SZ-Magazin: Warum hat Großbritannien eine so lebendige, weltweit erfolgreiche Popkultur?
Simon Fuller: Viel hat wahrscheinlich damit zu tun, dass wir eine kleine, dichtbevölkerte Insel sind. Wir neigen dazu, ein bisschen exzentrisch zu sein, wollen die Dinge immer etwas anders angehen und sie dann – alte Seefahrertradition – in die Welt tragen. Ich glaube, deshalb sind wir sehr kreativ, in allen künstlerischen Bereichen. Musik eignet sich besonders dazu, sie mit anderen zu teilen. Unsere Sprache hilft natürlich auch.
»Swinging London« in den Sechzigern, »Cool Britannia« in den Neunzigern – sind die Briten auch in der Selbstvermarktung besonders gut?
Wir hatten unser »Empire«, ein hohes Ansehen in der Welt, das hat uns viel Selbstvertrauen gegeben – manche nennen es Arroganz. Wir glauben an das, was wir tun. Briten sind außerdem ziemlich gut in der Kommunikation, britische Diplomaten gehörten immer zu den besten.
Ist der Brexit gut oder schlecht für diese besondere Marke?
Schlecht. Die Welt bewegt sich rückwärts, das entspricht nicht meinen Überzeugungen und macht mich traurig. Aber wenn ich jetzt mit der Premierministerin zusammensäße und den Brexit vermarkten müsste nach dem Motto: Jetzt haben wir den Schlamassel, wie drehen wir das in etwas Positives? Das wäre eine Herausforderung, die mich reizen würde. Bedauerlicherweise habe ich keine Zeit.
Sie arbeiten an Now United, einer Band, die sich aus elf Nationen zusammensetzt. USA, Brasilien, Südkorea, ein Kandidat wird auch aus Deutschland kommen. Welche Verkaufsidee steckt dahinter?
Wenn du Mitglieder aus elf Nationen hast, können sich Fans aus elf Nationen mit der Band identifizieren – und viel direkter mit dem jeweiligen Mitglied aus ihrem Land kommunizieren. Außerdem wird die Band sehr interaktiv sein, eine »Community Group«, jeder kann seine eigene Stimme über die Songs legen, von Anfang an jeden Tanzschritt mit einstudieren, die Fans werden extrem involviert sein. Wenn die Band dann, sagen wir, in Belgien auftritt, werden wir wissen, wer dort Now United hört, weil diejenigen vorher in der Community gepostet haben. Einen davon laden wir ein: Komm in die Band! Ein belgischer Fan wird dann für einen Abend eines der anderen Mitglieder ersetzen.
Anfang der Achtzigerjahre arbeiteten Sie als Talentscout einer Plattenfirma in London, mit 24 gründeten Sie Ihre eigene Vermarktungsagentur »19 Entertainment«, passend zu Ihrem ersten Nummer-Eins-Hit mit Paul Hardcastles Vietnam-Song 19. Mitte der Neunziger verhalfen Sie den Spice Girls zum Welterfolg. Was sahen Sie in diesen Frauen?
Die Gruppe gab es schon ungefähr ein Jahr, sie hießen Spice, es lief überhaupt nicht. Sie arbeiteten dann mit einem unserer Produzenten-Teams zusammen und wollten einen Termin bei mir. Damals gab es nur Boygroups, keine richtigen Girlgroups, deshalb war ich sofort neugierig, aber was mich im Endeffekt überzeugte, war das Selbstvertrauen dieser fünf Frauen. Sie hatten eine unglaubliche Energie und waren extrem ambitioniert. Das passte zu dem neuen Spirit, der in London gerade spürbar wurde. Wir wussten damals selbst noch nicht, was es war, aber es wurde: Girl Power.
Sie gaben den Mädchen verschiedene Geschmacksrichtungen: Ginger Spice, Sporty Spice, Posh Spice – wie bei Lebensmitteln.
Das war nur logisches Marketing. Die Frauen fanden, sie seien so verschieden. Ich sah das ehrlich gesagt nicht, auch wenn die eine rothaarig und die andere brünett und eine farbig war. Für mich zählte: Spice – langweilig. Spice Girls – interessant! Also sagte ich: »Was auch immer ihr sein wollt: Seid es, aber seid es laut und stark!« Ein subtiles Image kriegt keiner mit, früher nicht, heute erst recht nicht.
Bald waren die Gesichter der fünf auf Pepsi-Dosen zu sehen, es gab einen Spice Girls-Film.
Ich erinnere mich, dass Victoria relativ zu Beginn sagte, sie wollten bekannter als das bekannteste Waschpulver werden. Und ich sagte: Gut, das kann ich arrangieren.
Die Band wurde die erfolgreichste Frauenband der Geschichte. Doch dann beschwerten sich die Frauen, Sie würden sie so auf Trab halten, dass sie nicht einmal Zeit für Sex hätten. 1997 gaben sie Ihnen den Laufpass.
Ein Schock, das war mir noch nie passiert. Ich fühlte mich wie ein verlassener Ehemann. Doch innerhalb von 48 Stunden konnte ich die Entscheidung zumindest nachvollziehen. Da waren diese fünf ambitionierten Frauen, die berühmt werden wollten, und plötzlich denken sie: »Moment mal, was hat dieser Typ hier noch zu suchen? Wir haben genug davon, dass uns jemand sagt, was wir zu tun haben.« Weg waren sie. Drei Jahre später kam dann zuerst Emma Bunton zurück, danach Victoria Beckham.
Victoria Beckham und ihren Mann David betreuen Sie seit 15 Jahren. Angeblich sollen Sie die beiden sogar zusammengebracht haben, obwohl Victoria zu der Zeit bereits ein Auge auf den Fußballer Ryan Giggs geworfen haben soll.
Ich wusste, dass sie einen Freund haben wollte, also sagte ich: »Das hier ist David Beckham, ich glaube, ihr wärt toll zusammen.«
Wenn Andy Murray in Wimbledon spielt, saß dort früher ihr ehemaliger Klient Lewis Hamilton. Im vergangenen Jahr waren die Beckhams da, und die Freundin von Murray trug ein Kleid von Victoria Beckham. Denken Sie immer in Synergien?
Ich sehe die Dinge gern in einem größeren Zusammenhang. David zum Beispiel war früher nur Fußballspieler – tatsächlich ein viel besserer Fußballspieler als man sich später erinnern wird, weil er als Ikone dann viel größer als sein Spiel wurde. Andy Murray war ein brillanter Sportler, aber sein Image war nicht so gut, er hatte das Publikum nicht hinter sich, die Leute feuerten mehr Roger Federer an. Also? Wie machen wir ihn zum Helden, zum Sympathieträger? Vielleicht sollten wir eine BBC-Dokumentation über ihn und seine Erlebnisse in der Jugend machen, damit die Leute ihn besser verstehen? Und wenn er eine hübsche Freundin hat – warum machen wir sie nicht noch hübscher, wo ich doch die Designer Roland Mouret und Victoria Beckham kenne? Und warum sollte David nicht im Publikum sitzen, das alles macht Andy doch größer, alle profitieren. Mein Ansatz ist immer: Was geht noch zusätzlich? Wenn jemand natürlich eine Aversion gegen Ruhm hat, bin ich möglicherweise nicht der richtige Manager.
Sie wurden von Robbie Williams beschimpft, es sei grausam, was Sie machten, Chris Martin von Coldplay sagte, jemand wie Sie gehöre eingestampft. Warum?
Oh, ich weiß, ich mache ja nur beschissene Popmusik und nicht so etwas wie Radiohead, mit richtigen Künstlern, die nicht weltberühmt werden wollen. Aber was soll ich für jemanden tun, der nur Nische sein möchte? Ich bin besser in Dingen, die viele Leute mögen, nennen Sie es Mainstream. Ich bin Unternehmer, ich komme nun mal lieber als erster ins Ziel als auf Platz 57. Wenn ich nicht glaube, dass jemand in seinem Bereich das Zeug zur Nummer Eins hat – wozu die Mühe?
Keine Ausnahmen?
Natürlich, es kommt auch darauf an, was der Künstler will. Ich manage seit über zwanzig Jahren Annie Lennox. Da geht es um ganz andere Dinge. Welche Charity lohnt es sich zu unterstützen? Mit welchen Leuten möchte sie gern einmal arbeiten? Ich verstehe genau, was sie will, und würde sie nie in eine Richtung drängen, bei der ihr nicht wohl ist.
Stimmt es, dass Sie es waren, der Victoria Beckham überzeugt hat, Modedesignerin zu werden?
Für mich war das vollkommen klar.
Warum? Es gab eine Menge Leute, die zu Anfang ganz anderer Meinung waren.
Victoria war frustriert mit ihrer Solokarriere als Sängerin, sie hatte zwar ein paar Hits, aber die Kritiker mochten sie nicht, und sie hatte keinen Spaß. Also sagte ich zu ihr: Deine größte Leidenschaft ist Mode – mach das! Sie war ja schon bei den Spice Girls »Posh«, weil ihre Eltern ein bisschen Geld hatten und sie die hübschesten Kleider trug. Sie war aber auch eine kleine Geschäftsfrau, extrem fokussiert.
Mittlerweile ist Victoria Beckham eines der am schnellsten wachsenden Luxuslabel und wird von der Kritik gelobt. Manche Leute fragen sich bis heute, wie »Posh« das hinbekommen hat.
Victoria lernte schnell, sie war ehrgeizig, der Rest ist Geschichte. Wenn du schon sehr bekannt bist, Leidenschaft mitbringst und die Dinge vernünftig angehst, hast du ziemlich gute Chancen.
Zwischenzeitlich gehörte Ihnen auch Storm Models, die Agentur, bei der Kate Moss lange unter Vertrag war.
Models sind Ikonen, das interessierte mich. Eine der ersten Frauen, die ich bei Storm entdeckte, war Cara Delevingne, die dann unglaublich erfolgreich wurde. Aber ich kann am Ende doch nicht alles machen, ich kam im Modelbusiness nicht weiter.
Es gibt das Gerücht, dass Sie mit einem bekannten französischen Designer an einem gemeinsamen Projekt arbeiten.
Ja, mit Alber Elbaz. Alber findet, Mode solle wieder Spaß machen, raus aus der elitären Ecke. Also versuchen wir, die Modewelt ein Stück weit mit der Entertainmentwelt zu verschmelzen. Wir werden sehen.
Foto: Promo