Papa Ante Adipositas

Jahrtausendelang war er eine gefürchtete Respektsperson, jetzt ist der Vater nur noch ein harmloser, leicht übergewichtiger Typ in kurzen Hosen. Wie konnte es dazu kommen? Und ist das am Ende vielleicht sogar ganz gut so?

Nur die Nachbarn, die er versehentlich nassspritzt, müssen noch Angst vor dem Vater von heute haben.

Foto: Kimm Saatvedt

Die Kinder machen sich lustig über mich. Milde zwar und liebevoll, aber es ist doch deutlich zu spüren, dass sie mich, ungefähr seit sie in der Schule sind, nicht mehr so ernst nehmen, wie ich damals meinen Vater ernst nahm. Erst dachte ich, es läge an mir, aber ihre Anmerkungen haben etwas Verallgemeinerndes: »Du bist nicht dick, Papa, du bist so … papadick, also so schön rund, wie ein Papa sein soll.« Oder: »Papas stöhnen immer beim Hinsetzen, als ob sitzen so schwierig wäre. Du hast doch voll die Übung darin.« Und als ich bei meinem Telefon mit Hilfe eines Internet-Lehrvideos das Display austauschte und dabei die Kamera zerstörte, prägte meine Tochter, 7, die Formulierung »epic Papa fail«, die seitdem für all meine hochtrabend angekündigten und letztlich gescheiterten Pläne gilt.

Was ich gerade erlebe, kann man seit einer Weile im amerikanischen Teil des Internets beobachten, in manchem ein Seismograf für gesellschaftliche Entwicklungen, deren volle Blüte uns noch bevorsteht. »Dad« ist da in allen möglichen Kombinationen ein Witzwort geworden: »Dad dance« bezeichnet hüftsteifes, aber ausgelassenes Achtziger-jahre-Gezappel, »Dad bod« ist diese eher Fleisch als Muskeln gewordene Mischung aus etwas zu wenig Fitness und etwas zu viel Bier, »Dad jokes« sind besonders schmerzhafte Wortspiele, und »Dad jeans« sitzen zu hoch, sind zu weit und zu hell. Auch in den Medien tauchen nun verstärkt diese latent lächerlichen Väter auf: Phil Dunphy, der Vater aus der Erfolgsserie Modern Family, ist einer, ja irgendwie selbst Barack Obama, dessen wiederholtes Auftreten in »Dad jeans« im vorigen Jahr die Presse beschäftigte.

Natürlich habe ich den »Dad bod«, und auch ich kann nie der Versuchung widerstehen, einen Papawitz zu machen (»Papa, wo ist die Milch?« – »Im Laden«, usw.). Alle meine Versuche, an meine vermeintliche frühere Coolness anzuknüpfen, laufen ins Leere: Meine Lieblingsbands von gestern sind die »Dad Bands« von heute, und meine Jeans ... schweigen wir von meinen Jeans. Ich stelle also fest, dass ich in dieses Vaterbild passe. Und ich stelle weiter fest, dass ich das gar nicht erschreckend finde, sondern dass ich dieses Bild vom irgendwie lustigen Vater sogar mag.

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Müsste ich aber nicht eigentlich dagegen protestieren, auf einmal als Witzfigur zu gelten? Jahrzehntelang wurden Väter als abwesend, schweigsam, sich entziehend kritisiert, und jetzt, wo wir immer da sind, viel reden und uns in alles einmischen, ist es auch wieder nicht recht? Müsste mich das nicht wütend machen, als Vater, der Verantwortung für seine Kinder übernimmt, die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau für die Grundlage von allem anderen hält und sich Job und Haushalt so gut es geht mit seiner Frau teilt? Nein, schon meine Aufzählung finde ich in ihrem leicht streberhaften Pathos unfreiwillig komisch, sie klingt, als würde ich versuchen, eine innere To-do-Liste des modernen Mannes abzuarbeiten. Als Vater für die nächsten Jahrzehnte Zielscheibe milden Spotts zu sein: Das empfinde ich als schönste Form von Anerkennung, weil diesem Spott jene liebevolle Respektlosigkeit zugrundeliegt, die es nur in Beziehungen gibt, in denen man einander vertraut ist. Weil man da ist, präsent, zum Anfassen, Umarmen und Witzemachen.

Ich stelle auch fest: Egal wo ich diesen Sommer hinkomme, die drolligen neuen Väter in Jean Shorts (»Jorts«) und Crocs (nirgendwo gibt es mehr Crocs, nur noch an Väterfüßen) sind immer schon da. Vielleicht auch einfach deshalb, weil man deutlich mehr Väter sieht als früher: draußen, mit den Kindern beim Quatschmachen, wegen des Erfolgs der sogenannten Vätermonate. Väterlichkeit ist von einer ernsten, tendenziell bedrohlichen Abwesenheit zu einem heiteren Dabeisein geworden:

Sicher war das kein harter Schnitt von einem Vaterbild zum anderen, sondern eine Entwicklung, mit Umweg über verschiedene andere Väterrollen, die aus meiner Sicht alle eins gemein hatten oder haben: Vaterschaft als ein Projekt zu begreifen, das man perfekt umsetzen kann, wenn man alles richtig macht. Zum Beispiel der sehr bemühte, sehr sanfte neue Vater, der »wir sind schwanger« sagte und am liebsten selbst gestillt hätte. Oder der rationale Zeitplaner mit dem ausgeklügelten System, um einen Mehr-als-Vollzeitjob und Kinder so zusammenzurechnen, dass es am Ende für alle eine Win-win-Situation wird. Beide weit entfernt vom knurrigen Pater familias mit der harten Führhand, aber beide wiederum auch sehr ernst und starr in ihrem Selbstbild und ihren Ansprüchen, mit wenig Raum fürs Gescheiterte, Unvollkommene, Chaotische.

Ich hingegen mag, dass meine Kinder sehen: Der Alte müht sich oft vergeblich ab. Dass sie das komisch finden, nicht tragisch. Und dass sie dabei vielleicht ein bisschen von der heiteren Gelassenheit vermittelt bekommen, die heute wahrscheinlich nicht die schlechteste Lebenseinstellung ist. Aus »Wenn Papa nach Hause kommt, kannst du was erleben« ist »epic Papa fail« geworden, und das ist komisch, weil der Kontrast zwischen der staatstragenden Rolle von früher und der bestenfalls mülltragenden Rolle von heute so groß ist.

Wenn Fachleute darüber reden, wie schwierig es heute ist, ein Vater jenseits der alten Rollenklischees zu sein, wird immer wieder beklagt, die Väter von heute hätten keine Vorbilder, sie müssen neue Rollen für sich erfinden, ohne sich an jemandem orientieren zu können. Kein Wunder, dass diese Rollen oft so eindimensional und klischeehaft und unkomisch sind: der ewig gestresste Vater, der jede Ballettaufführung verpasst; der ungeschickte Macho, der sich beim Windeln dumm anstellt und sich vor Babykacke ekelt, bekannt aus abgesetzten deutschen Fernsehserien und Til-Schweiger-Filmen.

Für mich hat sich mit der Selbsterkenntnis, dass ich ein latent lächerlicher Vater bin, nicht nur ein Gefühl von Gruppenzugehörigkeit eingestellt (sieh in die Fußgängerzone, sieh die Cargo-Shorts und die Basecaps von amerikanischen Mannschaften, deren Stadien wir niemals sehen werden: Wir sind viele). Ich erinnere mich auch, dass es schon zu meiner Kindheit Väter gab, die ihre Rolle eher parodistisch anlegten, und im Nachhinein sind das meine Vorbilder. Der Vater eines meiner Freunde raunzte uns augenzwinkernd an, er würde uns, falls wir den Spielkeller nicht aufräumten, »den Arsch bis zum Stehkragen aufreißen«, so parodierte er den Vater-Habitus seiner Nachkriegskindheit. Mein eigener Vater pflegte, wenn ich im Winter meine Schalmütze nicht tragen wollte, sie mir mit den Worten überzuziehen: »Jede Kopfbedeckung muss ein gewisses Maß an Komik erfüllen.« Heute sage ich: Jedes Kleidungsstück und jeder Aspekt der eigenen Persönlichkeit muss ein gewisses Maß an Komik erfüllen.

Das trifft natürlich nicht ausschließlich auf Väter und Männer zu, aber auf besondere Weise, wegen des traditionellen Rollenbildes vom erns-ten, gestrengen Familienoberhaupt. Die Kenntnisnahme der eigenen potenziellen Lächerlichkeit erlaubt einem die Freiheit der Selbstironie.

Und die gefällt mir besser als das monolithische Vaterbild der Vergangenheit: der Vater als Bewahrer der Tradition, als Strafender, gütig und streng, einer, um dessen Anerkennung die Kinder ein Leben lang miteinander wetteiferten. Und sie gefällt mir besser als jedes andere Vaterbild, das wenig Raum für Niederlagen und Peinlichkeiten lässt. Wenn Kinder zuerst durch ihre Eltern die Welt erfahren und sich darin nach ihrem Vorbild bewegen, dann möchte ich, dass sie von mir lernen: Das da draußen kann man nicht planen, und man kann es auch nicht gewinnen, und wenn man sich bei dem Versuch, über die Runden zu kommen, hin und wieder lächerlich macht, dann ist das lustig, und zwar hoffentlich für alle Beteiligten.

Vor einiger Zeit habe ich Michael Schulte-Markwort interviewt, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf. Wir sprachen darüber, wie sehr Kinder heute schon in der Grundschule unter Leistungsdruck stehen, wie gestresst und überfordert sie sind. Schulte-Markwort kritisierte die »Durchökonomisierung unserer Gesellschaft«, die Organisation aller Lebensbereiche nach wirtschaftlichen Prinzipien, angefangen bei den Anforderungen an unsere Kinder. »Wir können den Druck aus der Gesellschaft nicht von den Kindern fernhalten«, sagte Schulte-Markwort. »Wir müssen es den Kindern stattdessen vorleben, indem wir unsere eigenen Leistungserwartungen überprüfen. Also: wie viel wir arbeiten, wie sehr wir stöhnen. Die Kinder müssen von uns lernen, dass es beides gibt: Spaß am Lernen, Freude an der Leistung, aber auch am Nichtstun, am Faulenzen, am Singen und am Spielen.«

Vor allem die letzte Formulierung klingt mir noch im Ohr: Oh, wie die Kinder spotten, wenn ich faulenze (»Papa liegt von Beruf auf dem Sofa«), wie sie voll Angstlust johlen, wenn ich singe, wie sie mich milde lächelnd belehren, wenn ich mit ihnen Minecraft oder Candy Crush Soda Saga spiele. Mit anderen Worten, es gefällt ihnen richtig gut. Und vielleicht sind wir weiter, als Schulte-Markwort in jenem Interview vor anderthalb Jahren dachte: Vielleicht ist der leicht lächerliche Vater genau das Vorbild, das die Kinder brauchen.

Der Vater, heißt es bei Freuds großem Interpreten Jacques Lacan, einem der einflussreichsten Intellektuellen der vergangenen fünf, sechs Jahrzehnte, ist der Hüter der »symbolischen Ordnung«: Er bringt den Kindern durch sein stoisches Vorbild die Regeln des Lebens in der Außenwelt bei, die Glaubenssätze und Hierarchien, nach denen unsere Gesellschaft organisiert ist. Natürlich tue ich das auch – all die Sätze, die ich anfange mit »Man kann wirklich nicht …« und »Es ist nun mal einfach so, dass …«! Bei dieser Fallhöhe kann man sich selbst ja nur komisch finden. Und ich möchte nicht der Hüter der symbolischen Ordnung sein, ich will einfach nur ein Typ mit zu weiten Jeans sein, über dessen Musikgeschmack die Kinder die Augen verdrehen, der eine Menge mit wenig Talent angefangene Haus- und Gartenprojekte hat, im Prinzip am liebsten wie früher aus Blechdosen trinkt, sich nach dem Joggen mit Snackfood stärkt und der immer da ist, wenn man ihn nicht braucht (und sehr oft übrigens auch, wenn man ihn braucht). Ich bin also lieber der Hüter der symbolischen Unordnung, eine Suspektsperson, die Haushaltstorwand. Ja, der Zwang zum Wortspiel gehört auch dazu.