Der Weg in Justin Smiths kleines Gruselkabinett führt durch ein enges Treppenhaus. An den Wänden des Arbeitsraums hängen Dutzende Tierschädel. »Mich faszinieren Köpfe«, sagt Smith, ein ausgiebig tätowierter Mann mit Heidizöpfen und riesigen Löchern in den Ohrläppchen. Doch so viel steht fest: Wer sein Atelier im Londoner Rotlichtviertel Soho besucht, endet eher in der italienischen Vogue als an der Wand.
Smith, 30, ist erst seit 18 Monaten Hutmacher und schon eine Sensation. Sein Label »J Smith Esquire« wird in einem Atemzug mit Stars wie Stephen Jones und Philip Treacy genannt, die das Hutmacherhandwerk in den letzten Jahren mit neuem Leben erfüllt haben. Smiths Skulpturen, die mit handelsüblichen Hüten nur noch das Einsatzgebiet gemein haben, werden in New York, Paris, Hongkong und natürlich London verkauft. »Hüte – wie von Fellini entworfen«, schwärmte das amerikanische Modemagazin W von Smiths surrealer, von schwarzem Humor unterfütterter Debütkollektion im Sommer 2007. Auch die Hüte der »Kaleidoscope«-Kollektion für Frühjahr/Sommer 2009 spielen mit dunklen Assoziationen. Übergroße Sombreros, winzig kleine Plastikschleifen oder Baskenmützen aus goldenem Stoff scheinen nicht geeignet, Hüte nach sechzig Jahren aus der Avantgarde-Nische zu holen. Nicht jeder Kopf verträgt so viel Charakter. Wahrscheinlich ist das gut so. »Man galt ja früher als unbekleidet, wenn man ohne Hut das Haus verließ«, sagt Smith, »diese Zeiten werden wohl nicht wiederkommen. Aber die Leute fangen endlich wieder an, Hut zu tragen.
Er verpasst dir ein Stück Individualität, wie das keine It-Bag und kein High Heel kann.« Obwohl es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag, passen Smiths poetische Entwürfe bestens in die Finanzkrise: Eine persönliche Kopfbedeckung steht über jedem Trend; sie bleibt, wie ein Maßanzug, zeitlos schön. Smith sieht sich als Traditionalist und Erneuerer zugleich: »Ich nehme typisch englische Hüte und verfremde sie ein wenig«, sagt er, und ganz so düster seien seine Entwürfe auch wieder nicht. »Ein gewisses Gothic-Element taucht immer wieder auf, das stimmt. Ich habe jedoch auch sehr hübsche Filzhüte in warmen, knalligen Farben hier.« Wie sich sein Stil beschreiben ließe?
»Jedes Stück steht für sich selbst und hat seine eigene Entstehungsgeschichte.« Häufig wisse er am Anfang gar nicht, ob es ein Damen- oder Männerhut werde; manchmal bleibt die Frage auch später unbeantwortet. »Polysexuelle Kappen« nennt er seine Unisex-Modelle.
Er selbst sammelt und trägt schon seit Jahren Hüte, dabei hätte es beinahe nur zu einem einzigen Exemplar aus weißer Baumwolle gereicht: »Ich wollte eigentlich Koch werden.«
Smith ist in der Grafschaft Devon geboren. Er arbeitete an der englischen Südküste als Zuckerbäcker. Mit 19 zog er nach London, ließ sich zum Friseur ausbilden und bekam eine Stelle bei Toni & Guy. »Für Modenschauen bastelte ich aberwitzige Sachen, die dann mit Haaren bedeckt wurden. Ich entschloss mich, einen Hutmacherkurs zu belegen, um das Metier besser zu verstehen. Dass ich eines Tages selbst Hüte machen würde, habe ich nicht gedacht.« Doch dann ging es schnell. 2007 machte er am Royal College of Art in London sein Meisterdiplom; bei seiner Abschluss-Schau schickte er Riesen und Zwerge über den Laufsteg und ließ sie Hüte jonglieren. Das Museum des »Fashion Institute of Technology« in New York kaufte einen Zylinder aus durchsichtigem, tätowiertem Schweinsleder.
Inzwischen stellt Smith zusammen mit einem Assistenten achtzig bis hundert Hüte pro Saison her. Dazu kommen noch Maßanfertigungen; einmal die Woche schneidet er in seinem Wohnzimmer, das zugleich ein privater Friseursalon ist, auch noch Haare. Für die nächste Zeit plant er, in größere Geschäftsräume umzuziehen und einen kleinen Laden aufzumachen; er hofft auf einen Investor, der Sinn für seinen Spaß hat.
»Ich liebe die Arbeit mit besonderen Stoffen, und ich liebe es, verrückte Ideen wirklich werden zu lassen«, sagt er und deutet auf einen Fetzen Krokodilleder, der an einem Nagel hängt: »Das kommt auch bald dran.« Später streicht er einem Fasanenhinterteil mit integrierter Perlenkette zärtlich die Federn zurecht. »Lässt sich sehr gut tragen und wird mit der Zeit immer besser.« Smith lässt offen, woher seine Inspiration kommt.« Ich habe einfach viele irre Dinge im Kopf«, sagt er lächelnd. »Es ist sehr schön, sie auf diese Weise herauszubekommen«.
Fotos: Tara Darby/East Photographic