Manchmal, wenn ich jüngere, kinderlose Menschen kennenlerne und erzähle, dass ich Kinder habe, kommt es vor, dass sie mich mit großen Augen ansehen, so als hätte ich gerade aus dem Krieg erzählt. Kinder? Und berufstätig? Oh je, das ist bestimmt super anstrengend. Du bist bestimmt total gestresst die ganze Zeit. Es ist bestimmt beinahe unmöglich, das alles zu vereinen. Und dann noch Zeit für dich zu finden. Freundschaften zu pflegen. Sex zu haben. Überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. »Regrettest« du deine »Motherhood« manchmal? War das nicht vollkommen unmöglich, Kitaplätze für die beiden zu finden? Hast du nicht Angst, dass die beiden total verblöden, wenn du ihnen ein Smartphone kaufst? Bist du gar nicht zerbrochen an all dem Druck und den absurden Erwartungen, die die Gesellschaft an dich als Mutter richtet?
Naja, sage ich dann, natürlich bin ich manchmal gestresst und natürlich kenne ich das Gefühl von Überforderung. Aber wer tut das nicht? Ich bin auch sicher kein perfektes Elternteil und beruflich hebe ich auch nicht gerade die Welt aus den Angeln. Aber ich komme ganz gut zurecht. Meine Kinder sind toll. Und ich bin wirklich sehr, sehr gerne Mutter.
Ich kann verstehen, dass es für Menschen, die das Leben mit Kindern vor allem aus den Medien kennen, so aussehen muss, als sei insbesondere Mutterschaft ein hochproblematischer Zustand. Es scheint, als habe sich die merkwürdige apokalyptische Stimmung, die im Moment jede gesellschaftliche Debatte durchzieht, nun auch vollkommen auf das Thema »Eltern sein« übertragen. Überall dominieren das Negative und die Angst. Überall scheint Überforderung zu herrschen. Junge Eltern, so der Eindruck, der vermittelt wird, dürfen keine glückliche Spezies sein. Sie können es gar nicht. Im viel diskutierten Dokumentarfilm Elternschule kann man gerade verzagten Eltern und ihren Kindern dabei zusehen, wie sie sich in der psychosomatischen Abteilung einer Gelsenkirchener Kinderklinik mit zweifelhaften Methoden bei der Erziehung »helfen« lassen. In Juli Zehs neuem Roman Neujahr flieht ein Mann vor den Überforderungen seines Lebens als berufstätiger Vater aufs Rennrad, weil es so schrecklich schwer ist, immer allem und allen gerecht zu werden.
Schlägt man die Zeitung auf, warnt garantiert in irgendeinem Debattenbeitrag der Psychiater Manfred Spitzer trotz gegenteiliger Faktenlage vor der geistigen Totalverwahrlosung der Jugend durch digitale Medien, die von überforderten Eltern angeblich nicht verhindert würde. Und über eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zum mentalen Wohlbefindens von Müttern wird ausschließlich in folgendem Tenor berichtet: Sehr vielen Müttern, nämlich fast 30 Prozent, geht es nach der Geburt ihrer Kinder mental deutlich schlechter als vorher. (Dass es mehr als der Hälfte der Befragten nach der Geburt der Kinder mental genauso wie vorher oder sogar besser ging, ist deutlich weniger schlagzeilentauglich.)
Klar, man muss da nicht drum herum reden: Kinder zu haben ist anstrengend und mitunter überfordernd. Man schläft wenig, ist fremdbestimmt, hat wenig Zeit für sich, muss sich viel mit Körperausscheidungen beschäftigen, in PEKIP-Kursen knalldoofe Kinderlieder singen und mit dem Partner über faire Aufgabenverteilung streiten. Das Leben als Babymutter kann einsam, erschöpfend und sehr langweilig sein. Gerade für junge, erfolgreiche Frauen, die die gläserne Decke bislang für ein Gerücht hielten und glaubten, in einer gleichberechtigten Partnerschaft zu leben, ist Mutterwerden ein harter Aufschlag in der patriarchalen Realität. Und es gibt zusätzliche Faktoren, die die Sache erschweren: Wer alleinerziehend, krank, arm, von Diskriminierung betroffen ist oder ein Kind mit speziellen Bedürfnissen hat, für den gibt es nach wie vor viel zu wenig Solidarität und konkrete Unterstützung.
MILF und Muttertier, Karrierefrau und Plätzchenfee zugleich sein sollen
Es ist also richtig und wichtig, über »mental load« zu reden, darüber, wie ein familienfreundlicher Arbeitsmarkt aussehen könnte, über die widersprüchlichen Anforderungen an Mütter, die MILF und Muttertier, Karrierefrau und Plätzchenfee zugleich sein sollen, wie es etwa die Autorin Mareice Kaiser treffend beschreibt.
Aber in der allgemeinen Fokussierung auf die Probleme, die das Kinderhaben mit sich bringt, liegt auch die Gefahr, den Blick auf das Wesentliche zu verlieren. Ist die dauergestresste, überforderte berufstätige Mutter am Rande des Nervenzusammenbruchs nicht genauso ein Klischee wie die strahlend schöne, immer liebevolle und fröhliche Supermom aus der Windelwerbung? Also: durchaus existent, aber nicht die Norm? Es sind ja gar nicht die Kinder, die uns stressen, sondern der Kapitalismus, das Patriarchat, unser eigenes Anspruchsdenken und unser Perfektionismus. Die gläserne Decke existiert schließlich auch für kinderlose Frauen, man kann auch ohne Kinder »wenig Zeit für sich« haben, einsam, überfordert und marginalisiert sein.
Es ist doch trotz allem immer noch ein unglaubliches Privileg, überhaupt Kinder bekommen zu können und sie in Frieden und in einem der wohlhabendsten Länder der Welt aufwachsen zu sehen. Die Zeit, in der Kinder unseren Alltag bestimmen, ist gemessen an unserer durchschnittlichen Lebensdauer unglaublich kurz. Man muss das Leben mit Kindern nicht verklären, aber es ist doch bei all seinen Schwierigkeiten immer noch die beste Antwort auf die Frage: »Warum mach ich den ganzen Scheiß hier eigentlich?« Und wenn man sich die gerade heranwachsende Generation mal anguckt, also mit ein paar Kindern und Jugendlichen spricht, dann stellt man schnell fest, dass all die angeblich so überforderten Eltern gar keine unselbstständigen, empathielosen Tyrannen und Smartphonezombies heranziehen, sondern ziemlich tolle Menschen, die zu unser aller Wohl so schnell wie möglich das Ruder übernehmen sollten.