Meine Mutter engt ein
Von Paris nach Los Angeles zu ziehen war für mich eine Befreiung: In der Nähe meiner Mutter könnte ich kein eigenes Leben führen. Wenn ich in Paris bin, kommt sie in meine Wohnung, wann sie will, füllt den Kühlschrank mit Äpfeln und Birnen – dass sie meine Schlüssel hat, findet sie selbstverständlich. Klar freue ich mich über frisches Obst und ich weiß, dass sie es gut meint. Aber oft denke ich: Mama, lass mich, ich bin erwachsen. Sie kann eine unglaubliche Nervensäge sein und ist besessen von Details, die mir völlig egal sind. Zum Beispiel versteht sie nicht, dass ich meine T-Shirts nicht bügle oder dass es mich nicht stört, wenn etwas nicht immer am selben Platz steht.
Meine Mutter erzieht mich noch immer
Mütter bemühen sich zu erziehen und das Leben ihrer Kinder zu strukturieren. Sie sagen: Zieh einen Schal an, es ist kalt. Oder: Mach deine Hausaufgaben. Tatsächlich ist meine Mutter auch diejenige, die mich alle zwei Monate dazu bringt, meine Fanpost zu beantworten. Es ist ihr sehr wichtig, dass ich den Leuten persönlich schreibe. Natürlich hat sie recht, aber ich würde es wohl zwischen all meiner Arbeit schleifen lassen – keine Chance. Bin ich in Paris, weckt sie mich morgens um sieben Uhr mit den Worten: »Aufstehen, es ist Zeit für deine Fanpost.« Meine Mutter ist zerbrechlich
Ich liebe meine Mutter sehr und bin ständig zu Besuch in Frankreich, weil ich sie sehen möchte. Als ich klein war, hatte sie Krebs – ihre Sterblichkeit wurde mir also sehr früh bewusst, darum schätze ich unsere gemeinsame Zeit besonders. Die Krankheit ist zwar lange her und sie ist eine starke Frau, eine Kämpferin. Ich mache mir trotzdem oft Sorgen. Manchmal benimmt sie sich wie ein kleines Kind. Es macht mich wahnsinnig, wenn sie mir erzählt, dass sie sich krank fühlt, aber nicht zum Arzt gehen will. Ich habe sowieso ständig Angst, dass jemand aus meiner Familie krank wird oder stirbt.
Meine Mutter mag es laut
Ohne dass der Fernseher oder das Radio läuft, kann meine Mutter nicht sein, immer braucht sie einen Geräuschpegel. Ich hingegen liebe Stille – manchmal habe ich das Gefühl, wir sind Menschen von unterschiedlichen Planeten. Obwohl sie ein Herzleiden hat, kann sie so unvernünftig sein. Zum Beispiel wollte sie unbedingt zum Daft-Punk-Konzert. Ich sagte: »Mama, das ist Techno-Musik, das ist nichts für dein Herz.« Aber sie bestand darauf. Wir waren also dort und gingen nach zwanzig Minuten wieder, weil sie sich nicht wohlfühlte.
Meine Mutter sorgt sich
Wehe, ich sage meiner Mutter, dass ich Grippe habe. Sie bekommt sofort Panik. Oder wenn ich mit dem Auto eine größere Strecke fahren muss – ich erzähle es ihr inzwischen schon gar nicht mehr, damit sie sich nicht sorgt. Das ist wohl einer der wenigen Punkte, in denen wir uns ähnlich sind, diese ständige Sorge umeinander. Und dass ich meist sage, was ich denke, das habe ich auch von ihr. Greift mich jemand an, schnappe ich zurück; nicht immer, wie meine Mutter, aber ziemlich oft – das halte ich für eine gute Eigenschaft, niemand sollte sich alles gefallen lassen.
Meine Mutter hört zu
Die Rollen sind bei uns klar verteilt: Mit meinem Vater lache ich mehr, mit meiner Mutter wälze ich Probleme. Bin ich in Los Angeles, telefonieren wir jeden zweiten Tag. Mein Freund findet das seltsam. Aber alle Frauen, die ich kenne, sprechen so oft mit ihren Müttern. Ich könnte es mir gar nicht anders vorstellen. Meine Mutter und ich jammern uns gern gegenseitig etwas in den Hörer, sie beschwert sich über meinen Vater, ich quengle, weil ich mich nicht gut fühle.
Meine Mutter erpresst mich
Müsste ich unsere Beziehung in einen Satz fassen, würde ich sagen: Sie besteht aus sehr viel Liebe und sehr viel Gezanke. Mit meinem Vater unterhalte ich mich wie unter erwachsenen Menschen. Spreche ich mit meiner Mutter, wird es oft laut, die Gefühle kochen schnell hoch. Schon meine Oma hat meine Mutter emotional erpresst, meine Mutter macht das Gleiche mit mir. Sie sagt: »Ach, du kommst nicht? Aber mir geht’s heute gar nicht gut.« Und sofort habe ich Gewissensbisse und fühle mich schuldig. Diese spezielle Art, Druck auszuüben, finde ich schrecklich, sie liegt mir nicht. Die liebevolle, aber doch sehr aufreibende Abhängigkeit, die die Frauen in unserer Familie seit Generationen verbindet, muss ich endlich durchbrechen. Darum möchte ich nur Söhne zur Welt bringen.
Der Schauspielerin, Sängerin und Drehbuchautorin Julie Delpy, 37,
gelang der internationale Durchbruch 1995 an der Seite von Ethan
Hawke mit »Before Sunrise«. Heute lebt sie in Los Angeles. Ihr Regiedebüt »Zwei Tage Paris« lief im Mai in den Kinos und erscheint im Dezember auf DVD. In der Komödie spielt auch ihre Mutter, die Schauspielerin Marie Pillet, 66, mit.