Die Freitagnacht war fast vorbei, als Letzte traten wir aus der Bar in die Gerade-noch-Dunkelheit und merkten: Heute geht noch was. Keiner war müde, alle wollten weiterziehen. Aber zieh mal weiter in München um fünf Uhr in der Früh. In die dämmernde Ernüchterung hinein sagte Anna gerade noch rechtzeitig: »Wir fahren an den Gardasee!«
Genau! Kräftiger Zug aus der Bierflasche. Super Idee! Und Dirks Zustand konnte man noch eben so als fahrtauglich bezeichnen. Dann also: Begeisterung, Yeah-Rufe, Frühstück am See!, italienischer Frühling statt deutscher Spätwinter. Nur einer wollte nicht, zögerte, faselte was von »Bin eigentlich verabredet morgen« und »Wettervorhersage ist gar nicht mal so gut«. Schnell ein Taxi angehalten und den Miesepeter reingeschubst, dann alle anderen jubelnd zu Dirks Auto. Wir waren die Guten, die Wilden, die Jungen, ein Abenteuer stand bevor. Noch an der Tankstelle Bier für alle und Red Bull für den Fahrer gekauft, und los.
Nach 120 der 390 Kilometer war der Gardasee oft genug gelobt, Goethes Italienreise zitiert und der Daheimbleiber ausreichend verspottet. Es kam: die Müdigkeit. Anna schlief als Erste ein. Dirk trank das zweite Red Bull und fuhr mit winzig kleinen Augen. Keiner hatte mehr einen Gag, keiner mochte noch ein Bier. Zum ersten Mal das Gefühl: eventuell doch eine dumme Idee. Aber keiner sagte es laut. Schweigen. Noch mal 200 Kilometer. Noch 150. 100. Tiefstes Südtirol. Hin- und Herrutschen auf den unbequemen Autositzen. Hätte der Tegernsee nicht gereicht für Frühstück am See? Noch 50 Kilometer. »Wo schlafen wir eigentlich?« Dann: Regentropfen auf der Windschutzscheibe. »Nur ein kurzer Schauer …« – »Genau!« Es regnete das Wochenende durch.
Der Caffè Latte zum Frühstück war natürlich viel besser als in München, fanden alle. Der See dagegen war kälter als gedacht, fand Dirk. Müde wurde eine sehr mittelklasse Unterkunft mit freiem Zimmer gebucht. Hinlegen? »Nee, lass mal durch Malcesine laufen! Shoppen!« Doch hingelegt. Geschlafen bis vier, bisschen rumgelaufen, Regenjacke gekauft, Pizza zum Abendessen, aber »die schmeckt im ›Riva‹ in München besser«. Die Heimfahrt auf der Autobahn am Sonntag war dafür nett: Pause in Bozen, viel Kaffee, Eis, Speck.
War das Wochenende ein Reinfall? Ja. War es eine schlechte Idee? Nein! Es war eine gute Idee, die nur nicht funktioniert hatte – einfach mal loszufahren, ins Blaue hinein, gegen alle Gewohnheit, gegen alle Bedenken. Wir hätten es verdient gehabt, für den Mut, für die lange Autofahrt, für gute Anekdoten, wenn man alt ist.
Im Sommer danach gab es eine Gartenparty. Es war Mittwoch, zwei Uhr früh. Dörte sagte: »Wir fahren jetzt an den Starnberger See!« Genau! Kräftiger Zug aus der Bierflasche. Und Thomas war gerade noch nüchtern genug, um zu fahren. Einer wollte nicht, zögerte, faselte was von »Morgen wichtiger Termin in der Redaktion«. Das war ich. Am nächsten Tag saß ich schwitzend im Büro, beim mittelwichtigen Termin. Am Mittag kam einer der Starnbergfahrer zurück. Es war grandios gewesen: Alle nackt in den See gesprungen, am Ufer den Sonnenaufgang gesehen, gestaunt, wie warm die Nacht war, und früh im Biergarten ein erstes Bier bekommen. Viele heiße Sommernächte gab es danach nicht mehr.
Baden: Eine der wenigen ruhigen Uferstellen gibt es in der Bucht »Punta San Vigilio« nahe Garda (parcobaiadellesirene.it). Für 5 Euro Eintritt Park und Badebucht mit Kinderbetreuung.
Schlafen: Gleich nebenan im (leider sehr teuren) Hotel »Locanda San Vigilio« (locanda-sanvigilio.it). Im dazugehörigen Café mit grandiosem Blick darf man so tun, als ob man Hotelgast wäre.
Illustration: Jean Jullien