Warum hat McDonald’s eigentlich nie um Staatshilfen gebettelt? Im Jahr 2003 schrieb das Unternehmen noch rote Zahlen. Die meisten der weltweit 31 000 Filialen liefen schlecht. Das fette, salzige Essen in quietsch-rot-gelber Umgebung, bewährtes Erfolgsrezept über Jahrzehnte, lockte immer weniger Kundschaft an den McDonald’s-Tresen. Wenn der amerikanische Fast-Food-Konzern überhaupt Gefühle weckte, dann bei Globalisierungsgegnern, Islamisten und Umweltschützern. Es waren keine guten Gefühle.
Ähnlich wie Opel und Karstadt in diesen Wochen stand McDonald’s damals also vor allem für Überkapazitäten, flüchtende Kunden und ein Dinosaurier-Image. Umso erstaunlicher, dass der Konzern, ganz anders als Opel und Karstadt, gut sechs Jahre später und mitten in der Weltwirtschaftskrise um fünf Prozent wächst. Neben dem Einzelhändler Wal-Mart war McDonald’s das einzige Top-Unternehmen der USA, dessen Aktie voriges Jahr an Wert gewann. Selbst die ärgsten Kritiker registrieren, dass der Konzern nun gesünderes Essen anbietet und für Rindfleisch keine Regenwälder mehr gerodet werden. »Man kann zu McDonald’s und seinen Produkten stehen, wie man will«, sagt Willy Schneider, Professor für Handel und Marketing in Mannheim, »aber das Marketing der letzten Jahre ist eine herausragende Erfolgsstory.« Ein modernes McDonald’s-Restaurant hat nur noch wenig gemein mit der bunten Plastikwelt der Siebzigerjahre: schwere Ledersessel, dunkle Holzfußböden, Kaffeebar mit Kuchenbuffet. Das Wellness-Ambiente wirkt nicht nur zeitgemäßer als die »American Diner«-Optik des Rivalen Burger King, es rechnet sich auch: Die Generalüberholung beschert einer Filiale zwanzig Prozent mehr Umsatz.
Eine Mahlzeit bei McDonald’s besteht längst nicht mehr nur aus Fleisch, Pommes und Cola: Jeder zehnte McDonald’s-Besucher bestellt inzwischen Salat, allein in Deutschland entspricht das 280 000 Portionen täglich. Von den Biomilch-Fläschchen verkauft McDonald’s bereits 3,3 Millionen pro Jahr. Die besonders bei Kindern beliebten Chicken McNuggets wurden fettreduziert, die Pommes frites enthalten nun 15 Prozent weniger Salz. Damit ist McDonald’s noch kein Gesundheitskonzern. Aber hinter all diesen kleinen Gesten sieht der Marketingexperte Schneider eine zentrale Botschaft: »Es ist wieder sozial akzeptabel, bei McDonald’s zu essen.« Diese Botschaft gibt auch jenen Kunden ein gutes Gefühl, die weiter Burger und Pommes essen – also der großen Mehrheit.
Bis vor Kurzem waren solche Kniffe unnötig, es reichte, eine neue Filiale zu eröffnen, schon wuchsen Umsatz und Gewinn des Gesamtkonzerns. In den Achtzigerjahren machte jeden Tag ein neues Restaurant auf, in den Neunzigerjahren sogar alle drei Stunden. Erst als die Kunden ausblieben, stellten sich die Verantwortlichen die Frage: Was wollen die Leute überhaupt bei McDonald’s? Bane Knezevic, der Deutschland-Chef des Unternehmens, sagt, professionelle Marktforschung habe bei McDonald’s bis vor zehn, 15 Jahren keine Rolle gespielt. Deshalb ist es vor allem seiner Beharrlichkeit zu verdanken, dass in Deutschland flächendeckend die sogenannten McCafés eingeführt wurden – eine Idee, die aus Australien stammt und nun auch in andere Länder exportiert wird. Sie verhelfen McDonald’s in den bisher toten Zeiten zu Kundschaft, nämlich vormittags und am frühen Nachmittag, und haben eine ganz neue Schicht erschlossen: die 50- bis 60-Jährigen. »Das war so nicht geplant«, räumt Knezevic ein. Ebenso überrascht stellte er fest, dass die McCafés wie erhofft in den trendbewussten Großstädten Zulauf finden, aber noch viel mehr auf dem Land. »Dort gibt es eben noch nicht an jeder Ecke einen Espresso-Laden.«
In Berlin, Hamburg oder München setzt McDonald’s vor allem der früher so profitträchtigen Starbucks-Kette zu, mit deutlich niedrigeren Preisen für Latte Macchiato und Cappuccino. Die Preispolitik ist überhaupt zentral für den Erfolg von McDonald’s in Krisenzeiten, in denen die herkömmliche Gastronomie zehn Prozent Einbußen beklagt: Viele Menschen wollen nicht ganz darauf verzichten, auswärts zu essen. Sie wählen aber mit McDonald’s die billige Alternative, die durchschnittliche Rechnung pro Kopf beträgt dort etwa sechs Euro. Unter Experten heißt dieser Trend »Downgrading«.
Seit Jahren bemüht sich der Konzern, die Marke McDonald’s aus der Schusslinie der Globalisierungsgegner zu bringen. Das äußert sich in weitgehenden Zugeständnissen an lokale Sitten und Gebräuche: In Indien sind die Burger nicht aus Rind, sondern aus Lamm. In Israel steht seit 1995 der erste koschere McDonald’s. In Japan verkauft McDonald’s Teriyaki-Burger und nennt sich »Makudonarudo«, weil das für Japaner netter klingt. Zudem greift McDonald’s in jedem Land vor allem auf lokale Lebensmittelproduzenten zurück, in Deutschland etwa auf Develey, McCain, Schwartau, Bonduelle oder Lieken. Schließlich befinden sich die meisten Filialen in Händen von mittelständischen Franchise-Nehmern. In Indonesien entgegnete vor einigen Jahren der Besitzer eines McDonald’s-Restaurants einem gewaltbereiten Demonstranten: »Wenn du mein Geschäft zerstörst, vernichtest du Arbeitsplätze von Moslems.«
Auch den Ernährungskritikern hat McDonald’s den Wind aus den Segeln genommen: Vor fünf Jahren kam der Film Super Size Me in die Kinos. Der Hauptdarsteller Morgan Spurlock aß einen Monat lang ausschließlich bei McDonald’s und hatte am Ende Potenzstörungen, Depressionen und 20 Pfund mehr auf den Rippen. Heute sagt Matthias Wolfschmidt von der Verbraucherorganisation Foodwatch, man könne sich bei McDonald’s »durchaus ausgewogen ernähren«. Auch die Öffentlichkeitsarbeit lobt er: »Wenn wir Kritik äußern, lädt uns McDonald’s zum Gespräch ein. Das sind wir von anderen Unternehmen nicht gewohnt.« Wofür kann man McDonald’s heute noch kritisieren? Nicht mehr für viel, sagt Wolfschmidt, »außer, dass man dort zu viel Fleisch isst und labbrige Brötchen«. Aber was die Verwendung vorgefertigter und mit Geschmacksverstärkern aufgepeppter Soßen oder Dressings betrifft, sieht Wolfschmidt bei McDonald’s kaum Probleme: »In manchem Gasthaus, das sich bodenständig gibt, laufen weit kuriosere Dinge.«
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Lediglich beim Thema Kinder bietet McDonald’s seinen Kritikern weiter eine große Angriffsfläche. Mit Ronald McDonald geht der Konzern gezielt Minderjährige an, in Amerika ist die Werbefigur bekannter als der Nikolaus. Auch bei uns springt und turnt er in Kindergärten und Schulen herum. Wie tief sich McDonald’s mit seiner aggressiven Werbung in die Köpfe von Drei- bis Fünfjährigen eingegraben hat, zeigte ein Versuch von Wissenschaftlern der kalifornischen Stanford-Universität: 63 Kleinkindern wurden Karotten, Milch, Apfelsaft und andere Nahrungsmittel serviert, einmal neutral verpackt, einmal mit McDonald’s-Logo. Ergebnis: Den Kindern schmeckten die vermeintlichen McDonald’s-Produkte besser, selbst ganz normale Karotten. Dass der Fast-Food-Konzern sich zurücknimmt – eher unwahrscheinlich: »Denken Sie daran, Kinder üben einen phänomenalen Einfluss aus, wenn es um die Auswahl eines Restaurants geht«, heißt es in einer internen Anweisung für Mitarbeiter. »Dies bedeutet, dass Sie alles tun sollten, um die Liebe der Kinder für Ronald und McDonald’s anzusprechen.«
So gut McDonald’s die momentane Krise meistert, so offen bleibt die Frage, wie das Unternehmen künftig wachsen kann. Durch noch mehr Vielfalt und noch gesünderes Essen? Die Strategie hat ihre Grenzen. In Deutschland versuchte McDonald’s zum Beispiel, den McRib, einen Burger aus Schweinefleisch, mit zwanzig Prozent weniger Fett anzubieten. Die Kunden waren wenig begeistert. Bis vor wenigen Jahren hatte man einen vegetarischen Burger im Sortiment, den GemüseMac – ein Flop. Bereits vor 18 Jahren brachte der Konzern mit großem Werbeaufwand einen fett- und kalorienreduzierten Burger auf den Markt. Er hieß McLean und wurde mit ganzseitigen Zeitungsannoncen und TV-Spots angekündigt. Doch der gesunde McLean verfehlte den Massengeschmack.
Zu viel gesundes Essen wäre für McDonald’s kontraproduktiv. Das Wesen der Fast-Food-Kultur besteht gerade in der Ablehnung der bürgerlichen Esskultur, sagt Eva Bärlösius, Soziologin an der Universität Hannover. »Man muss bei McDonald’s keine Etikette einhalten und keine Essenszeiten. Man muss dort nicht gesund essen. Das macht es ja für Jugendliche so attraktiv.« Das Gleiche gilt für soziale Randgruppen oder Migranten, die sich in normalen Restaurants oft fremd fühlen.
Auch aus wirtschaftlicher Sicht lässt sich die momentane Erfolgsstrategie nicht unbegrenzt ausweiten: Biomilch, Apfelstückchen und Caffe Latte mögen den Umsatz steigern. Aber diese Produkte finden die Konsumenten – anders als den Big Mac oder einen Hamburger Royal TS – auch im Supermarkt, beim Bäcker oder bei Tchibo. Je mehr die Produktpalette verbreitert wird, desto weniger wissen Kunden am Ende, wofür McDonald’s steht. Fachleute sprechen dann von der Erosion der Marke. Zudem verliert McDonald’s wichtige Einkaufsvorteile gegenüber der Konkurrenz. Das Unternehmen nimmt zum Beispiel so viel Coca-Cola ab wie kein anderes – und erhält dafür umfangreiche Rabatte. Franchise-Nehmer von McDonald’s sagen, der Warenwert eines Bechers Coca-Cola betrage etwa zehn Prozent des Verkaufspreises. Die restlichen neunzig Prozent? Gewinn! Der Deutschland-Chef Knezevic bestreitet diese Spanne, räumt aber ein, dass sein Unternehmen mit Getränken und Pommes frites am meisten verdient.
Schließlich könnte eine Sortimentsausweitung auch das vorhandene Personal überfordern. McDonald’s hat in der Vergangenheit vor allem niedrig qualifizierte Mitarbeiter zu Billiglöhnen eingestellt. Piktogramme auf den Kassen ermöglichten es, sogar Analphabeten zu beschäftigen. Diese Strategie ist nicht mehr durchzuhalten, wenn das Angebot noch breiter und komplexer wird.
Doch im Moment hat der McDonald’s-Chef Knezevic das Unternehmen im Griff. Sorgen bereitet ihm, dass in Deutschland Jahr für Jahr gut 100 000 Kinder zwischen vier und 13 Jahren als Kunden verloren gehen. Das weiß er aus der Marktforschung zum Happy Meal. Die Politik müsse sich dringend etwas einfallen lassen, damit die Menschen wieder Kinder bekommen, sagt er. Das ist aber die einzige Staatshilfe, die McDonald’s in diesen Tagen fordert.
Fotos: Rafael Krötz