Einige Passagiere wissen wirklich nicht, was sie an Bord eines solchen Schiffes erwartet: kein Service, keine Animation, kein Apéro zu Pianomusik, keine geführten Landausflüge, und wenn das Schiff mal hält, dann in einem Frachthafen weit weg von jeder Altstadt. Der Ausblick verstellt. Statt internationalem Buffet deutsche Hausmannskost, schön kalorienreich wegen der harten Arbeit, vegan oder laktosefrei gibts nicht, ab und zu macht der philippinische Chef der Kombüse mal was Asiatisches, und jeden Tag findet das Kapitänsdinner in der Messe statt, denn alle essen gemeinsam. Auf die Brücke dürfen die Passagiere in der Regel auch, wenn nicht zu viel los ist. Aber los ist hier selten etwas: Eine Kreuzfahrt auf einem Containerschiff ist eben keine reguläre Kreuzfahrt. Wenn man sich das richtige Schiff ausgesucht hat, kann man in einem Pool mit Meerwasser schwimmen, aber auch nur zwei, drei Armzüge weit. Sauna und Fitnessraum, DVD- Spieler mit 200 Filmen haben sie alle, Internet die meisten. Das wars dann mit dem Bordprogramm.
Aber man lernt viel auf so einem Schiff: über Schiffe, über das Meer, über den Sternenhimmel, über Seevögel, warum die Erddrehung das Spülwasser in der Toilette auf den beiden Halbkugeln in umgekehrte Richtungen kreiseln lässt – man lernt das beim Essen von der Besatzung: zwanzig Mann in der Regel, plus zwei Azubis. Immer noch wenige Frauen, viele Philippinos oder Kiribasi. Philippinos stellen auch auf den Kreuzfahrtschiffen die Crew, Kiribasi heuern nur auf Containerschiffen an, das hat sich im Laufe der Jahre so eingespielt. Die Kiribati-Inseln liegen im Pazifik, auf der Hauptinsel gibt es schon lange eine Schifffahrtsschule. Auf deutschen Containerschiffen arbeiten 1500 Kiribasi, aber in Deutschland dürften nur wenige wissen, wo genau diese Inseln liegen, geschweige denn dass ihnen für das Jahr 2060 wegen des steigenden Meeresspiegels der Untergang prophezeit wird.
5000 Containerschiffe sind auf den Meeren unterwegs. Die meisten nehmen Passagiere mit, für 80, 90 Euro am Tag inklusive Verpflegung, in den zwei bis zehn Kajüten, die im Turm am Heck liegen und viel geräumiger sind als auf Kreuzfahrtschiffen. Platz gibt es genügend auf so einem 300 Meter langen Frachtschiff: etwa 7000 Container passen drauf. Nicht mal der Kapitän weiß, ob da nun Flipflops oder ein Rolls-Royce drinstecken – außer es handelt sich um gefährliche Chemikalien oder verderbliche Lebensmittel.
Der Kapitän Bernhard Ottilige arbeitet für die Reederei Hamburg Süd und trägt Jeans. Mit 16 Jahren hat er als Decksjunge angeheuert, später Abitur und Seemannsschule nachgeholt, mit 59 ist er schon überall gewesen, auch wenn er sagt: »Jeden Hafen zu kennen, das geht doch gar nicht.« Er ist alles gefahren, bis auf Kreuzfahrtschiffe. Die mittelgroßen Containerschiffe sind ihm die liebsten, mit 300 Metern Länge kommt man noch in die kleineren Häfen, Valparaíso zum Beispiel, wo man schnell auch in der Stadt ist. Neulich hat er von dort seine Frau mitgenommen über den Pazifik, Mannschaftswechsel bei einem Stopp auf den Kiribati-Inseln, dann weiter nach Hongkong. Sein Job hat sich enorm verändert, er muss immer mehr Verwaltungsarbeit erledigen: Zollerklärungen, Buchführung, Abrechnungen. Trotzdem ist sich Ottilige sicher, er könnte den Pazifik vom Atlantik jederzeit unterscheiden: »Der Himmel über dem Pazifik ist ganz anders, viel höher, das lässt sich kaum beschreiben, das muss man sehen. Und natürlich ist der südliche Stille Ozean viel ruhiger – auch wenn ich vor dreißig Jahren als dritter Offizier zwischen den Fidschi-Inseln und Samoa meinen schlimmsten Hurrikan erlebt habe.«
Richtig wacklig wird es auf einem Containerschiff erst ab Windstärke fünf. Ottilige ist anfangs seekrank geworden, das hat sich aber gegeben, »vielleicht weil sich mein Gleichgewichtssinn irgendwann daran gewöhnt hat«. Seine Hobbys sind auch nicht gerade schiffstauglich: Gartenarbeit und Modelleisenbahn. Zwei, drei Monate am Stück darf er zu Hause in Bremen bleiben, dann geht es wieder drei, vier Monate aufs Schiff, meistens ein anderes. Nach vierzig Jahren auf See ist ihm dieser Rhythmus ins Blut übergegangen.
Und die Passagiere? Warum machen die das? Einige haben viel über Navigation gelesen, andere, sagt Ottilige, bekommt man kaum aus dem Maschinenraum: »Die würden am liebsten die Reparatur allein durchführen.« Die meisten sind nur neugierig, wie das so ist, tagelang ohne Land in Sicht unterwegs zu sein, weitgehend allein mit sich und ein paar Büchern, bei kontemplativen dreißig Stundenkilometern. Einige wollen unbedingt mal den stürmischen Atlantik erleben, andere wollen überallhin, bloß nicht über den Atlantik, und kommen erst an der amerikanischen Ostküste an Bord. Junge Passagiere steigen manchmal mit Fahrrad zu, um nach der Passage durch Argentinien zu radeln, aber ältere mit viel Zeit sind in der Überzahl. Bis achtzig Jahre wird jeder mitgenommen, der gesund ist. Einen Arzt gibt es nicht an Bord. Die längste Passage für Frachtschiffe verläuft von Hamburg nach Buenos Aires, 12 000 Kilometer, hin und zurück dauert das zwei Monate. Die Strecke nach Buenos Aires ist auch die beliebteste, gemeinsam mit der nach New York – und der Kurzstrecke ins Baltikum, die nur zwei Wochen dauert. Veracruz in Mexiko soll den schönsten Frachthafen haben, ganz nah an der Altstadt, aber länger als zwölf Stunden halten die Schiffe selten.
5000 Containerschiffe sind viel zu viele, wenn die Weltwirtschaft lahmt. Dann verstecken die Reedereien bis zu 400 Meter lange Schiffe abseits der großen Häfen: Niemand soll ein arbeitsloses Geisterschiff sehen, das wäre schlecht fürs Geschäft.
Informationen über Strecken und Schiffe: hamburgsued-frachtschiffreisen.de
Fotos: Raymond Waltjen