Nur einmal im Leben bin ich mit einem Prominenten im selben Flugzeug gesessen – und das war ein Fernsehkoch von RTL 2. Er trug ein Rocker-Stirnband über den langen Haaren, eine exzentrische Brille, einen langen Ziegenbart, und er hatte zwei Assistenten. Nach Autogrammen fragte trotzdem niemand. Der Fernsehkoch und ich wählten bei der Air-Berlin-Stewardess Erdnüsse statt des Schokoriegels, mehr passierte nicht.
Darum möchte ich so bald wie möglich mit der US-Flugline United Airlines reisen. Dort fliegen die wirklich Mächtigen und Wichtigen der Welt: Erzbischöfe, Prinzen, Generäle und sogar Präsidenten.
Es muss so sein, denn auf der Webseite von United Airlines gibt es ein Beschwerdeformular, bei dem man aus mehr als achtzig Anreden die passende auswählen kann: etwa »General«, »Master Gunnery Sergeant« oder »Master Chief Petty Officer«. Vom »Rabbi« über den »Pastor« bis zum »Swami« (musste ich auch erst googeln). Und Adelstitel von »Baron« bis »Prinz«.
Eine andere US-Fluglinie, American Airlines, bietet bei Beschwerde-E-Mails an das Unternehmen sogar die Möglichkeit an, »HRH« anzuklicken, was für »His/Her Royal Highness« steht, also Mitglieder des Königshauses – dabei haben die Vereinigten Staaten nicht mal eins.
Ich stelle mir einen Flug mit United vor wie einen Neujahrsempfang des Bundespräsidenten: Wie gern säße ich im Flieger mal neben einem »Vice Admiral«, einem »Monsignore« oder einer »Duchess«.
Je länger die Liste der Anredemöglichkeiten, desto mehr Fragen stellen sich mir: Erstens, bin ich ein Versager? Von all den Titeln passt zu mir genau einer, der ganz oben stand: »Mr«. Zweitens: Gibt es Prinzen und sogar Präsidenten, die Linienflüge buchen? (Weniger überraschend wäre, dass sie hinterher Beschwerde-E-Mails schreiben wollen.) Und drittens: Warum bieten American und United überhaupt all diese Anreden an? Wo die USA doch in der Berufswelt den Spruch »No titles, no ranks« geprägt haben und Fluggesellschaften wie Emirates oder Air Asia es bei »Mr/Mrs« gut sein lassen? Aber die Pressefrau von American Airlines hat auch keine Antwort darauf: »Wir wissen leider nicht, wann oder warum so viele Anreden für das Onlineformular erstellt wurden.«
Meine Theorie: Die Titel sollen mich als 08/15-Kunden abschrecken. Wenn sich auch »Cardinal«, »Judge« und »Senator« per E-Mail an United beschweren, dann habe ich als »Mr. Baumann« eh keine Hoffnung, dass irgendwer bei American meine Klage ernst nimmt – und lasse es gleich sein.
»Nein, alle Anschreiben werden bei uns gleich behandelt«, versichert die Pressefrau von American, der dann doch noch ein Grund für die Titelsammlung einfällt: »Offenheit und der Respekt für persönliche Leistungen gehen bei uns Hand in Hand.«
Warum wurde dann der »Imam« von American Airlines nicht in die Liste aufgenommen, »Rabbi« und »Pastor« aber schon? Und wieso fehlt bei American anders als bei United der »Flottenadmiral«? Ist es klug, es sich mit Muslimen und Marine zugleich zu verscherzen?
Gar keine Rolle spielen Kirche und Militär bei der Lufthansa, die erlaubt auf ihrer Webseite nur die Angabe akademischer Titel: »Doktor«, »Professor« und »Prof. Dr.«. Rätselhaft wird es bei Ryan Air, da gibt es gleich vier Geschlechter: »Herr« und dreimal das Feld »Frau«. Weiß Ryan Air mehr über Frauen als wir? Und Air Berlin bietet »Professor«, »Doktor« und »Magister« nur bei der Neuanmeldung an – bei Beschwerden darf man keinen Titel nennen.
Dabei machen Anreden doch erst bei Beschwerden richtig Sinn, wie Hans-Michael Klein sagt, Vorsitzender der Knigge Gesellschaft. Er nennt seinen Doktortitel in Anschreiben nur dann, »wenn ich überzeugen möchte oder Geld verdienen«, in Büchern oder Vorträgen. »Mit einem Doktor wird weniger diskutiert und viel mehr akzeptiert.« Der Knigge-Experte weiß, was Beschwerden von Honoratioren bewirken: »Die landen direkt beim Vorstand.«
Bei United Airlines scheint das anders zu sein, die E-Mail-Anfrage, die ich als »President Marc Baumann« abgeschickt habe, wurde nie beantwortet.
Illustration: Reinhard Kleist