»Nein, nein. Nicht neben, sondern anstelle von Angus Young!« Roger Federer lacht vergnügt, mein verblüfftes Gesicht scheint seine Erheiterung noch zu verstärken. Es ist der vorletzte Abend des Tennisturniers von Dubai. Anderthalb Stunden zuvor hat Federer das Halbfinale gegen Tommy Haas gewonnen. Nun sitzen wir in der Players’ Lounge im »Aviation Club«, trinken 7up aus der Dose und unterhalten uns vor allem nicht über Tennis. Ich gestehe, dass ich vor meiner Reise nach Dubai noch nie ein Tennismatch live gesehen habe. Er lächelt und sagt: »Ich mag es, über andere Themen zu sprechen. Über meine Vorhand habe ich hunderttausendmal geredet.« Darum die Frage nach seinem Jungentraum. Er wollte immer einmal mit einer Rockband auftreten. Mit welcher? Mit AC/DC, sagt er, die hat er schon zweimal live gesehen. Seite an Seite mit dem legendären Gitarristen Angus Young? Nein, allein als Frontmann. »Ist doch irgendwie logisch, in meinem Fall.«
Womit ein Missverständnis geklärt wäre. Roger Federer ist nicht bescheiden. Als 15-Jähriger musste er im Tennisinternat in der Schweizer Kleinstadt Ecublens seine sportlichen Ziele auf ein Blatt Papier schreiben. Die anderen notierten Dinge wie »Berufsspieler werden« oder »Unter die ersten hundert der Weltrangliste vorstoßen«. Roger Federer schrieb: »In die Top Ten kommen und dann die Nummer eins werden.« Tatsächlich sind sein Wunsch, sich ständig zu verbessern, und die Sehnsucht, die Konkurrenz zu dominieren, so groß, dass selbst Boris Becker sich darüber wundert. Ich erreiche ihn in Straßburg, wo er sich auf einen Schaukampf gegen den Franzosen Henri Leconte vorbereitet. »Es ist jetzt das vierte Jahr in Folge, in dem Roger nahezu perfekt spielt, und er wird immer noch nicht müde zu gewinnen«, sagt er. »Ich war viermal hintereinander im Wimbledon-Finale. Irgendwann begann mich das einfach zu langweilen.«
Von den Journalisten wird Federer oft auf dieses Thema angesprochen. Ob er, der nun seit drei Jahren und 16 Wochen ununterbrochen die Nummer eins im Welttennis ist, der von seinen letzten 279 Partien lächerliche 18 verloren hat, der in seiner Karriere mehr als 70 Auszeichnungen erhalten hat und der Ende April bereits wieder für den Masters Cup, das Jahresendturnier der acht Besten, qualifiziert war – ob er seiner Erfolge nicht überdrüssig wird, nie die Motivation verliert, die Freude am Siegen?
Sein erster Gegner in Dubai ist ein Däne namens Kristian Pless. Schon während des Einspielens geht ein Raunen durchs Stadion, weil »Fed«, wie ihn hier alle nennen, einen Ball mit derart viel Drall übers Netz spielt, als handle es sich um Tischtennis. Die Menge, lerne ich, ist in fiebriger Erwartung von Zauberschlägen und Kunststückchen. Man könnte meinen, nicht ein Sportler bereite sich auf seinen Auftritt vor, sondern ein Feuerschlucker oder David Copperfield.
Für einen Laien wie mich ist der Däne eine völlig unbekannte Figur. Wie vermutlich die meisten im Stadion erwarte ich eine Art Scheinkampf zwischen einem Meister und einem Stümper. Nun, der Däne serviert Asse mit 210 Stundenkilometern. Es entwickelt sich ein unerwartet spannendes Match, in dem Federer nur ein einziges Break gelang. Das reicht zwar für den Sieg, aber jetzt verstehe ich einiges besser.
Zwei Tage zuvor, am Privatstrand eines der zahllosen Luxushotels der Stadt, wollte ich von Federer wissen, ob er sich über einen Gegner wie diesen Dänen noch Gedanken mache. Es folgte ein wasserfallartiger Vortrag über die beeindruckenden Stärken seines Widersachers zu Juniorenzeiten, das erhebliche Problem, dessen aktuelle Spielweise nicht genau zu kennen, die generelle Schwierigkeit von Erstrundenpartien und das nicht zu unterschätzende Handicap einer mehrwöchigen Wettkampfpause. Zunächst hielt ich das für den Kniff eines Dauersiegers, sich einzureden, dass er sich weiterhin Mühe geben muss. Doch nach diesem Match erkannte ich, dass mehr dahintersteckte als ein bisschen Autosuggestion. Der Schweizer Heinz Günthardt, in den Neunzigerjahren Coach von Steffi Graf, formuliert es so: »Die Konkurrenz im Herrentennis war noch nie so breit und so gut trainiert. Selbst ein Topspieler riskiert, von der Nummer 67 oder 81 bezwungen zu werden, wenn er nicht vollkommen auf seine Aufgabe fokussiert ist.«
In der zweiten Runde spielt Federer gegen einen Italiener. Nach einer Stunde und 21 Minuten weitgehend normalen Tennissports verwandelt sich der Centre-Court doch noch in eine Manege. Federer rückt ans Netz vor, der Italiener spielt von rechts hinten einen Lob, diagonal über den ganzen Platz, genau auf die Grundlinie, einfach perfekt. Federer sprintet hinterher und schlägt, mit dem Rücken zum Netz, zwischen den Beinen hindurch einen Passierball. Das Publikum tobt, Federer blickt lächelnd zur Großleinwand hoch, der Italiener kniet wie ein Knappe vor ihm nieder und zieht den imaginären Hut als Reverenz an den Virtuosen.
Der Italiener war längst nicht der Erste, der etwas in dieser Art getan hatte. Man könn-te so weit gehen zu behaupten, im modernen Tennis sei die Nummer »Ich verneige mich vor Roger Federer« schon fast zu einem eigenen Genre geworden. Selbst der Spanier Rafael Nadal – zweitbester Tennisspieler der Gegenwart, immerhin – sagt: »Kampf um die Nummer eins? Ich bin doch schon der beste Tennisspieler auf Erden – Roger ist schließlich von einem anderen Stern.«
Es gibt ein paar alte Größen, die sich, bei aller Hochachtung für Federer, an dieser Unterwürfigkeit stoßen. John McEnroe, der Agent provocateur der Szene, schrieb neulich, die Gegner seien zu nett zu ihm. Sie müssten einen Weg finden, »Federer zu hassen«. Und Mats Wilander, sieben Grand-Slam-Titel, sagte, Typen wie Jimmy Connors oder McEnroe wären dem Schweizer »in den Kopf gedrungen«. Heute sehe man Spieler, die trotz einer Niederlage gegen ihn ins Publikum winkten. »Zu meiner Zeit«, sagt Boris Becker, »hätte es das nicht gegeben.«
Aber vielleicht zu Zeiten von Björn Borg? Obwohl es geheißen hatte, die legendärste aller Tennislegenden gebe nur ungern Interviews, entwickelt sich ein überaus unkompliziertes Telefongespräch. Borg, der in dritter Ehe in Stockholm lebt, eine eigene Kleiderlinie besitzt und ein paar schwedische Junioren betreut, hat eine angenehme Stimme und scheint gänzlich frei von Allüren. Er sehe sehr wohl Ähnlichkeiten zwischen sich und Federer, sagt er. Es vereinfache die Dinge manchmal, wenn man der Beste sei und alle einen besiegen wollten. »In dem Moment, wo du den Platz betrittst, bist du psychologisch bereits im Vorteil. Dein Gegner sagt sich, wenn ich gewinnen will, muss ich heute etwas ganz Besonderes probieren.« Er hingegen habe jedes Spiel und sogar jeden Punkt gleich behandelt. »Ich bin überzeugt, dass Roger die Sache genauso angeht.«
Bei einem Besuch in Federers Elternhaus in einem lauschigen Vorort von Basel hatte mir der Vater erzählt, Borg sei, ganz ähnlich wie sein Sohn, als Junior ziemlich ungezogen gewesen. Darauf angesprochen, lacht Borg und sagt: »Oh ja, als ich zwölf, 13 Jahre alt war, habe ich auf dem Tennisplatz herumgetobt, geflucht und gemogelt. Irgendwann wurde es so schlimm, dass mein Verein mich für ein halbes Jahr suspendierte.« Ich will von dem Mann, den die Fans »Iceborg« nannten, wissen, wie man es schafft, sich derart in den Griff zu bekommen. Das sei ein jahrelanger Prozess der Selbstfindung und des Sammelns von Erfahrungen. Mit der Zeit entwickle man sozusagen Übung im Gewinnen, »und du weißt in jeder Situation exakt, welches Verhalten zum Erfolg führt«. Aber war es denn wirklich möglich, sich eine solche Coolness anzutrainieren? Gewisser-maßen das eigene Wesen umzupolen? »Nun«, antwortet Björn Borg lakonisch, »wenn du der Beste werden willst, bleibt dir nichts anderes übrig.«
In der Biografie Das Tennis Genie des Schweizer Journalisten René Stauffer ist nachzulesen, wie Federer mit 19 Jahren eine der schwierigeren Entscheidungen seiner Karriere zu treffen hatte. Er musste sich festlegen, mit wem er fortan auf der Profitour unterwegs sein würde: mit dem Australier Peter Carter, seinem väterlichen Freund und Jugendtrainer, den er mehr als sein halbes Leben lang gekannt und dem er viel zu verdanken hatte. Oder mit dem ehemaligen schwedischen Berufsspieler Peter Lundgren, dem er damals ungleich weniger nahe stand. »Alle dachten«, erinnert sich Yves Allegro, sein Jugendfreund aus dem Tennisinternat, »er würde Carter nehmen.« Federer entschloss sich für Lundgren und der Schwede machte aus dem begabten, aber unsteten Teenager in drei Jahren einen Wimbledon-Sieger. Nicht die einzige bemerkenswert weitsichti-ge und unsentimentale Entscheidung Federers in seiner Laufbahn.
Roger Federer, wird mir klar, ist nicht nur ein singulär begabter Tennisspieler, sondern auch eine Führungspersönlichkeit mit Topmanager-Potenzial. Er hat die Gabe, sich auf ständig wechselnde Situationen einzustellen, ohne den Überblick (und die gute Laune) zu verlieren, er ist in hohem Masse stressresistent und belastbar und er verfügt über das kühle Blut, rasche, wenn nötig unpopuläre Entschlüsse zu fällen. Gut möglich, dass es genau diese Eigenschaften sind, die ihn auf dem Tennisplatz in kritischen Momenten so oft das Richtige tun lassen.
Bei einem Schlummertrunk im »Original Irish Pub« auf der Sportanlage in Dubai frage ich einen französischen Journalisten, was er von Federer halte. Er erzählt, dass er erst seit ein paar Jahren über Tennis schreibe und sich davor lange mit amerikanischem Sport befasst habe. »Ich habe Stars wie Michael Jordan und Wayne Gretzky erlebt. Doch von allen ist Federer die größte Persönlichkeit, die mir je begegnet ist.« Ihn beeindrucke, wie normal Federer geblieben sei, in einem Umfeld, das mit all dem Geld, dem Luxus und dem Hype ganz und gar nicht normal sei. »Federer hat eine stabile Beziehung, einen intakten Freundeskreis und ist imstande, sich im richtigen Leben zurechtzufinden. Ich glaube, ein guter Teil seiner Stärke gründet in dieser Normalität.« Auf dem Weg zurück ins Hotel klingelt das Mobiltelefon. Eine metallische Stimme mit osteuropäischem Akzent sagt: »Hier ist Ivan Lendl. Sie wollten mich sprechen?«
Während seiner Aktivzeit galt Lendl, ein in die USA emigrierter Tscheche, nicht als Inbegriff des flamboyanten Entertainers. Im Gespräch erweist er sich aber als ebenso humorvoller wie mitteilungsbedürftiger Zeitgenosse. Ich frage ihn, was er zurzeit so mache. »Ich bin viel unterwegs, weil ich meine Golf spielenden Töchter zu den Turnieren fahre. Wenn ich mal zu Hause bin, dann setze ich mich in den Lehnstuhl, schalte den Fernseher ein und genieße es, dem fantastischen Sportsmann Roger Federer beim Gewinnen zuzuschauen.«
Ich will wissen, mit welcher Taktik er gegen ihn gespielt hätte. Lendl, sehr trocken: »Taktik? Roger hätte kurzen Prozess mit mir gemacht.« Ob das nicht allzu bescheiden sei für einen, der 19 Grand-Slam-Finals bestritt und insgesamt mehr als fünf Jahre die Nummer eins war? »Nein, das ist die Wahrheit.«
Dann erklärt er mir, dass ein Spieler in der Regel zwei oder drei Arten beherrsche, einen Punkt zu machen. Aber Federer durchschaue die Spielweise seiner Gegner sehr rasch, sodass diese ihre Stärken gar nie entfalten könnten, auch verfüge er selbst über einen ungleich größeren Bestand an Gewinnschlägen. »Roger vereinigt verschiedene Spielertypen in einer Person. Dies sowie die Anmut, mit der er die schwierigsten Bälle spielt, sind die Dinge, die ich am meisten an ihm bewundere.«
Ausgerechnet im letztjährigen Finale von Paris gegen Nadal, zitiere ich Lendls alten Rivalen Stefan Edberg, habe Federer sein Spiel zu wenig auf die Stärken des Gegners ausgerichtet. »Dieses Match«, sagt Lendl, »habe ich eingehend mit Tony analysiert.« Er meint Tony Roche, seinen langjährigen Coach, der bis vor Kurzem auch Federer betreut hat. Natürlich will ich wissen, welchen Rat die beiden Federer für eine mögliche Revanche in diesem Jahr gegeben haben. »Sie werden verstehen, dass ich den Inhalt des Gesprächs vertraulich behandle. Aber wenn Roger in Pension geht, können wir gern darüber reden.« Dann bedankt sich Ivan Lendl für mein Interesse. »Viele Grüße an Roger. Ich hoffe sehr, dass er in diesem Jahr den Grand Slam gewinnt.«
Am Abend spielt Federer das Halbfinale gegen Tommy Haas. Zwischen den beiden entspinnen sich Ballwechsel, von denen jeder an einen guten Kinofilm erinnert. Es hagelt an Pointen; immer wenn man glaubt, den Ausgang der Geschichte zu kennen, nimmt sie eine unglaubliche Wendung. Gegen Ende des ersten Satzes erheben sich selbst die Journalisten von ihren Sitzen und applaudieren. Einzig das Happy End bleibt dem immer gleichen Protagonisten vorbehalten.
Vor dem Siegerinterview wirft Federer sein Schweißband ins Publikum. Er katapultiert es fast in die obersten Ränge der steilen Tribüne. Man sieht, wie viel Kraft in diesem Handgelenk steckt, das sein Ex-Coach Tony Roche einst als entscheidend bezeichnete für die unglaubliche Beschleunigung, die Federer mit seiner Vorhand erzielt. Eine Vorhand, die der US-Schriftsteller David Foster Wallace unübertroffen poetisch als »große fließende Peitsche« bezeichnete.
Zum Glück redet Roger Federer so, wie er Tennis spielt – schnell und mit hoher Intensität –, sodass wir uns bei dem spätabendlichen Gespräch nach dem Halbfinale nicht nur über Angus Young unterhalten kön-nen, sondern auch über Anna Wintour, die Vogue-Chefin, die Federer als Freundin bezeichnet. Und über Roberto Carlos, der ihn in der Umkleidekabine von Real Madrid um ein Autogramm bat.
Was ist das Beste am Berühmtsein? »Der Applaus des Publikums. Entertainer sein, im Mittelpunkt stehen. Was mir nicht viel bedeutet, ist, auf der Straße erkannt zu werden. Bis vor ein paar Jahren hieß es manchmal noch: ›Sie habe ich doch schon irgendwo gesehen.‹ Das ist jetzt leider vorbei.«
Es heißt, Sie wollten über alles Bescheid wissen, was in Ihrem Umfeld läuft. Sind Sie ein Kontrollfreak? »Um mich herum geht so viel ab – Sponsoren, Medien, meine Stiftung –, wenn da etwas schief läuft, muss ich den Kopf hinhalten. Also will ich auch mitbestimmen können. Das Coole an meinem Job ist ja: Ich bin mein eigener Boss und kann machen, was ich will. Nicht wie ein Fußballer, der einfach irgendwohin transferiert wird oder dem man verbieten kann, sich in eine Hängematte zu legen, weil es nicht zum Image des Vereins passt.«
Letzter Satz, Tiebreak, Matchball für den Gegner, Sie müssen über den zweiten Aufschlag. Was geht Ihnen in diesem Moment durch den Kopf? »Die Frage ist: Willst du das Zepter in die Hand nehmen oder überlässt du es dem anderen? Ich würde eher wenig riskieren. Wenn der Ball einmal im Spiel ist, ist es für den anderen nicht einfach. Einen Matchball gegen mich muss man zuerst einmal verwerten. Indem ich den Ball im Spiel halte, gebe ich den Druck weiter. Vielleicht haut der andere ja den nächsten Ball ins Aus und bezwingt sich so selbst.«
Am nächsten Tag gewinnt Roger Federer mit dem 41. Sieg in Folge das Endspiel gegen den Russen Michail Juschni. Mit buddhistischer Gelassenheit lässt er die Ehrbekundungen des Vizeturnierdirektors über sich ergehen. Der unterlegene Russe murrt in maximal komplexitätsreduziertem Englisch: »Roger give me gud less’n.«
Sechs Wochen später. In Monte Carlo wird das erste große Sandturnier der Saison ausgetragen. Roger Federer betritt den Pressesaal. Er blickt sich um, begrüßt einen Journalisten aus der Schweiz, stutzt und sagt zu mir: »Was, du schon wieder? Wirst noch zum Tennis-Ex-perten.« Vieles, was in Dubai zu erleben war, wiederholt sich hier an der Côte d’Azur. Federer warnt vor seinem Erstrundengegner, einem lediglich Insidern bekannten Italiener, und gewinnt tatsächlich nur mit Mühe. Seine Gegner werden von Runde zu Runde stärker, Federers Siege dennoch deutlicher. Rafael Nadal versichert den Journalisten täglich, wie grenzenlos seine Hochachtung für die Spielkünste des Rivalen aus der Schweiz sei.
Manches ist aber auch anders. In dem distinguierten, in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts gegründeten Monte Carlo Country Club verfolgt das Publikum die Spiele nicht mit kindlicher Begeisterung, sondern eher reserviert. Damit hat Federer, der den Applaus so liebt, seine Mühe. Einmal, als das Geklirr der Champagnergläser und das Gelächter der dekolletierten Damen ihn beim Aufschlag stören, drischt er einen Ball in Richtung VIP-Terrasse.
Vor allem aber ist Federer erstmals seit Langem nicht der Favorit. Zum einen hat er Nadal, der in Monte Carlo jeden seiner Gegner in kürzester Zeit vom Platz fegt, auf Sand noch nie bezwungen. Zum anderen hat er zwei unerwartete Niederlagen in den USA hinter sich. Boris Becker findet es zwar »schlicht normal«, dass auch Federer hin und wieder verliert, »nicht normal war, dass er zuvor jedes Turnier gewonnen hat«. Trotzdem macht unter den Journalisten das Wort Krise die Runde.
Federer selbst, der ansonsten einer Operndiva gleich nur bei einer relativ kleinen Anzahl ausgewählter Turniere antritt, dort aber in jedem Match brillieren und dominieren will, erklärt diese Niederlagen – und alle weiteren, die in diesem Frühjahr möglicherweise folgen – für irrelevant. Nur das eine zähle: Roland Garros. Das Turnier von Paris. Der einzige Grand-Slam-Titel, den er noch nicht gewonnen hat.
Björn Borg siegte viermal in Paris. Bei unserem Gespräch fragte ich ihn, was Federer von ihm lernen könne. Borg lachte und sagte artig: »Ich glaube nicht, dass Roger von irgendjemandem etwas zu lernen braucht.« Nur so viel: »Von allen Turnieren, die ich bestritten habe, war Roland Garros am schwierigsten zu gewinnen. Es gibt eine Menge ausgezeichneter Sandplatzspieler. Wenn man es bis ins Finale geschafft hat, ist man unweigerlich müde. Im Kopf, aber auch in den Beinen.« Es gebe keinen Grund, wieso Federer in Paris nicht gewinnen könne. »Aber er muss mental und physisch in bester Verfassung sein.«
Tatsächlich hat Federer, der ohnehin einer der austrainiertesten Athleten im Männertennis ist, der während dreier Jahre nach einem ausgefeilten Plan an seiner körperlichen Grundverfassung gearbeitet hat, der sich auch heute noch mit der Disziplin einer chinesischen Kunstturnerin und der Härte eines Fremdenlegionärs viermal jährlich mehrere Wochen lang von seinem Konditionstrainer schlauchen lässt, tatsächlich hat Federer schon im März mit einem speziell auf Roland Garros ausgerichteten Fitnessprogramm begonnen. Dass er sich deswegen noch etwas müde fühlt, deutet er nur an. Es könnte ihm als Ausrede ausgelegt werden.
Kann er es in diesem Jahr schaffen?
Im Finale von Monte Carlo ächzt und schreit Nadal und schwingt sein Racket wie ein Holzfäller die Axt. Federer gleitet über den Platz und schlenzt die Bälle, als verteile er Ohrfeigen, aus dem Handgelenk in die entlegensten Winkel des Feldes. Es ist ein bisschen wie Schwanensee und Breakdance auf der gleichen Bühne.
1:0, 1:1, 2:1, 2:2 und so weiter. Die Partie verläuft so, wie fast alle Sandpartien zwischen den beiden: ausgeglichen und am Ende gewinnt Nadal. Dennoch gibt Roger Federer an der Medienkonferenz den Gelassenen: nicht gut gespielt und trotzdem nur knapp verloren; von der Grundlinie aus bestens mitgehalten. Sein obligater Hinweis auf Roland Garros tönt jetzt fast wie eine Drohung. Ein italienischer Journalist insistiert: 19 Sätze auf Sand gegen Nadal! Und nur fünf gewonnen! Warum! Sind Sie blockiert? Macht er Sie nervös? – »Das sind sehr merkwürdige Fragen«, zischt es zurück. Für einen Moment scheint es, als drohe Roger Federer die Fassung zu verlieren.
Dann lächelt er wieder.