Als Christopher Sholes im Jahr 1890 starb, hinterließ er der Welt eines der nervigsten kleinen Ärgernisse des Alltags. Dieses Ärgernis liegt auf einer Computertastatur links neben dem »A«: die Feststelltaste. Einmal kurz gedrückt, und die Tastatur spuckt nur Großbuchstaben aus. Das passiert aber fast nie absichtlich, sondern nur deshalb, weil man das »A« versehentlich zu weit links erwischt hat. E-Mails beginnt man mit »Sehr
geehrte HAUSVERW…«, statt einer Telefonnummer notiert man =()«!(§)%«! – wenn man nicht schon beim Hochfahren des Computers an der Passwort-Eingabe gescheitert ist.
Dabei meinte der Erfinder es nur gut mit der Welt. Sholes entwickelte die bis heute übliche QWERTY-Tastatur, die den Sinn hatte, häufig aufeinanderfolgende Buchstaben wie im Englischen das »t«, »h« und »e« auseinanderzulegen, damit sich die Typenhebel der mechanischen Schreibmaschine nicht verhaken. Absolut praktisch, keine Frage, und auch die Feststelltaste hatte damals einen noblen Zweck: Wollte man »DRINGEND« statt »dringend« tippen, sorgte die Taste dafür, dass man nicht quälende acht Anschläge lang die schwergängige Umschalttaste pressen musste. Die kleinen Finger ganzer Generationen von Schreibmaschinen-Nutzern konnten Sholes dankbar sein.
Doch warum liegt die Taste heute, mehr als dreißig Jahre nach Erfindung des PCs, noch immer so prominent auf jeder Tastatur? Ihren ursprünglichen Zweck der Muskelschonung hat sie ja verloren. Ausgerechnet in einer hyperschnellen Branche wie der IT, die sich Jahr für Jahr exponentiell weiterentwickelt und optimiert, hat sich mit der Feststelltaste ein Anachronismus erhalten, der seine einzige Berechtigung in der Technik des vorvergangenen Jahrhunderts hat.
Natürlich gibt es drängendere Probleme. Doch dass viele Menschen von der Taste genervt sind, zeigt die Tatsache, dass es im Netz Dutzende kleiner Programme gibt, die allein dazu geschrieben wurden, die sogenannte »Caps Lock«-Taste zu deaktivieren. Das erklärt auch den Erfolg der Website von Pieter Hintjens. Der belgische Software-Entwickler hat vor Jahren ein Blog namens »Caps-off« gestartet, in dem er die Hersteller von Tastaturen dazu auffordert, die Taste endlich zu entfernen oder umzuwidmen. Die Feststelltaste sei wie ein Kieselstein im Schuh: Man könne schon irgendwie damit leben, aber unterschwellig nerve sie ständig, und das seit Jahrzehnten. Tausende begeisterte Mails überschütteten Hintjens, die Website quoll über mit Vorschlägen, wie man die hoffentlich bald frei werdende Taste künftig nutzen könnte: als größere und besser erreichbare »Strg«-Taste. Als zweite »Enter«-Taste. Als »Backspace« auf der linken Seite.
Passiert ist daraufhin von Seiten der Hersteller: nichts. Was hindert sie, das Ding endlich zu entfernen oder wenigstens seine Funktion zu ändern? Der verantwortliche Produktmanager des deutschen Tastaturherstellers Cherry erklärt es mit der Macht der Gewohnheit: Die kleinste Änderung am Aussehen der Tastatur würde mehr Kunden abschrecken als neue anziehen. Er selbst habe die Taste einfach abgeschaltet. Christian Sandmeier, der zuständige Produktmanager bei Fujitsu, gibt zu, den Sinn der Taste auch nicht ganz zu begreifen – aber eine Abweichung käme einer Revolution gleich. Auch bei Microsoft heißt es: »Das Standard-Layout hat sich bewährt, es gibt keine Pläne, davon abzuweichen.«
Die Wissenschaft kennt dieses Phänomen unter dem Begriff der Pfadabhängigkeit. Entscheidet man sich für eine von mehreren möglichen Alternativen, entwickelt diese Entscheidung einen eigenen Selbsterhaltungstrieb. Tatsächlich gilt die ganze Idee der QWERTY-Tastatur als Paradebeispiel dieser Theorie: In den Schubladen der Forschung liegen längst alternative Entwürfe für Tastaturen, die bequemer zu bedienen wären, auf einigen könnte man sogar mit fünf Fingern tippen, doch kein Hersteller will seinen Kunden die Umgewöhnung zumuten.
Bleibt also nur, die nervige Taste selbst umzuprogrammieren. Oder man macht es wie die Kollegen von Christian Sandmeier bei Fujitsu: Viele von denen, sagt er, hebelten die Feststelltaste einfach mit einem Lineal aus der Tastatur.
Illustration: Tim Lahan