Bei Barbara und Stefan in Tirol

Auf dem Alber-Hof weiß man mit Kräutern umzugehen – und mit Gästen.


Warum habe ich eigentlich noch nie Ferien auf einem Bauernhof gemacht? Weil das nur was für Kinder ist? Weil ich nicht gern bei fremden Leuten übernachten möchte? Ich weiß es nicht. Man sollte öfter auf einen Bauernhof fahren, allein oder mit dem Liebsten, mit Kindern, ganz egal. Weil es gut tut, Äpfel zu pflücken. Oder einem alten Mann beim Erbsenpulen zuzusehen.

Ich war auf dem Hof der Familie Alber in St. Anton in Tirol. Den Ort kannte ich bisher als »Stanton«, Snowboard-Paradies und teurer Skiort. Der Alber-Hof liegt im Ortsteil St. Jakob – nur eine Kirche mit ein paar Höfen drum herum, weder Lifte noch Sportgeschäfte vor der Tür.

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Zur Begrüßung auf der Terrasse gibt das Ehepaar Alber einen Schnaps aus. Man schaut ins Tal, auf die gegenüberliegenden Berge, auf Blumenbeete, viele Obstbäume und einen Kaninchenstall. »Auf über 1000 Meter Höhe wird sich geduzt«, befiehlt der Hausherr, für mich ab jetzt Stefan, seine Frau Barbara prostet mir zu. Er greift hinter sich in die Blätter eines Baums, nimmt ein paar gelbe Pflaumen ab, legt sie auf den Tisch, küsst seine Barbara, steckt vier Pflaumen in die Tasche – sein Abendbrot – und verschwindet. Er muss noch arbeiten heute, Schichtdienst im Kraftwerk. Die Familie lebt nicht von der Landwirtschaft. Sie halten nur noch zwei Kühe. Die stehen den Sommer über auf der Alm, im Winter im Stall. Die Milch für Butter und Joghurt reicht gerade für die Familie.

Es ist ganz still. Kann es sein, dass man besser riechen kann, wenn man nichts hört? Nicht nur im Garten, sogar bis in den Hausflur hinein duftet es nach süßen Äpfeln, in der Stube, dem Aufenthaltsraum der Familie und auch der Gäste, nach Kräutern. Das alte Haus scheint über die Jahrhunderte all diese Wohlgerüche aufgesaugt zu haben und nun durch die dicken Mauern wieder abzugeben.

Vor über 300 Jahren wurde es gebaut, schon immer gehört es der Familie Alber. Im ersten Stock sind die drei Gästezimmer und eine Ferienwohnung, gleich neben den Zimmern der Familie. Anfang des letzten Jahrhunderts hat der Urgroßvater, ein Erfinder und Bastler, eine selbst gebaute Getreidemühle in die Scheune gestellt. Sie funktioniert immer noch. Immer öfter kommen Schulklassen vorbei und lassen sich von Stefan zeigen, wie Mehl gemahlen wird. Wie der Honig in die Gläser kommt, erklärt er den Kindern gleich auch noch, denn zum Hof gehört ein Bienenhaus – bis zu sechzig Kilo Honig schleudert er im Jahr. Die Albers wollen demnächst ein »Mini-Heimatmuseum« einrichten.

Am nächsten Tag schlägt Barbara vor, mit ihr, Stefan, und den Kindern Anna Sophia und Elias Blaubeeren sammeln zu gehen. Die Albers beherrschen eine Kunst, die selten geworden ist: Sie bieten einem etwas an, ohne zu bedrängen. Im Moos zwischen Lärchen auf fast 2000 Meter Höhe gibt es nicht mehr viele Blaubeeren, andere waren schneller. Macht nichts, nehmen wir halt Brunnenkresse aus einem kleinen, blauen See mit. Die will Barbara in Quark rühren und einen Brotaufstrich daraus machen. Wo soll ich zuerst hinschauen? Unten am Wegrand auf die Schafgarbe (die rosafarbene ist wertvoller als die weiße, lerne ich) oder hoch auf die Felskante des Hohen Rifflers, ein Dreitausender, über den sich ein blaugrauer Gletscher schiebt? Über uns kreisen zwei Adler.

Beim Wandern erzählt Barbara, dass sie nie gedacht habe, einmal auf einem Bauernhof zu leben. Sie hat bei einer Bank gearbeitet. Aber dann hat sie vor 15 Jahren Stefan kennengelernt und ist mit ihm auf seinen Hof gegangen. Sein Vater, der Neni, 94 Jahre alt und nicht mehr so gut zu Fuß, lebt auch bei ihnen. Als wir vom Berg zurückkommen, hat er die Erbsenschoten sortiert. Die grünen werden geschält und gegessen, und die gelben, trockenen werden aufgehoben und nächstes Jahr gesät.

Ich habe noch keinmal ein Buch aufgeschlagen, so viel gelernt wie schon lange nicht mehr und fühle mich hervorragend. Den Nachmittag verbringe ich im Garten. Elias klettert auf einen Pflaumenbaum und schüttelt ihn kräftig. Der Vater fängt die Früchte in einer Plane auf und sortiert sie in drei Eimer. Den Albers nur zuzuschauen fällt schwer, ich helfe mit. Die grünen Früchte kommen auf den Kompost, die reifen, gelben werden zu Marmelade und Saft verarbeitet, aus matschigen wird Schnaps gebrannt. Ich weiß jetzt, dass Äpfel und Johannisbeeren beim Einkochen schneller fest werden als Pflaumen, weil Steinobst weniger Pektine enthält. Genau sieben Minuten hab ich im flachen Kochtopf gerührt, bis die Pflaumenmarmelade fertig war. Barbara hat währenddessen noch schnell die Brunnenkresse geschnitten. Mit einem Keramikmesser. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. Kräuter soll man nur mit Keramikmessern schneiden, erklärt sie mir, Metallklingen zerstören das Aroma. In der Ferienwohnung richte ich mir mein Abendbrot her, mit Semmeln, die der Bäcker morgens vor die Tür gelegt hat, und dem Brunnenkresse-Quark. Schmeckt leicht scharf und soll sehr gesund sein.

Aus der Stube höre ich Musik. Anna Sophia spielt Hackbrett, ihr Bruder begleitet sie auf der Harmonika. Ich könne ruhig zuhören, wenn ich mag, sagt die Mutter. Ich setze mich auf die Holzbank unters Kruzifix, und plötzlich kommt mir ein Großstädter-Gedanke: Wo versteckt sich die Kehrseite dieser Idylle? Oder gibt es das wirklich, dass die Eltern daheim alt werden dürfen, mit eigener Butter, eigenem Gemüse? Und alle sind glücklich?

Am nächsten Vormittag trägt Barbara Gläser mit getrockneten Gartenkräutern durchs Haus. Sie hat dieses Jahr noch kein Kräutersalz gemacht, es wird höchste Zeit. Sie wiegt Thymian und Salbei, Liebstöckel und all die anderen dunkelgrünen Blättchen. Am Tisch daneben steht Stefan und zerkleinert sie mit der elektrischen Mühle. Die Kinder kommen dazu und berichten vom ersten Schultag nach den Ferien, nehmen Salz aus dem Eimer, geben es der Mutter, die mischt es in einer Schüssel mit den Kräutern. Die Albers sind ein gutes Team. Alles geht Hand in Hand. Vielleicht ist das das Geheimnis, warum hier alle so zufrieden wirken. Später dann, am letzten Abend, zeigt Stefan Familienfotos. Bei einem Bier sitzen wir zusammen, und der Großvater erzählt von den ersten Gästen in den Dreißigerjahren. Sie sind auch auf den Fotos zu sehen. Wer den Alber-Hof betritt, gehört für immer mit dazu, so scheint es. Wie auf ein Stichwort bringt Barbara die fast hundert Jahre alte Kamera. Und Stefan erzählt von seinem Großvater, der die Kamera gebaut hat. Wann habe ich eigentlich zuletzt zusammen mit meiner Familie in meinem Wohnzimmer gesessen und Freunde mit Anekdoten unterhalten? Mein Urlaubsmitbringsel ist ein Vorhaben: Mehr Gäste will ich haben, auch über Nacht.

Kontakt: Alber-Hof, St. Jakober Dorfstraße 117, 6580 St. Anton am Arlberg, Tel. 0043/5446/25 63, stefan. alber@st-anton.at, EZ Sommer ab 23 Euro, Winter ab 35 Euro, DZ p. P./Tag Sommer ab 20 Euro, Winter ab 32 Euro, Apartment Sommer ab 60 Euro, Winter ab 115 Euro.

Fotos: Tanja Kernweiss