"Ich will hier arbeiten und nicht dauernd Hausführungen veranstalten"

Der Schriftsteller T.C. Boyle wohnt in einem architektonischen Meisterwerk: einem 100 Jahre alten Holzhaus des US-Architekten Frank Lloyd Wright. Ein Gespräch über das Leben zwischen historischen Wänden.

SZ-Magazin: Herr Boyle, wer bekommt mehr Besucher – Sie oder das Haus, in dem Sie wohnen?
T.C.Boyle:
Ich schätze mal, das Haus. Frank Lloyd Wright hat viele Hardcore-Fans, die sämtliche von ihm gebauten Häuser abklappern. In Wrights Privathaus in Wisconsin gibt es einen riesigen Souvenirshop, vor dem die Leute Schlange stehen. Wright ist ein amerikanischer Held, über den tausend Bücher geschrieben wurden. Vielleicht sind einige Leute draußen vor dem Tor auch auf Fotos von mir in Unterhosen aus, aber ich frage nicht jeden. Ich möchte ja am liebsten meine Ruhe, will hier ja arbeiten und nicht dauernd Hausführungen veranstalten.

Seit wann leben Sie in dem Haus?
Seit 15 Jahren. Ich wollte raus aus L.A., weg von den Clubs, aber nahe genug bleiben, um dort weiter an der Uni unterrichten zu können. Meine Frau sah die Anzeige, wir besichtigten das Haus und sagten sofort zu. Wir waren gerade erst von einer Reise nach New York zurückgekehrt, wo wir uns das Guggenheim-Museum angeschaut hatten, das Wright ja auch gebaut hat – als ob wir etwas geahnt hätten. Der Makler hatte zuvor Schwierigkeiten, das Haus loszuwerden. Wegen des Denkmalschutzes. Die Filmstars wollten deswegen alle lieber eine moderne, komfortable Villa im Nachbarort Santa Barbara. War es Liebe auf den ersten Blick?
Ja. Aber ich hatte keine Wahl: Hätte ich mich nicht verliebt, wäre eine Scheidung angestanden.

Ihr Haus ist vor hundert Jahren gebaut worden.

Vielleicht lassen wir aus diesem Anlass auch ein paar Leute rein. Wir haben das Haus wegen des Jubiläums eigens sandgestrahlt, der Voreigentümer hatte die Fenster weiß lackiert, Wright benutzte aber niemals reines Weiß. Nun sind alle Fenster wieder naturfarben und geölt, mit Wrights Originalmischung aus zwei Drittel Leinöl und einem Drittel Terpentin, ins Holz eingerieben.

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Ihr Holzhaus gehört zu Wrights sogenannten Prärie-Häusern, die er bis 1910 für private Bauherren entwarf.
So an die hundert hat er davon gebaut, unseres ist das Einzige an der Westküste. Jedes Prärie-Haus sieht anders aus, aber alle besitzen die gleichen Charakteristika: Kreuzförmiger Grundriss, natürliche Materialen wie Stein und Holz aus der Umgebung, Kamine bilden das Herz aller Prärie-Häuser, Treppen und Eingänge sind versteckt. Das war radikal für seine Zeit, in der viktorianische Hauseingänge noch mit unglaublichem Selbstbewusstsein demonstrierten, dass ihre Bewohner die Herren der Erde waren. Außerdem haben alle Prärie-Häuser so wenig private Rückzugsräume wie nötig, kleinere Räume sind nur durch Glaswände abgetrennt und haben auch niedrigere Decken – ein Trick, um die Leute in die großzügig gestalteten Gemeinschaftsräume zu locken. Man sollte alles im Blick haben, die ganze Familie.

Ist so ein extrem offenes Haus denn gemütlich?
Überraschenderweise ja. Es hat 1700 Quadratmeter Wohnfläche, groß genug für unsere drei Kinder, Büros und Räume, in denen man Besuch empfangen kann. Aber die Wände bestehen großteils aus Fenstern, 174 sind es, und bieten wenig Platz für Bilder oder Bücherregale; man sollte quasi mitten in der Natur sitzen, was mich nicht stört, ich bin ein Naturfreak. Aber womöglich hat diese Transparenz seiner Häuser Wright selbst dazu gezwungen, mit seiner Geliebten später vor seiner Familie nach Deutschland zu fliehen.

Ist Wright denn nie auf Sonderwünsche seiner Bauherren eingegangen? Nicht die Bohne. Wright hat nie an die Menschen gedacht, die in seinen Häusern wohnen würden, es waren seine Entwürfe, seine Häuser, er entwarf die Lampen, die Fenster, das Dekor. Er hasste es, wenn Bauherren ihre eigenen Möbel mitbringen wollten. Er entwarf die Möbel und sogar die Kleider der Hausfrauen. Wright war ein Kontrollfreak.

Und ein Hochstapler, wenn man Ihrem neuen Roman über Wright glauben darf.
Wright war besessen von seinen Entwürfen. Er bezahlte die Rechnungen seiner Handwerker nicht, er trieb seine Bauherren in den Ruin, er behandelte seine Jünger schlecht, die er in seinem Atelier in Wisconsin gratis für sich arbeiten ließ, und nicht zuletzt auch seine Frauen.


(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Dürfte ich nicht schreiben, wäre ich wahrscheinlich immer noch ein Junkie
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Offenbar mögen Sie ihn dennoch.
Menschen wie er interessieren mich. Narzisstische Fast-Psychopathen, die große Dinge schufen. Vielleicht schreibe ich auch als Vorsichtsmaßnahme über diese Menschen, um nicht ein genauso großer Egomane zu werden. Mich interessiert auch wenig, was andere Menschen von meinen Büchern halten, ich bin doch genauso besessen. Dürfte ich nicht schreiben, wäre ich wahrscheinlich immer noch ein Junkie, allein schon aus Langeweile.

Ich bin ähnlich veranlagt wie Wright, nur dass ich für meine Kunst kaum Geld brauche und daher in einer komfortableren Situation bin. Wright musste seine Bauherren ständig über die zu erwartenden Kosten belügen, hätten sie die Wahrheit vorher erfahren, wären viele seiner Häuser nicht gebaut worden. Darf man seinen Bauherrn in den Ruin treiben? Alles im Namen der Kunst? Ist ein Guggenheim-Museum die schlechte Behandlung seiner Mitarbeiter wert? Diese Fragen interessieren mich an ihm.

Sie schildern Wright als arrogant und selbstsüchtig, aber dennoch zog er viele Menschen an.
Wright hatte ständig vierzig Leute um sich versammelt. Er war ein großer Impressario und er brauchte Arbeiter, die ihm sein Haus in Wisconsin renovierten und drei Mal neu aufbauten, Studenten, die seine Pläne ins Reine zeichneten, Haushälterinnen für die vielen Gäste. Und in diesem Chaos konnte er komplett abschalten und sich auf die Arbeit konzentrieren. Dazu die Klatschgeschichten um seine Affären in der Zeitung und die Gläubiger auf der Türschwelle – ich könnte so niemals arbeiten, aber ihn scheint all das eher stimuliert zu haben: Wright war besessen von seinen künstlerischen Visionen. In seinem Atelier auf dem Land konnte er seine Mitarbeiter so gut kontrollieren, um seine Visionen auch zu realisieren.

Hat Wright auch Kontrolle über Sie gewonnen? Beeinflusst der Charakter seiner Architektur die Bewohner?

Zumindest hat er mich dazu gebracht, einen Roman über ihn zu schreiben. Die Idee hatte ich ja schon kurz nach unserem Einzug. Es kamen nur einige andere Bücher dazwischen. Ich glaube, dass grundsätzlich jedes Haus seine Bewohner prägt, auch wenn der Einfluss schwer zu benennen ist.

Halten Sie Frank Lloyd Wright auch für ein Genie?
Er müsste schon als Genie gelten, wenn dies das einzige Haus wäre, das er je gebaut hat. Schauen Sie sich nur um: In hundert Jahren musste nur ein einziges Holzbrett an der Fassade ausgewechselt werden, so perfekt war sein Entwurf.

Alles sehr schön, aber auch recht frisch im Winter.
Wir haben keine Isolierverglasung, die Gläser sind ja alle noch original. Im Winter dreht meine Frau morgens die Heizung auf, ich drehe sie wieder runter und setze mich lieber im Parka an den Schreibtisch, abends reicht der Kamin. Ich möchte nicht wissen, was Wrights Prärie-Häuser im kalten Osten an Heizkosten verschlingen, sicher 3000 Dollar im Monat. Das gute Wetter in Kalifornien bezahlen wir allerdings mit Erdbeben und Feuer. Erst letzten Dezember schob ich wieder mit dem Gartenschlauch auf dem Dach Wache. Als das Feuer nur noch eine Meile entfernt war, drehte der Wind. Das Haus ist ja sehr verletzlich, eigentlich ein Wunder, dass es nach hundert Jahren hier noch steht.

T.C.BOYLE, 60, lebt mit seiner Frau Karen in Montecito, 140 Kilometer nödlich von Los Angeles. Nach historischen Romanen über den Cornflakes-Erfinder John Harvey Kellogg und den Sexualforscher Alfred Charles Kinsey schrieb er jetzt über das Leben des großen Architekten Frank Lloyd Wright: "Die Frauen" erschien soeben im Hanser Verlag.

Fotos und Illustration: Anacleto Rapping