Bei Könnern sieht es so einfach aus. Mit einem eleganten Dreh des Handgelenks schicken sie das Frisbee auf die Reise – Vorhand, Rückhand, ganz egal. Wie von außerirdischer Intelligenz ferngesteuert, schwebt die Scheibe in einer perfekten Flugbahn zum Mitspieler. Beim Anfänger dagegen beginnt das Frisbee sofort zu eiern und zu taumeln und schmiert nach ein paar Metern ab.
Ralph Lorenz kann in diesem Fall haargenau sagen, was schief gelaufen ist – für ihn birgt der Flug des Plastikdings keine Geheimnisse mehr. Der 37-jährige Weltraumforscher hat sich dem Freizeitspaß mit wissenschaftlichem Ernst gewidmet. Er hat gemessen und berechnet, was einen perfekten Wurf ausmacht, wie schnell sich die Scheibe drehen muss, in welchem Winkel sie abgeworfen werden sollte. Für ihn sind Frisbees kein Zeitvertreib, sondern Gegenstand akribischer Forschung. Lorenz grinst und sagt: »Die Grenze zwischen Work und Play ist sehr dünn heutzutage.« Er ist sich sicher, dass ihm die Erkenntnisse aus der Frisbee-forschung helfen, die Weiten des Weltalls besser zu erkunden und zu verstehen. Ralph Lorenz träumt von kleinen, runden Wetterstationen, die sich sanft drehend auf den Mars herabsenken. Frisbees sind das Vorbild für diese Vision, denn ihre geschmeidige Rotation stabilisiert einen Flug wesentlich eleganter und unkomplizierter als ein Haufen Steuerdüsen, die mit einem Computerprogramm abwechselnd gezündet werden müssen.
Mit Steuerdüsen kennt Lorenz sich aus – hauptberuflich betreut er die Mission der Raumsonde Cassini. Er beobachtet Radaraufnahmen und Messungen, die Cassini von den Seen, Bergen und Dünen auf dem Saturnmond Titan zur Erde sendet. Er überlegt, wie man den Titan noch besser erforschen kann. Dafür wühlt er sich seit 1997 durch Bibliotheken und koordiniert die Arbeit von Experten, die auf der ganzen Welt sitzen. Aber erst als Cassini 2004 eine Sonde namens Huygens auf dem Titan absetzte, wurde Ralph Lorenz’ Leidenschaft für Frisbees geweckt.Huygens sollte sich beim Landeanflug drehen, um die gesamte Umgebung zu filmen.
Deshalb experimentierte Lorenz mit Miniaturmodellen der Sonde, die er mit Flugschreibern ausrüstete und vom Balkon seines Universitätsgebäudes in Arizona hinabschweben ließ. »Und plötzlich dachte ich: Warum versuche ich das nicht mal mit einem Frisbee?«, sagt Lorenz. Seit er an diesem Tag die ersten Flugschreiber, Sonnensensoren und Geschwindigkeitsmesser auf das Frisbee klebte, hat ihn die schlichte Eleganz der Scheiben nicht mehr losgelassen.
Entstanden ist das Frisbee aus runden Kuchenblechen, die Studenten im 19. Jahrhundert über ihren Campus in Connecticut warfen. Seitdem hat es seine Grundform behalten: eine Scheibe, ein leicht gekrümmter Rand, fertig. Vögel haben Schwanzfedern, Flugzeuge haben Heckruder, Raketen haben ein Leitwerk – beim Frisbee ist es die eigene Rotation, die es in der Luft hält. Je schneller sich so ein Ding dreht, desto stabiler ist sein Flug. Ohne die Rotation würde der Auftrieb die vordere Hälfte immer steiler aufrichten. Die Folge wäre ein kläglicher Absturz. Das Gefühl, wenn sich die Scheibe nach enttäuschendem Flug in den Sand bohrt, kennen Millionen von Menschen. Trotzdem war Lorenz überrascht, wie wenige Wissenschaftler sich bisher mit dem Thema beschäftigten.
Einen der wenigen Brüder im Geiste fand Lorenz in dem Engländer Jonathan Potts. Während Ralph Lorenz unter der Sonne Arizonas herumexperimentierte, verbrachte Potts für seine Doktorarbeit vier Jahre in einem Labor in Manchester und untersuchte das Flugverhalten von Frisbees in einem Windkanal. Was nach brotloser Fleißarbeit in einem Orchideenfach klingt, entpuppte sich für den 31-jährigen Potts als lukrative Marktnische. »Irgendwann war mir klar: Ich weiß jetzt so viel über Frisbees, dass ich selbst welche entwerfen kann.« Er gründete eine Firma, die Scheiben für die Spezialdisziplin Disc-Golf entwickelt. Dabei spielt man einen Kurs wie beim normalen Golf, allerdings gibt es keine Löcher, die Ziele sind Metallnetze, die Basketballkörben ähneln. Potts hat sich auf Driver-Discs für lange Abwürfe spezialisiert.
Ralph Lorenz will mit seiner Forschung kein Geld verdienen, dafür ist er viel zu sehr Wissenschaftler. Seine selbst gebastelten Flugschreiber pappte er bald schon auf alle möglichen Wurfgeschosse. Er hat auch das propellerähnliche Verhalten von Bumerangs erforscht, ebenso die Flugbahn von Steinen, die man über eine Wasseroberfläche springen lässt. Mit unbefriedigenden Resultaten: Die Messgeräte, die er auf die Steine klebte, waren zu anfällig für Wasserschäden. Und die flache Plastikdose, die er als wasserdichte Alternative benutzte, wollte nicht so richtig springen.
Was die springenden Steine angeht, war übrigens ein französisches Forscherteam erfolgreicher. Die Physiker aus Lyon filmten deren Bahn und analysierten sie anschließend in Superzeitlupe. Dabei fanden sie heraus, wie man den perfekten Wurf aufs Wasser zaubert: Der mit einem Anstellwinkel von 20 Grad geworfene Stein setzt mit seiner hinteren Kante zuerst auf dem Wasser auf. Dann gleitet er ein Stück auf der Wasseroberfläche dahin und bildet eine kleine Bugwelle, die wie eine Sprungschanze wirkt. Am besten geht das mit einem ovalen Stein. Der lässt sich mit der Hand in eine schnellere Rotation versetzen als ein völlig runder.
Ebenso genau kann Ralph Lorenz auch den perfekten Frisbee-Wurf erklären. Aber ein Virtuose ist er dennoch nicht geworden. Die Forschung hat aus dem untersetzten Brillenträger keinen Profi gemacht, dem die Jungs im Park neidisch zuschauen. Denn: »Man kann vieles berechnen. Aber man kann seinem Handgelenk nicht sagen: Rotiere in 0,75 Sekunden durch einen Winkel von 140 Grad.« Lorenz wird weiter in den Park gehen und üben, im Dienste der Wissenschaft.