Nicht schon wieder Urlaub!

Unser Autor rechnet in den Ferien stets mit dem Schlimmsten. Denn für seine Reise-Schwarzmalerei wird er reich belohnt. Über die Vorzüge von defensivem Pessimismus.

Wer dazu neigt, sich vor Urlaubsfahrten die ungünstigsten Szenarien auszumalen, wird oft positiv überrascht.

Foto: Getty Images

Es gibt Menschen, die fürchten sich vor Gewitter. Andere fürchten sich vor Gottes Zorn. Oder vor Gift im Leitungswasser. Oder vor Mäusen. Ich fürchte mich vor Reisen. Also, ich springe nicht kreischend auf einen Stuhl, sobald sich mir ein Zugticket nähert. Mich erfasst eher eine Anspannung, wo andere in Vorfreude ausbrechen. Meine Lebensfrau zum Beispiel, und die Kinder. Während die »Hurra, Italien!« schreien, kaue ich auf meinen Befürchtungen herum, schlucke sie runter und käue sie wieder: Wir landen bestimmt im Stau. Bei Rosen­heim. Und bei Hitze. Für die Mautstationen in Italien haben wir zu wenige Münzen. Und unsere Bankkarten nehmen sie nicht. Der Weg zum Hotel, in dem wir zwischenübernachten, führt bestimmt durch winzige Gassen in der Altstadt, wie sollen wir da durchpassen mit unserem Kleinbus. Nachts ist es da wahrscheinlich laut. Das heißt wenig Schlaf. Das heißt quengelige Kinder. Und das im Stau, in dem wir am nächsten Tag wieder stehen.

Meine Familie hätte gern, dass ich in ihren Vorfreudentaumel einstimme. Sie sagen, ich verderbe ihnen ein bisschen den Spaß mit meiner Schwarzmalerei. Das tut mir leid, wirklich. Ich kann aber nicht anders. Das Schlimmste zu befürchten liegt in meiner Natur. Das ist anstrengend, auch für mich. Aber auch sehr hilfreich und wohltuend.

Wie das? Es ist so: Nachdem ich mir die Abläufe der Reise in verschiedenen Grau- und Schwarztönen ausgemalt habe, brechen wir auf. Nicht mitten in der Nacht, wenn die Autobahnen frei sind – dafür bin ich dann doch zu bequem. Wir landen tatsächlich im Stau, bei Rosenheim. Aber nicht lange. Für die Mautstationen haben wir genug Münzen, denn ich habe vorsorglich einen Haufen davon bereitgelegt. Der Weg zum Hotel ist eng, aber mit etwas Manövrieren geht es. In der Nacht ist es ein bisschen laut, wir schlafen ein bisschen zu wenig, und die Kinder sind am nächsten Tag ein bisschen quengelig, doch es sind ja auch nur noch ein paar Stunden. Ohne Stau übrigens. Und ich habe gute Laune, denn es lief alles viel besser, als ich gedacht hatte.

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Psychologisch betrachtet, bin ich wohl ein »defensiver Pessimist«

Meine Schwarzmalerei führt also dazu, dass ich mich auf das praktisch vorbereite, auf das ich mich praktisch vorbereiten kann (Münzen), und auf das innerlich einstelle, auf das ich mich nicht praktisch vorbereiten kann (quengelige Kinder). Tritt das Befürchtete ein, hilft es mir, dass ich mich auf die Mühsal eingestellt habe. Tritt es nicht ein, bin ich positiv überrascht.

Psychologisch betrachtet, bin ich wohl ein »defensiver Pessimist«. Den Begriff des defensiven Pessimismus hat unter anderem die US-Psychologin Julie Norem bekannt gemacht. Sie meint damit nicht den Es-hat-ja-doch-alles-keinen-Sinn-Pessimismus, der davon ausgeht, die Welt sei schlecht und das Schicksal feindselig, und jeden Antrieb ersticken kann. Sondern einen Pessimismus, der das Schlechte erwartet, um es trotzdem gut hinzukriegen.

Ich frage Julie Norem, ob mein Reise-Pessimismus in ihr Konzept passt. »Ja, ziemlich gut«, meint sie. Defensiven Pessimismus kennzeichne die Angst vor einem bevor­stehenden Ereignis; dann davon, sich konkret vorzustellen, was schiefgehen könnte; und davon, infolgedessen daran zu arbeiten, die schlechten Szenarien zu verhindern, die man sich vorstellt. Defensive Pessimisten »nutzen ihre Angst«, erklärt Norem.

Ich finde mich nicht ängstlich. Ich würde sagen: Ich bin vorsichtig. Das ist nicht dasselbe. Aber so oder so ist nicht zu leugnen, dass mein defensiver Pessimismus mir nicht in allen Lebenslagen so sehr zu helfen scheint. Wo Kontrollverlust etwas Gutes ist – Flirten, Tanzen, Fünfe gerade sein lassen –, bin ich ein bisschen gefangen. Vor heiklen Situationen, die ich schon x-mal überstanden habe – Vorträge, Konfliktgespräche, was Kaputtes im Laden reklamieren –, fürchte ich mich jedes Mal immer noch etwas. Wieder andererseits: Dann fürchte ich mich halt, so schlimm ist das nicht. Solange es mir nicht den Schlaf raubt und mich nicht lähmt, sondern mich nur dazu zwingt, mich immer wieder vernünftig vorzubereiten: auf die Inhalte des Vortrags, die Argumente des Konflikt­gesprächs, die Möglichkeit eines bockigen Verkäufers.

Und wenn doch mal etwas gründlich schiefgeht, überstehe ich das ja auch. Vor einigen Jahren standen wir mit dem Auto auf der Rückfahrt aus Italien im Stau. Obendrein hagelte es, und damit meine ich keine niedlichen zuckrigen Körnchen, sondern medizinballgroße, na gut, ich übertreibe, aber jedenfalls echt ordentliche Brocken, die auf unser Autodach knallten, keine Chance, sich irgendwo unterzustellen, der Himmel schwarz, ein Höllenlärm, es hörte einfach nicht auf, und hinten im Auto die Kinder, die … friedlich schliefen.

Kind sein, das ist oft einfach die Lösung.