Über das berühmteste Tor der Fußballgeschichte braucht man nichts mehr zu sagen und zu schreiben. Das »Wembley-Tor« ist nun wirklich hinreichend diskutiert – vor allem aber war dieses 3:2 für England vor genau 50 Jahren ganz gewiss nicht das seltsamste Tor, das in diesem WM-Finale vom 30. Juli 1966 gegeben wurde. Dieses war das 4:2. Es fiel in der allerletzten Minute der Verlängerung, es besiegelte die deutsche Niederlage. Am deutschen Strafraum waren im Einsatz: zwei englische Spieler, zwei deutsche Spieler – und drei Zuschauer.
So vieles ist seltsam an diesem Tor: dass der Schiedsrichter es tatsächlich gab. Dass kein deutscher Spieler protestierte. Dass es auch später nie ein Thema war. Das muss man sich ja mal vorstellen: In einem Weltmeisterschaftsfinale beim Stand von 3:2 laufen drei Zuschauer auf Ballhöhe, der Ball geht ins Tor, zum 4:2 – und niemanden kümmert's!
Bei meinem Großvater lag in den 70er-Jahren ein Bildband über die WM 1966 herum. Ein Foto zeigte diese Szene vor dem 4:2. Und wie das im Leben manchmal so geht: Man sieht etwas, man vergisst es zwar, aber irgendwo im Hinterkopf nistet sich das Gesehene ein – und eine Ewigkeit später kommt es einem wieder in den Sinn; in diesem Fall vor ein paar Monaten. Also nahm ich Kontakt zu fünf Beteiligten von damals auf: den Spielern Horst-Dieter Höttges, Wolfgang Overath, Hans Tilkowski und Wolfgang Weber, außerdem dem Radioreporter Heribert Faßbender. Warum protestierte niemand gegen dieses Tor, warum machte es niemand zum Thema?
Der Grund dafür ist erstens simpel und macht das Rätsel zweitens noch ein bisschen größer: Mit Ausnahme von Tilkowski hatte keiner von ihnen die Zuschauer bemerkt – sogar Overath nicht, und der lief an ihnen vorbei. Als ich nun mit ihm darüber sprach, antwortete er: »Nä!« Das höre er zum ersten Mal. Kann man ihm das glauben? Die Geschichte über das vierte Tor zeigt: Auf jeden Fall!
Foto: British Pathé