"Ehrlich, ich habe es mir leichter vorgestellt"

Schock und Schicksal: Seit Barcelona, dem wichtigsten Spiel der Saison, ist der Torwart des FC Bayern degradiert. Wie soll Michael Rensing jetzt weitermachen? Ein Gespräch übers Hinfallen (und Wiederaufstehen).

SZ-Magazin: Herr Rensing, Ihre Finger sind bandagiert. Haben Sie sich verletzt? Michael Rensing: Ach, der Finger, das ist nicht so dramatisch. Gut, dass es der Finger ist. Sonst würden alle glauben, es sei psychosomatisch. Nein, nein, meine Psyche ist in Ordnung. Das ist nur ein Kapselriss, den habe ich mir am Tag nach dem Barcelona-Spiel im Training zugezogen. In einer Woche kann ich wieder im Tor stehen.

Leider nur im Training, denn im Bayern-Tor stehen Sie in dieser Saison wohl nicht mehr.
Stimmt schon. Derzeit bin ich nur die Nummer zwei, das ist sehr enttäuschend. Jetzt muss ich zeigen, dass ich die wahre Nummer eins bin. Es heißt, Sie beten täglich ...
Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Ich bete wirklich jeden Tag, aber so weit geht das nicht, dass ich Gott um einen Stammplatz anflehe. Ich kenne meine Lage und weiß, was zu tun ist.

Was denn?
Kämpfen. Ich bin nicht zum ersten Mal in einer Konkurrenzsituation. Als ich vor neun Jahren zum FC Bayern gekommen bin, hatte ich den Jugend-Nationaltorwart Markus Grünberger vor mir. Der war wirklich der Beste, und ich wollte ihn unbedingt aus dem Tor drängen, wir haben damals kein Wort gewechselt, wir haben uns nicht mal gegrüßt. Das war extrem.

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Dieser Tunnelblick, ist das eine Torhüterkrankheit?
Nein, alle ehrgeizigen Menschen sind so. Ich wollte ihn damals stürzen, er wollte seinen Platz verteidigen, dementsprechend haben wir uns verhalten. Das war ein richtiger Kleinkrieg.

Und den haben Sie jetzt mit Jörg Butt, seitdem der im Tor steht?
Nein, aber die Situation ist schon komisch. Dass er für mich spielt, halte ich für ungerechtfertigt, aber ich bin nett zu ihm, und wir reden miteinander. Wir kommen beide aus dem Norden, unsere Heimatvereine liegen ganz nah zusammen. Ich kann ihm keinen Vorwurf machen, es ist ja nicht seine Schuld.

Butt wurde beim Champions-League-Spiel in Barcelona vor drei Wochen überraschend aufgestellt. Wie haben Sie den Tag erlebt?
Vor dem Mittagessen ist Jürgen Klinsmann zu mir aufs Zimmer gekommen und hat mir gesagt, dass ich nicht spiele.

Haben Sie was geahnt, als er seinen Besuch ankündigte?
Überhaupt nicht. Ich dachte, er will noch ein paar taktische Dinge mit mir durchgehen, weil wir die Abwehr umgestellt hatten. Ich bin davon ausgegangen, dass ich spiele. Ich hatte alle Champions-League-Spiele der Saison gemacht. Ich glaube, wir waren sogar die beste Vorrundenmannschaft.

Und dann hat Sie diese Entscheidung wie ein Blitz getroffen.
Genau. Die Fronten waren ja eigentlich geklärt, ich war bis zu diesem Tag eindeutig die Nummer eins. In der Bundesliga hatten wir dreimal hintereinander zu null gespielt. Okay, dann kam das 1:5 gegen Wolfsburg, aber einen krassen Fehler habe ich auch da nicht gemacht. Ich finde, er hat mich völlig ohne Not aus dem Tor genommen. Ich war doch gerade in den Wochen davor immer sicherer geworden.

Haben Sie versucht, ihn umzustimmen?
Da gibt es nichts umzustimmen. Er ist der Trainer, ich der Spieler.

Haben Sie sich nach dem Gespräch Mitspielern anvertraut?
Nein. Vor so einem wichtigen Spiel bringe ich die Mannschaft doch nicht mit meinen Problemen durcheinander. Ich habe meinen Bruder angerufen, der war eigens für das Spiel nach Barcelona geflogen.

(Anmerkung der Redaktion: das SZ-Magazin-Interview wurde unmittelbar vor der Entlassung Klinsmanns geführt.)

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Ich liege nicht am Boden, die Situation bringt mich nicht aus der Fassung: Ich bin ein bisschen durch den Wald gelaufen, habe mit meiner Freundin gegrillt, die Musik zu Hause einen Tick lauter aufgedreht")

Fühlen Sie sich als Bauernopfer für eine mittelmäßige Saison?
Schwer zu sagen. Jürgen Klinsmann wird sich schon was dabei gedacht haben.

Hat er Gründe genannt?
Hat er, aber die bleiben unter uns. Ich kann nur sagen: Ich kann seine Gründe bis heute nicht nachvollziehen, ich bin unglaublich enttäuscht.

Ganz Fußball-Deutschland diskutierte in den letzten Wochen über die Personalie Rensing. Wie haben Sie diese öffentliche Kränkung kompensiert? Vielleicht mit einem neuen Auto?
Normalerweise gehe ich in den Kraftraum, um mich abzureagieren, das ging nicht, wegen der Verletzung am Finger. Aber im Ernst: Ich liege nicht am Boden, die Situation bringt mich nicht aus der Fassung: Ich bin ein bisschen durch den Wald gelaufen, habe mit meiner Freundin gegrillt, die Musik zu Hause einen Tick lauter aufgedreht. Mein Leben geht normal weiter.

Das nehmen wir Ihnen nicht ab. Wirklich keine Angst, dass Sie an diesem Tag in Barcelona nicht nur ausgewechselt wurden, sondern ein Bruch Ihrer Karriere stattgefunden hat?
Ich habe überhaupt keine Angst. Warum auch? Schauen Sie mal Nachrichten: Viele Menschen verlieren ihren Job oder ihre Altersvorsorge. Sie machen Schulden oder können die Sicherheit ihrer Kinder nicht mehr gewährleisten. Das ist schlimm. Dagegen geht’s mir doch blendend. Und außerdem dreht sich auch nicht die ganze Welt um mich. Ich bin in einer Beziehung, meine Freundin studiert an der Uni, die hat auch ihre Probleme, über die wir gemeinsam reden.

Beim FC Bayern gibt es seit dieser Saison einen Psychologen. Haben Sie sich dem anvertraut?
Nicht wegen dieser Sache. Das ganze Gerede bringt mir nichts, ich brauche Ruhe, das gibt mir Kraft.

Ein Fußballprofi beim Psychologen – das darf nicht sein?
Ich glaube, es gibt viele Sportler, die wirken nach außen abgeklärt, obwohl es innen drin ganz anders aussieht. Die haben vielleicht auch regelmäßig Termine beim Psychologen. Und dann gibt es welche wie mich, die sind überzeugt von sich, stark und gewachsen.

Als René Adler Ende 2008 gegen Russland sein erstes Spiel für die Nationalelf bestritt, sollen Sie den Fernseher ausgemacht haben, weil Sie seine überragende Leistung nicht mitansehen wollten. Wie muss es Ihnen da erst auf der Bank in Barcelona gegangen sein!
Ich hätte einfach unglaublich gern gespielt.

Aber direkt nach dem Spiel haben Sie doch gesagt, dass Sie froh sind, nicht gespielt zu haben? In Internetforen haben Fans Sie deshalb als arrogant beschimpft.
Ich habe eine rhetorische Frage des Reporters, ob ich nach dem Ergebnis froh gewesen sei, nicht im Tor gestanden zu haben, mit »Ja« beantwortet. Das war ein Fehler. So ein Fehler ist mir vergleichsweise das ganze Jahr im Tor nicht passiert.

Aber Barcelona wäre Ihr bisher größtes Spiel gewesen.
Dieses Spiel wäre was ganz Besonderes geworden, klar: Dieses Wahnsinnsteam, wahrscheinlich das beste der Welt. Ich hatte seit Tagen ein Kribbeln im Bauch. Ich hatte mich unglaublich gefreut.

Fühlen Sie sich um das Spiel betrogen?
Es ist definitiv nicht mein letztes großes Spiel.

Im Herbst wollte Klinsmann Sie schon einmal aus dem Tor nehmen. Nur weil Manager Uli Hoeneß dazwischenging, blieben Sie die Nummer eins.
Im Augenblick wird viel geredet, was nur den Verein etwas angeht. Damit beschäftige ich mich nicht.

Aber Sie müssen das latente Misstrauen des Trainers doch gespürt haben?
Der Trainer hat mir immer das vollste Vertrauen ausgesprochen. Es gab keinerlei Anzeichen, dass sich das ändern würde.

Nach dem Spiel in Barcelona hat Klinsmann den Torwartwechsel erklärt. Es sei um das nackte Ergebnis gegangen, deshalb habe er auf die internationale Erfahrung Butts gesetzt. Das klang so, als hätte er vorher wissentlich mit Ihnen als Nummer zwei gespielt.
Ich habe es Ihnen doch schon gesagt: Für mich war diese Aktion völlig unverständlich. Ohne Not. Es war nicht abzusehen, von niemandem.

Noch in Barcelona sagte Klinsmann im Fernsehen: Am Samstag in Frankfurt wird der Michael wieder spielen.
Das hat er zu mir auch gesagt: dass es nur eine Momentaufnahme sei in Barcelona, weil Butt so erfahren sei. Dass ich beim nächsten Bundesligaspiel aber wieder im Tor stehen würde.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Da geht man aus einem Spiel raus und denkt: Okay, das war echt gut heute, und dann liest man am nächsten Tag in der Zeitung, dass man in der 79. Minute unsicher gewesen sein soll.")

Und dann saßen Sie wieder auf der Bank. Das muss unglaublich wehgetan haben: Damit waren Sie endgültig abgesägt.
Klar tut das weh. In Barcelona hatte ich mir gesagt: Das steckst du weg, es ist ja nur für ein Spiel. Und dann das. Er hatte mir seine Zusage gegeben. Ich habe es wieder erst am Spieltag erfahren, von da an war klar, dass er die Saison mit Jörg Butt durchziehen will.

Sie haben mal gesagt: »Ich brauche keinen Berater, weil es bei Bayern München so ehrlich zugeht.« Finden Sie das immer noch?

Ich habe doch einen Berater.

Ja, jetzt schon.
Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun. Das eine ist die Entscheidung des Trainers, das andere sind die Strukturen des Vereins.

Das Tragische ist doch: Sie sind wieder da, wo Sie vorher fünf Jahre gewesen sind – auf der Bank. Fünf Jahre hatten Sie auf den Job des Torwarttitanen Oliver Kahn gewartet. Man nannte Sie den »kleinen Kahn«.
Ich bin nicht der kleine Kahn. Ich bin hoffentlich bald der große Rensing.

War die Lücke, in die Sie nach Kahns Abschied traten, doch zu groß für Sie?
Alle reden immer vom großen Titanen. Das war er, keine Frage, aber nicht von Anfang an. In seiner Glanzzeit, als er die Champions League und beinahe die WM gewonnen hat, als er Welttorhüter wurde, da war er 30 – ich bin gerade mal 24. Dazu kommt, dass Kahn in der letzten Saison so wenig Gegentore wie noch nie bekommen hat. Das war eine Ausnahme, da sollte man mich nicht dran messen.

Und jetzt diese zerfahrene, unruhige, mittelmäßige Saison.
Ehrlich, ich habe es mir leichter vorgestellt. Mir war schon klar, dass ich mit Kahn verglichen werde, aber dass selbst nach souveränen Spielen nach Fehlern gesucht wird, das war mir neu. Da geht man aus einem Spiel raus und denkt: Okay, das war echt gut heute, und dann liest man am nächsten Tag in der Zeitung, dass man in der 79. Minute unsicher gewesen sein soll.

In den Kritiken hieß es: Rensing hält ordentlich, aber keine Unhaltbaren.
Ich habe schon ein paar wichtige gehalten und mir keine Patzer erlaubt, vielleicht ein paar Unsicherheiten. Aber das ist meine erste Saison im Tor, da kann man keine überirdischen Dinge verlangen. Dazu kommt, dass sich Fußball dramatisch verändert: Die neuen Bälle kommen noch schneller und unberechenbarer – die flattern. Da machen alle mal Fehler, auch die Spitzentorhüter.

Vielleicht verströmen Sie als ehemaliger Bayern-Jugendspieler zu wenig natürliche Autorität?
Nach 14 Jahren Kahn steht da auf einmal ein junger Torwart zwischen den Pfosten, der sich erst noch beweisen muss. Klar kann ich da nicht einem dreimaligen Weltmeister aus der Abwehr erzählen, was er zu machen hat. So was muss sich entwickeln. Wenn man zwei, drei Jahre gespielt und ein paar Titel geholt hat, dann sagen die Leute: Das ist ein guter, ein cooler Torwart, dem schaut man gern zu.

Sie haben trotzdem ordentlich rumgeschrien. Im Gegensatz zu Kahn hat bei Ihnen die Abwehr zurückgeschrien. Haben Sie Kahn zu stark kopiert und zu wenig Rensing gezeigt?
Wenn ich fünf Jahre lang täglich mit jemandem zusammenarbeite, ist klar, dass man was übernimmt. Und wenn ich im Strafraum mal rumbrülle, sagen alle: Jetzt kopiert er den Kahn.

Ursprünglich wollten Sie nur bis 2006 auf den Posten im Bayern-Tor warten, doch dann verlängerte Kahn noch einmal. Hätten Sie damals gehen müssen, um sich von der Rolle des Lehrlings zu emanzipieren? Philipp Lahm hat es so gemacht.
Ich weiß noch, wie Karl-Heinz Rummenigge damals bei der Weihnachtsfeier verkündet hat, dass Olli seinen Vertrag um zwei Jahre verlängert hat. Das war schon ein kleiner Schock für mich. Ich stand total im Saft und fühlte mich bereit für die Bundesliga. Ich dachte: Noch mal zwei Jahre warten – das halte ich nicht aus. Aber dann habe ich weiter überlegt: Was, wenn Olli wochenlang ausfällt und ich meine große Chance bekomme? Am Ende bin ich geblieben.

Und jetzt heißt die Schlagzeile: »Rensing abgesägt, jetzt muss er weg.« Was machen Sie nächstes Jahr?
Ich gehe davon aus, dass ich in München spiele. Ich bin hier die Nummer eins. Momentan vielleicht nicht, aber ich werde es wieder.

Kein Wechsel?
Natürlich muss ich für alles gewappnet sein, das Geschäft ist schnelllebig. Ich bin auch nicht so blauäugig zu sagen, dass ich die nächsten 15 Jahre bei den Bayern spiele. Aber ich gehe fest davon aus, dass sich die Situation zu meinen Gunsten ändern wird.

Offenbar wird aber ein teurer Torhüter von einem anderen Verein geholt.
Wenn es so wäre, dann hätte man mir das gesagt. Wir haben ein so faires Verhältnis, das würde man mir mitteilen. Uli Hoeneß hat mir schon bei der deutschen B-Jugendmeisterschaft zugesehen, zu dem kann ich immer kommen.

Und wenn doch eine neue Nummer eins verpflichtet wird?
Dann gehe ich. Nummer zwei will und werde ich definitiv nie wieder sein. Wenn ich das Vertrauen bekomme, wieder Nummer eins zu sein, bleibe ich. Bayern München ist mein Lieblingsverein – das ist wie eine Familie für mich, als Kind habe ich jede Nacht in Bayern-Bettwäsche geschlafen.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Klinsmann im Moment?
Er ist mein Trainer. Ich verhalte mich fair und stelle mich nicht quer, schließlich will ich auch Meister werden.

Die taz hat Klinsmann gekreuzigt. Es gab sogar einen Prozess. Wie fanden Sie dieses Bild?
Falsch.

Hoffen Sie, dass Klinsmann Trainer bleibt?
Das ist nicht meine Entscheidung.

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Michael Rensing, 24, wurde in Niedersachsen geboren. Er spielte in der Jugend des TuS Lingen, bis er im Jahr 2000 zum FC Bayern München wechselte. Dort wurde er Stammtorhüter der Amateurmannschaft, außerdem der U19- und U21-Nationalmannschaft. In der Saison 2003/04 wurde er die Nummer 2 im Bayern-Tor hinter Oliver Kahn, dessen Nachfolge er Ende 2008 nach fünf Jahren Wartezeit antrat. Seitdem hat er sämtliche Bundesliga- und Champions-League-Spiele absolviert. Erst vor dem Champions-League-Viertelfinale gegen Barcelona wurde er gegen Hans-Jörg Butt ausgetauscht.

Fotos: Dieter Mayr