Mittwoch, 3. August 2022, fünf Uhr früh, Flughafen BER: Die Hände der Sicherheitsbeamtin umgreifen meine Handtasche wie zwei erschrockene Krebse. »Sie haben eine Pistole in Ihrer Handtasche!« Ich, schockgefrostet, stammele: »Nein, habe ich nicht!« – »Sehe ich doch auf dem Röntgenbild!«, ruft sie und zieht die Pistole aus meiner Tasche. Sie hält sie mir vor die Nase. Langsam löst sich ein Tropfen aus dem Schussloch. »Das ist eine Wasserpistole«, sagt sie, »noch dazu eine gefüllte!« Im Kopf spule ich die vorangegangenen Stunden im Zeitraffer zurück: wie mein Lebensgefährte, unser sechsjähriger Sohn und ich schlaftrunken um zwei Uhr früh aufstehen (wer den Flughafen BER und seine Sicherheitsschlangen kennt, ist lieber drei Stunden vor dem Abflug dort) und ich alle noch ermahne, jetzt wirklich alles zusammenzupacken, was für die Reise wichtig ist. Mein Sohn nimmt meine Mahnung ernst und steckt das, was er wichtig findet, offenbar in meine Handtasche.
Flüssigkeiten sind an Flughäfen verboten, seit im August 2006 die britischen Behörden einen Anschlag auf Flugzeuge mit flüssigem Sprengstoff verhindert hatten. Und natürlich dürfen Waffen – auch Attrappen – nicht in Flugzeuge, das weiß jedes Kind, beziehungsweise meines wohl nicht. »Wenn eine Waffe im Sicherheitsbereich auftaucht, muss die Bundespolizei kommen«, sagt die Kontrolleurin. Mein Sohn blickt betreten auf seine Schuhspitzen. Mein Lebensgefährte nervös auf die Uhr. Ich wünschte, ich würde Mantras beherrschen, um mich zu beruhigen.
Wir hatten unsere Hochzeit in der Toskana wegen Corona schon zweimal verschoben. Am nächsten Tag sollte sie endlich stattfinden. Einige Tage zuvor aber hatten die Lufthansa-Piloten zum Streik aufgerufen: Unsere Flüge wurden gestrichen. Nur mit Not hatten wir diesen einen doch noch ergattert. Jahre der Planung wären hinüber, würden wir diesen Flug nicht erwischen.
Die Sicherheitsbeamtin meldet die Waffe der Bundespolizei, die am Berliner Flughafen am Ende der Schleusen die Kontrollen überwacht. Gemächlich treten eine Beamtin und ein Beamter in ihren schusssicheren Westen mit dem Schriftzug »Polizei« auf uns zu. »Ja, das ist eine Wasserpistole«, stellen sie sachgerecht fest. »Jetzt müssen wir einen Sprengstofftest machen. Das ist Vorschrift.«
In Cremes, Make-up oder Sonnenschutzmitteln können Stoffe stecken, die bei einem Sprengstofftest Alarm auslösen.
Den Test auf Sprengstoffe, auch »Wischtest« genannt – in Fachsprache: ETD-Test, Explosive Trace Detection – machen Sicherheitsbeamte mithilfe eines Streifens, der aussieht wie ein Stück rechteckiges, weißes Papier und den sie über Taschen, Laptops, Kleidung ziehen. Sie stecken den Streifen in ein Ionenmobilitäts-Spektrometer, das sogar bei Spuren von explosiven Stoffen im Nanobereich anschlägt. Nanobereich heißt: Wirft man einen drei Gramm schweren Würfel Zucker in den Bodensee, sind in jedem der fünf Milliarden Liter des Sees noch drei Nanogramm Zucker festzustellen. Und drei Nanogramm, das erkennen die Sprengstofftests.
Nach einigen Minuten kommt die Bundespolizistin mit ernstem Gesicht zurück. »Der Sprengstofftest ist positiv«, sagt sie. Ich habe keine Ahnung, was gerade passiert, aber ich weiß: Hier läuft richtig was schief. Und diesmal konnte es nicht mein Sohn gewesen sein. Der guckt ängstlich zwischen seinen Eltern hin und her, mein hoffentlich künftiger Mann steht mit offenem Mund und Fragezeichen in den Augen da. Ich sehe mich schon umzingelt von vermummten Sondereinsatzkommandos, gleichzeitig rasen die Gedanken, wer zum Teufel mir das Zeug untergejubelt haben könnte, für das ich jetzt lange Zeit in den Bau statt zum Altar schreiten werde.
»Wie kann das sein?«, frage ich. Die Polizistin bleibt erstaunlich ruhig. Müsste sie mich nicht zu Boden werfen und in Handschellen schmieden? Dann sagt sie einen Satz, der recht lustig klingt, wenn man mich kennt. »Kann es sein, dass Sie viel Make-up tragen?«
Ich habe in den Achtzigerjahren meine Jugend erlebt. Als Pubertierende war ich begeistert von einem Musikvideo, Robert Palmers Addicted To Love, bei dem im Hintergrund stark geschminkte Frauen mit schwarz bemalten Augen und zurückgegelten Haaren gelangweilt Gitarre spielen. Seitdem will ich aussehen wie sie. Auch in aller Herrgottsfrühe in der Sicherheitskontrolle des Flughafens.
Ich zeige mit beiden Zeigefingern in mein Gesicht und sage: »Offensichtlich.« Wahrscheinlich gibt es morgens um fünf keinen stärker geschminkten Menschen als mich.
In Foren raten Vielflieger, keine Handcreme zu nutzen, bevor man in ein Flugzeug steigt.
Dann erklärt die Beamtin mir, dass in Cremes, Make-up oder Sonnenschutzmitteln Stoffe stecken können, die bei einem Sprengstofftest Alarm auslösen. Welche, sagt sie mir nicht, Beispiele finde ich später heraus: etwa Glycerin, ein Stoff, der in Kosmetika feuchtigkeitsspendend wirkt. Oder als Basis für den Sprengstoff Nitroglycerin dienen kann. Auch der Sprengstoff Semtex weist eine ähnliche Signatur wie Shampoo (oder Schokolade) auf.
»Wir müssen einen zweiten Test machen«, sagt die Beamtin jetzt. »Wenn der negativ ist, dürfen Sie weiter.«
Über das genaue Protokoll nach einem positiven Sprengstofftest und die einzelnen Stoffe, die einen Alarm auslösen können, schweigt sich die Bundespolizei aus. Die Pressestelle der Bundespolizei darf am Sicherheitscheck keine Auskunft zu Fragen der Luftsicherheit geben, »aus einsatztaktischen Gründen«. Meistens dürfen Reisende weiter, wenn deren Antworten plausibel klingen (wie meine). Allerdings wurde der Flughafen Frankfurt 2018 komplett gesperrt, weil eine Familie trotz positiven Sprengstofftests in den Abflugbereich gelangte, ohne zweiten Test – ein Versehen des Sicherheitspersonals. Auch am Flughafen München kam es schon zu Teilsperrungen. Fiele auch der zweite Sprengstofftest positiv aus, könnte eine Entschärfungsgruppe kontrollierte Sprengungen eines verdächtigen Gepäckstücks anordnen. In Foren raten Vielflieger, keine Handcreme zu nutzen, bevor man in ein Flugzeug steigt.
Mein zweiter Test ist negativ. Wir erwischen das Flugzeug. »Bist halt eine Bombenfrau«, zischt mein Verlobter. Er wird dann tatsächlich mein Ehemann. Glück gehabt, denn Sicherheitskontrollen sind Staatsaufgabe und gehören juristisch nicht in die Belange einer Fluggesellschaft: Hätten wir wegen des positiven Sprengstofftests unsere Hochzeit verbaselt – wir hätten Pech gehabt.
Heute brezele ich mich vor einem Flug nicht mehr auf wie für ein Musikvideo aus den Achtzigern. Ich schminke mich vor Flugreisen jetzt gar nicht mehr.