikalischer Fehler (»Drift« bedeutet Sprachveränderung im Laufe der Zeit)
  • vier Tautologien (»Sprachdrift«, »starre Reglementierung«, »unentschlossene Hasenfüße«, »gezähmt«/»nichts riskiert«)
  • zwei Klischees (»Krux«, »der gezähmte Mann«)
  • sowie ein klassisches schiefes Bild (unerotische Blindschleiche)

Und auch die Vereins-Pamphlete »gegen den Gender-Unfug« sind voll unglücklicher bis schlechter Formulierungen: Da ist von Angela Merkels »mehrmalige(m) Aufstieg zur Bundeskanzlerin« die Rede, als wäre sie nicht einfach einige Male hintereinander im Amt bestätigt worden. Da werden Menschen aufgefordert, »Setzt die deutsche Sprache gegen diesen Gender-Unfug wieder durch!«, als wäre die deutsche Sprache eine Forderung im Tarifstreit. Da wird zur Verteidigung dieser deutschen Sprache als einziger Dichter ausgerechnet Shakespeare zitiert, der mit ihr nichts zu tun hatte. Da heißt es ernsthaft, »›1984‹ mit seinem ›Neusprech‹ lässt grüßen«, als wäre George Orwells Roman 1984 ein freundlicher Onkel und nicht vielmehr ein hochkomplexes Werk mit einer Sprachtheorie, die sich in einer faulen Plattitüde nicht so einfach instrumentalisieren lässt.

So kann man natürlich mal vor sich hinschreiben. Aber im Dienste der Sprache? Wohl eher, wenn man sich einfach produzieren will.