Buch reimt sich auf Geruch. Das kann kein Zufall sein: Bevor wir ein Buch lesen können, riechen wir es in unseren Händen, und der Duft, der ihm entströmt, lenkt unsere Gedanken manchmal in eine völlig unerwartete Richtung. Ein frisch aus der Zellophanhülle entwundenes Werk erobert unsere Sympathie durch Umschlag, Titel, aber auch dadurch, wie es sich anfühlt und wie es riecht. Während es in der Automobilindustrie längst üblich ist, den Erfolg eines neuen Modells durch entsprechende Beduftung zu lenken, verharrt der Buchhandel in fast krimineller olfaktorischer Naivität.
Als mir das erste Exemplar meines Erzählbandes Was ich davon halte übergeben wurde, erlitt ich, gelinde gesagt, einen Schock. Aus den aufgeblätterten Seiten wehte ein säuerlicher Wind, der instinktiv an eine ganz andere Übergabe denken ließ. Mensabesucher an der Universität kennen das Phänomen, wenn vorgeriebener Parmesan zu lange an den Kassen steht. Ich hoffte, der Geruch würde sich bald legen, aber noch heute halte ich angstvoll Distanz zu den Seiten, wenn ich darin lese. Ein Umstand, der fast tragischer ist als die Wahl des Umschlags. Ich hatte im letzten Moment das Raucherporträt des russischen Schriftstellers Jewgenji Jewtuschenko aus der wunderbaren Zeitschrift Twen, dessen Verwendung er mir bei einer Lesung persönlich bestätigte mit dem Satz: »Eckhart Nickel has the right to use my photo for his cover, yeah!«, ausgetauscht gegen ein Foto, das der Popfotograf Horst Diekgerdes von mir gemacht hatte. Fehler! Ich bin mir heute sicher, das Buch hätte anders gerochen, nach Tabak und auch nach Kaffee (die Schrifttype auf dem alten Umschlag war schließlich die der inzwischen untergegangenen Wiener Modemarke Helmut Lang).
Aber zurück zum Geruch. Da der Duft neuen Papiers so fatal dem der Hochglanz-magazine kurz vor der Kasse im Supermarkt ähnelt, riecht es in modernen Großbuchhandlungen, die keine alten Bücher führen, eher nach dem Plastik der Einschweißung als nach dem schönen, lebenssatt vergilbtem Papier der Antiquariate. Sie sind allein wegen ihres Geruchs für mich die wahre Heimat der Bücher. Nie werde ich den sonnengetränkten Duft des Hamburger Antiquariats »Fundgrube« vergessen, das fast versteckt zwischen dem Dammtor-Bahnhof und dem Eingang zu »Planten un Blomen« liegt. Bereits beim flüchtigen Überfliegen der wohlfeil in Kisten vor der Tür angebotenen Restexemplare steigt der so typische und sympathische Gout alter Bücher in die Nase.
Die ewige Jahreszeit des Antiquariats ist der sonnige Frühherbst. Vielleicht weil die Blätter der schönsten Bücher bereits verfärbt sind vom Licht ihres Leselebens und auch so riechen, im Idealfall wie die von einer Straßenbahn beim Bremsen zer-riebenen Ahornblätter auf einer Altstadtallee. So wirkt in jedem Buch die Kraft der Natur und ragt in die Kultur unserer Behausungen hinein. Seltsamerweise riecht es in bücherlosen Wohnungen erschreckend tot und sauber.
Bücher haben nämlich nicht nur ein intellektuelles Eigenleben im Kopf ihrer Besitzer, sie verwandeln auch das Zimmer, in dem sie zu Hause sind, zumeist in das Ge-ruchszentrum des Hauses. Denn sie atmen, wie mir scheint, mit. Wie eine Kerze, die den Sauerstoff eines Zimmers verbraucht, flackert das gepresste Papier mit der Druckerschwärze an den Wänden und lässt eine Art Flimmern entstehen, dessen Geruchs-partikel den Rußteilchen eines Feuers gleich durch die Gänge tanzen und eine Ahnung von Verfall verbreiten. Es sind Bakterien am Werk, wie die Kaufbezeichnung der Antiquariate es in dem wunderbaren Wort »stockfleckig« verrät. Wasser und Licht, die Feinde des Buches, zersetzen es, falten es in Wellen und geben seinem Rücken das, was ein anderes, in letzter Zeit zu oft verwendetes Wort, bezeichnet: Patina.
Deren Duft kommt nicht nur aus den Seiten selbst, er entsteht auch durch die papiernen und botanischen Beigaben, durch die ein Buch von seinem Leser zum Zeitzeugen, zum symbolischen Notiz-Buch gemacht wird. Ein Untersetzer aus dem »Caffè Grecco« in Rom, an dem noch der Restkreis eines abgesetzten Espressos zu sehen – und zu riechen ist. Ein Buntstifteintrag aus Meran, der den weichen, traubenartigen Bleigeruch von vergessenen Schulmäppchen um sich verbreitet. Oder eine übergroße Visitenkarte eines Freundes aus Studientagen, des Kulturattachés der kolumbianischen Botschaft in Paris, der inzwischen zum stellvertretenden Verteidigungsminister seines Landes ernannt wurde. All diese Objekte machen aus einem ganz normalen Buch, in diesem Fall meinem alten Exemplar von Peter Suhrkamps Der Leser, einen Duft- und Erinnerungscontainer.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein fantastischer Parfumeur vom Range Serge Lutens’, der seinen letzten Duft dem der Eiche nachempfunden hat, auch ein Eau de Livre komponiert. Es würde sich schließlich auch auf Eau de Vivre reimen.