Die Karte im »Grill Royal« liest sich exquisit: »12 Austern, Sorte Sylter Royal«, »Thunfisch-Tatar mit Zitrusfrüchten und Koriander«, »Tatar vom Rinderfilet, klassisch«. In einer Zeile darüber taucht allerdings ein Fremdkörper auf, Fast Food zwischen mediterran angehauchten Delikatessen; plötzlich heißt es da prosaisch: »Kopfsalat mit Vinaigrette, 7 Euro«.
Das Publikum des bekannten Restaurants an der Berliner Friedrichstraße ist handverlesen: viele sogenannte Intellektuelle und Kulturschaffende. Unmöglich, dass der ordinäre Kopfsalat durch eine Unachtsamkeit auf die exklusive Karte gesetzt wurde – und die Gäste halten sich auch an die Empfehlung der Küche ihres Vertrauens: Sie essen Salat in rauen Mengen. Nicht Rucola, nicht Blattsalat, nicht Frisée, nein, ganz ordinären Kopfsalat, für sieben Euro. Der Kopfsalat, im Ganzen in einer großen Schüssel serviert und deswegen auch mühsam im langen Wasserbad zu reinigen, ist sogar zu einem der Markenzeichen des Restaurants geworden. Das unglaubliche Comeback des Kopfsalats – der Besitzer und Geschäftsführer des »Grill Royal«, Boris Radczun, erahnte es, als er vor eineinhalb Jahren seine Speisekarte mit dem richtigen Riecher zusammenstellte. »Immer hieß es, grüner Salat schmecke nach nichts, überall gab es Kopfsalat nur mit Käse, Thunfisch oder irgendeiner Paste drin. Ich wollte den puren Geschmack. Wenn in der Fusion-Küche alles überkomponiert wird, dann lernen die Leute eben auch das Einfache wieder schätzen«, erklärt Boris Radczun den durchschlagenden Erfolg seines Kopfsalats. Die Rückkehr des Kopfsalats in die Spitzengastronomie beschränkt sich nicht auf Berlin; sie ist ein internationales Phänomen. Rund um die Welt essen die Leute wieder vermehrt Kopf-salat: im Züricher Restaurant »Rive Gauche« etwa oder auch im Restaurant »Scarpetta« in Miami Beach und New York.
Beim breiten Publikum war der schlichte Kopfsalat eigentlich nie ganz out: Seit den Fünfzigerjahren ist er die am meisten gegessene Sorte in Deutschland, obwohl ihn Importware aus Holland in den Siebzigerjahren in Verruf brachte und mondän klingende Züchtungen wie Radicchio, Batavia oder Lolo Rosso in Mode kamen. Schließlich warnten Ernährungswissenschaftler vor Nitraten und davor, dass im Kopfsalat weniger Vitamine und Nährstoffe seien als, ja, in einem »feuchten Papiertaschentuch«. Der jüngste Schock: Rohkostsalat ist allein nicht verdaulich. Erst das Dressing macht Salat genießbar, regt den Stoffwechsel an, macht schlank. Radczun schwört auf ein Dressing aus Weißweinessig, einer Prise Zucker, einem Hauch Schnittlauch, Salz, Pfeffer, Oliven- und Traubenkernöl – »Olivenöl allein wäre zu gewaltig«, behauptet der Purist vom »Grill Royal«. Pinienkerne, Senf, Zitrone sind für ihn tabu. Der »Essigdoktor« Georg Wiedemann, ein Essigmacher aus der Pfalz, der die Königshäuser des Mittleren Ostens beliefert, empfiehlt weißen Balsamico, zart, mit wenig Eigengeschmack, der den Kopfsalat-Geschmack unterstützt, oder einen Rieslingessig, keinesfalls aber dominanten Fruchtessig.
Radczun bezieht seinen Salat aus Brandenburg, von Mai bis Oktober. Im Winter kauft er spanische Ware. Jeder zweite verkaufte Kopfsalat in Deutschland stammt allerdings vom Rotterdamer Unternehmen Rijk Zwaan, das in ganz Europa anbaut. Der deutsche Salatzüchter Jörg Werner bezweifelt ohnehin, dass jemand das Herkunftsland eines Kopfsalats herausschmecken könne, nur die Anbaumethode: »Freilandsalat hat festere, Gewächshaussalat weichere, flattrigere Blätter.« Der Trend geht zu neuen Multiblattsalaten: Salanova heißen die konventionellen Züchtungen, Kopfsalate mit bis zu 200 fast gleich großen Einzelblättern. Salat-esser in Berlin und Miami wollen zudem wieder weichere Blätter. Das Comeback des Kopfsalats ist also auch eine Rückkehr der guten alten Kopfsalatsorte Buttersalat.
Fotos: Bernd Ebsen