Vor ein paar Tagen saß ich mittags mit Kollegen in der Kantine und wollte den dritten Bissen Nudel-Pilz-Auflauf in den Mund schieben, als mein Handy klingelte. Ich erkannte die Nummer sofort: die Kita. »Ihre Kleine hat erhöhte Temperatur, können Sie sie bitte abholen?« Mit vollem Mund rief ich den Vater meiner Tochter an: »Könntest du?« »Okay, bei mir geht’s heute, ich mach’ den Rest einfach zuhause, wenn sie schläft.« Puh. Ich hatte viel auf dem Zettel für den Nachmittag und war froh, dass ich ihn nicht mit dem fiebernden Kind im Arm auf dem Sofa verbringen musste.
Etwa eine Stunde später klingelte mein Handy wieder. Der Kinderarzt. »Denken Sie an den Termin morgen? Und bitte seien Sie zehn Minuten früher da, damit wir sie noch wiegen und messen können.« Ich bedankte mich für die Erinnerung, als ich aufgelegt hatte, schrieb ich meinem Mann: »Bitte morgen zehn Minuten früher beim Kinderarzt sein.« Er hatte an dem Tag frei und würde unsere Tochter zu dem Routinetermin begleiten. »Klar. Die Bank hat übrigens angerufen, ich hab sie an dich verwiesen«, antwortete er.
Noch während ich die Nachricht las, fing ich an, mich zu ärgern. Nicht darüber, dass er der Bank gesagt hatte, dass sie sich bei mir melden soll. Sondern darüber, dass sie zuerst bei ihm angerufen hatte. Und die Kita und der Kinderarzt zuerst bei mir. Dabei haben wir bei allen drei Institutionen unsere beiden Telefonnummern hinterlegt. Aber für die meisten ist offenbar klar: Wenn das Kind betroffen ist, ist die Frau zuständig, wenn das Geld betroffen ist, der Mann.
Wenn das Kind betroffen ist, ist die Frau zuständig, wenn das Geld betroffen ist, der Mann
Es geht mir nicht darum, von all dem organisatorischen Kram rund um unser Kind verschont zu bleiben, im Gegenteil: Wann immer sie mich braucht, bin ich für meine Tochter da. Darüber muss ich nicht diskutieren. Aber sie hat auch einen Vater, der die gleiche Verantwortung für sie trägt, der die gleiche Entscheidungskraft besitzt, und noch dazu ein tochterliebendes Herz und einen funktionierenden Verstand. Diese einseitige Zuweisung von Kind-Kompetenzen ist deshalb nicht nur manchmal mühsam für mich (wenn ich, wie im Fall des Kinderarztes, die Informationen weitergeben muss), sondern sie diskriminiert auch ihn. Mein Kollege Till Krause hat vor einigen Jahren im SZ-Magazin darüber geschrieben, welchen Anfeindungen und Zweifeln er ausgesetzt war, als er für seinen Sohn vier Monate Elternzeit nahm. Vor allem Mütter trauten ihm nicht zu, die richtigen Windeln oder das richtige Essen für sein Kind zu kaufen. Auch das ist Sexismus.
Und umgekehrt traut man mir als Frau offenbar automatisch weniger Sachverstand in wirtschaftlichen Angelegenheiten zu. Da ist es völlig egal, dass ich den Großteil der Verhandlungen und Gespräche mit der Bank geführt und mich nächtelang in Fachchinesisch-Formulare mit fünf Seiten Kleingedrucktem eingearbeitet habe (nicht, weil ich das inhaltlich besser könnte als mein Mann, sondern weil ich einen Ticken geduldiger bin und dafür mit den besten Bratkartoffeln belohnt werde). Derjenige, dessen Name am Ende zuerst in den Verträgen genannt wird, ist aber mein Mann. Und natürlich wird er angerufen, wenn es um die Klärung von Details geht.
Die selbstverständliche Genderisierung nimmt manchmal auch selbstentlarvend-komische Züge an. Vor einigen Monaten wollten wir uns von einer unabhängigen Finanzfirma beraten lassen, ich bemühte mich um den Termin und füllte im Vorfeld diverse Onlineformulare aus. Dass sich die Frau darum kümmert, ist im System aber nicht vorgesehen: Alle automatisch generierten Antworten enthielten jeweils die Anrede »Sehr geehrter Frau …«.
Darüber kann man schmunzeln, aber wirklich witzig ist das Ganze nicht. Denn es zeigt mir: Du kannst im Privaten so viel für eine gleichberechtigte Partnerschaft und Erziehung tun wie du möchtest, du kannst jenseits von Rollenklischees leben und versuchen, deinem Kind beizubringen, dass Jungs und Mädchen die gleichen Sachen machen können, dass Papa die besseren Spaghetti Bolognese und das Bad putzen und Mama Löcher in die Wand bohren und Fußball spielen kann - irgendjemand kommt immer daher und lässt dich gegen die Geschlechter-Wand prallen.
Das einzige Mittel dagegen ist vermutlich: so weitermachen. Als Vater mit dem Kind zum Arzt gehen und es jeden Tag aus der Kita abholen, als Mutter zeigen, dass man auch außerhalb von Kinderthemen denken kann. Bis das irgendwann für alle völlig normal ist.