Bei Gus De auf Bali

Brahmanen stehen im Kastensystem ganz oben, sie wachen über die religiösen Rituale. Und haben uns für ein paar Tage bei sich einziehen lassen.


Alles auf Bali ist Glaube: Zwei Drachen halten die Insel fest, im Meer und an den Stränden wohnen Dämonen und Geister, auf den Bergen die Götter. Und der höchste Berg der Insel, der Agung, wird verehrt wie ein Gott. Das ist Bali. Die Dämonen und Geister, die Drachen und Götter wollen gefeiert, beschwichtigt, verehrt und wohlgestimmt sein. Und darum gibt es immer etwas zu feiern, fast jeden Tag: Tempelfeste zu Neumond, zu Vollmond, zu Ehren der Ahnen und alle 210 Tage das Fest zur Erschaffung der Welt. Der Glaube der Menschen auf Bali ist mystisch und einzigartig.

Und sehr komplex und kompliziert. Darum müssen die Brahmanen darüber wachen, dass alle Riten und Feste richtig ausgeführt werden. Sie sind für die Tempeldienste zuständig; das ist nur möglich, weil sie im Kastensystem, das von Indien übernommen wurde, ganz oben stehen. Ida Bagus Suar Udiyana, 37, ist Brahmane. Er lebt mit seiner Frau, zwei Söhnen und seinen Eltern in mehreren goldverzierten Hütten im Ort Mas bei Ubud. Die Hütten gruppieren sich um einen Innenhof mit Blumen und Götterstatuen. So viele Käfige mit Vögeln hängen herum, dass der ganze Hof zu gurren scheint. Ubud, die ehemalige Königsstadt ist nah, sie war mal unter Hippies sehr berühmt und wurde es wieder bei Touristen aus aller Welt, seit das Buch und der Film Eat, Pray, Love erschienen sind. Viele kommen, weil sie mehr über den balinesischen Glauben lernen wollen, über böse Geister und gutes Karma, Seher und Heiler. Da sind sie bei Ida Bagus Suar Udiyana, dem Brahmanen, gut aufgehoben. Man muss sich seinen langen Namen nicht merken, alle nennen ihn nur Gus De.

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Zwei Zimmer in seinem Haus sind für Touristen reserviert. »Ich werde versuchen, dir unseren Glauben zu erklären. Wenigstens ein bisschen«, sagt er und nippt an seinem Tee. Er ist ein Nachfahre jenes Priesters, der vor vielen hundert Jahren den Hinduismus von Java nach Bali brachte, erzählt er; zum Hinduismus kamen im Lauf der Jahrhunderte der Buddhismus und der Ahnenkult, und so entstand der Hindu-Dharma-Glaube, den es auf der Welt kein zweites Mal gibt und der den Einklang lehrt von Menschen, Göttern, Dämonen und Ahnen.

Seine Familie bewahrt die Schriften ihrer Vorfahren aus dem Jahr 1296 auf, getrocknete Palmblätter mit altindischen Sanskritzeichen. Dort steht geschrieben, wie viele Riten und Feste auf Bali abzulaufen haben: Will jemand ein Haus bauen, muss er erst den spirituellen Kalender nach einem Termin befragen, dann die Körpermaße seine Vaters vermessen – die Längen von Elle, Speiche, Wadenbein – und sie auf den Bauplan umrechnen. Nur so wird das Haus Harmonie bringen für seine Bewohner und – ganz wichtig – auch für ihre Ahnen.

Gus Des Familie ist groß, er hat acht Onkel, darunter einen Priester und einen Seher, der die Zukunft weissagt. Sie alle leben im Örtchen Mas. Gus De nennt sie »Onkel Nummer zwei« oder »Onkel Nummer acht«. Gerade steckt die ganze Familie mitten in den Vorbereitungen für ein großes Fest: Gestern wurden in ihrem Dorf vierzig Verstorbene verbrannt – nur so können ihre Seelen befreit werden. Nun folgt das Totenfest. Es wird laut und bunt und fröhlich sein, alle werden den Übergang vom Tod zum neuen Leben feiern. Gut, dass Gus De ratlosen Touristen den tieferen Sinn erklären kann: Jedes Dorf organisiert nur alle fünf Jahre eine Massenverbrennung, denn die ist teuer. Darum begraben die Balinesen ihre Toten erst und holen sie dann wieder aus der Erde. Alle Angehörigen helfen dabei, und die Brahmanenfamilie singt Mantras. »Ein Fehler wäre verheerend«, sagt Gus De, »eine falsch betonte Silbe, und die Seelen der Toten irren für immer ziellos umher!«

Eine riesige Party wird vorbereitet: Um vier Uhr morgens sitzt Gus De mit einem großen Messer am Gürtel seines Sarongs neben vierzig anderen Männern in der Dunkelheit auf dem Hof seines Onkels Nummer zwei, des Priesters: Alle haben lange Messer dabei und große Schneidebretter, denn sie werden ein 100-Kilo-Schwein schlachten und in den nächsten Stunden Satéspieße, Würste und mit Schweineblut vermischtes Gemüse zubereiten – bei rituellen Festen kochen auf Bali die Männer. Routiniert durchtrennen sie die Halsschlagader des Schweins, dann ist es still. Leise plätschert das Blut in eine Aluminiumwanne. Die, die nicht mit dem Schlachten beschäftigt sind, bereiten im Hof des Onkels Nummer zwei Opfergaben für die unzähligen Tempel und Götterstatuen vor: Schalen aus Palmblättern mit Blumen, Reis, Süßigkeiten darin. Frauen tragen jeden Tag Opfergaben durch die Straßen und legen sie vor den Heiligtümern ab. »Bei großen Festen hilft die ganze Familie – mit fast allen hier bin ich verwandt«, sagt Gus De.

Der Brahmane fühlt sich seinen Traditionen verpflichtet. So üben seine Söhne auf dem Gamelan, dem traditionellen balinesischen Schlaginstrument, und alle in der Familie tragen Sarongs, keine Hosen. Doch Gus De hat eine Hotelausbildung in der Schweiz gemacht und dann zwei Restaurants und ein Gästehaus in Ubud eröffnet, die mit ihren Loungemöbeln aussehen wie aus einem westlichen Möbelkatalog. Erst später kam ihm die Idee, Gäste in sein eigenes Haus einzuladen. Nach den Terroranschlägen von 2002 und 2005 in Balis Partystadt Kuta wirkten die Straßen und Strände oft verwaist. Nun kommen wieder Touristen, und viele wollen nicht mehr nur am Meer liegen und Batiktücher kaufen, sie wollen die Insel und die Bräuche kennenlernen: »Aufgabe eines Brahmanen ist es auch, anderen Menschen unsere Kultur näherzubringen«, sagt Gus De.

Der große Tag bricht an, die balinesische Megaparty steigt im Priesterhaus und auch im großen Tempel, man kann zwischen beiden Orten mit dem Moped hin- und herfahren. Die Männer haben die Tücher auf ihren Köpfen zu einer Art Krone gebunden, die Frauen beten kniend in ihren Seidensarongs. Onkel Nummer zwei trägt eine Krone und schwarze Ohrringe, seine Priesterinsignien, Mädchen tanzen in goldglitzernden Kostümen, fahrende Händler haben ihre Kioske aufgebaut, auf den Tempeltischen stapeln sich die Opfergaben, Geflechte aus Palmblättern mit Gebäck, Reis, Räucherstäbchen darin, Türme aus Obst und Orchideen – sie sollen Götter und Dämonen milde stimmen. Der Priester klebt jedem Reis auf die Stirn, Symbol für Weisheit. Frauen tragen Gestecke herein, an denen Entenzungen und Hühnerlebern aufgespießt sind. Gus De sagt, dass die Seelen der Verstorbenen nun auch hier angekommen seien und sich über die vielen Opfer freuen.

Die Frangipanibäume duften, die Gamelanspieler trommeln, Frauen halten sich Blumen an die Stirn, und man denkt: Was für ein Wunder! Dieser unerklärliche, dieser faszinierende Glaube.

Kontakt: Lotus Travel bietet eine Woche in Gus Des Haus pauschal für 1680 Euro pro Person im DZ mit Vollpension, 7-tägigem Programm, Flügen mit Singapore Airlines, Transfers. Komfortabler wohnt man in Gus Des Villa bei Ubud, eine Woche pro Person im DZ ab 1737 Euro (dann sind zwei Tage Programm, Flüge, Transfers und Vollpension inklusive). Pro Tag kostet eine Übernachtung 73 Euro pro Person mit Vollpension und Programm, in Gus Des Villa 81 Euro., Tel. 089/20 20 89 90.

Fotos: Jonas Unger