Anrufe im Nahen Osten und in Nordafrika – Libyen

Sechs Länder, sechs Mal Chaos und Gewalt. Wie geht es jetzt den Menschen dort? Wir haben in jedem Land hundert Mal angerufen - irgendwo, irgendwelche Nummern, ganz zufällig: eine Sammlung unverfälschter Stimmen.

    Tripolis meldet sich nicht. Misrata meldet sich nicht. Und auch in Bengasi, der Küstenstadt im Osten Libyens, aus der die Truppen von Staatschef Gaddafi bereits vertrieben worden sind, klingen die Telefonleitungen tot. Immer wieder hören wir dieselbe mechanische Ansage: »Dieser Anruf kann nicht wie gewählt ausgeführt werden.« Libyen taumelt dieser Tage im Ausnahmezustand: Es soll Tausende Tote bei den Demonstrationen gegeben haben. Killerkommandos sollen in der Hauptstadt Tripolis durch die Straßen ziehen. Aber Genaues weiß niemand. Nachdem wir es drei Stunden wahllos auf Festnetz- und Handynummern versucht haben, rufen wir schließlich gezielt in einigen Luxushotels und Krankenhäusern an - und kommen wenigstens ein paar Mal durch.

    »Corinthia Hotel«, Tripolis, eine Frau geht ans Telefon. Sie spricht Englisch.

    Hallo, wir rufen aus Deutschland an. Wir wollten fragen, wie es Ihnen geht.
    Alles ist gut hier, Sir.
    Und draußen vor der Tür, haben Sie Demonstranten gesehen?
    Nein, Sir, hier ist alles ruhig.
    Auf Ihrem Weg nach Hause, ist Ihnen da etwas aufgefallen?
    Nein, Sir, nichts, hier ist alles ruhig.
    Haben Sie zurzeit Gäste?
    Ja, Sir, wir sind ausgebucht.
    Möchten Sie den Menschen in der Welt etwas mitteilen, haben Sie eine Botschaft?
    Nein, Sir, ich habe keine Botschaft.
    Was, glauben Sie, wird morgen passieren?
    Niemand weiß, was morgen passieren wird, Sir.

    Abu-Saleem-Krankenhaus, Tripolis, ein Mann hebt ab.
    Wie geht es Ihnen?
    Alhamdulillah (Gelobt sei Gott), uns geht es allen sehr gut, wir sind fröhlich, die Kinder spielen auf den Straßen. Alles ist gelogen, was von euren Medien berichtet wird, alles Lügen. Warum macht ihr das?
    Was machen wir?
    Von Hunderten Toten berichtet ihr, von Unruhen. Hier ist aber alles friedlich, Alhamdulillah. Ich gebe Ihnen noch mal jemand anderen, der Ihnen das bestätigen kann.

    Jetzt spricht ein anderer Mann:
    Es ist alles gelogen, warum macht ihr das? Bei uns sind alle glücklich, die Straßen sind friedlich.
    Sind Sie beide Kollegen?
    (Der Mann legt auf.)

    Al-Mokhtar-Krankenhaus, Tripolis. Ein Mann meldet sich.
    Haben Sie eine Minute Zeit für uns?
    Ja, bitte. Sie rufen bestimmt wegen der Unruhen an. Hier ist alles hundertprozentig ruhig. Ich kann nur von Tripolis sprechen, ich wohne hier, und hier ist alles gut.
    War das auch in den letzten Tagen so?
    Die letzten Tage gab es einige kleine Unruhen, aber nachdem er (gemeint ist Gaddafi) aufgestanden ist und alle motiviert hat, ist wieder alles in Ordnung. Er hat versprochen, dass alles gut wird.
    Glaubt das libysche Volk denn Gaddafis Worten?
    Ja, wir glauben ihm. Hier arbeiten wieder alle.
    Waren die Geschäfte in den vergangenen Tagen geöffnet?
    Ja, ich kann aber nur von Tripolis sprechen.
    Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen in Tripolis Angst haben?
    Nein, weil er uns motiviert hat. Ich habe nur Angst vor Gott. Leider ist der Akku gleich leer, ich muss auflegen.

    Meistgelesen diese Woche:

    Radisson Al Mahari Hotel, Tripolis
    Guten Tag, ich rufe aus Deutschland an, ich bin Reporter für eine deutsche Zeitung.
    Hallo.
    Wie geht es Ihnen?
    Gut.
    Wie war Ihr Weg in die Arbeit heute?
    (Keine Antwort)
    Hallo?
    Nix besonderes, Sir!
    Haben Sie Demonstrationen oder protestierende Leute gesehen?
    (Wir werden vom Gegenüber unterbrochen.)
    Sie werden sicherlich verstehen das wir darüber keine Information haben. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag noch.
    (Legt auf.)

    Al Jalaa Children Hospital, Tripolis. Ein Mann nimmt ab, der am Empfang des Krankenhauses arbeitet. Er wirkt sehr ruhig und gelassen.
    Sie sind in Tripolis. Wie ist die Lage momentan, wie sieht es auf den Straßen aus?
    Die Lage ist zu hundert Prozent ruhig, Gott sei Dank, das Volk ist ruhig.
    Das heißt, das Volk hat auch keine Angst? Wie war es die letzten Tage?
    Nein, hier hat niemand Angst. Die letzten Tage war es auch ruhig, es gab vielleicht einige Ereignisse die letzten Tage, aber es war alles ruhig.
    Gott sei Dank.
    Und alle Leute hoffen, dass das Land und alles wieder so wird wie es einmal war.
    Wie war es denn?
    Alles war gut. Schönen Tag noch, Schwester.

    Ozou Hotel, Benghazi. Ein Mann hebt ab.
    Wie ist die Situation in Benghazi?
    Bei uns ist alles ganz normal.
    Und wie war es in den letzten Tagen?
    Ja, ich manchen Stadtteilen vielleicht nicht, aber hier schon. Und da war auch nicht wirklich was. Das war alles in Tripolis.
    Was war in Tripolis?
    Naja, einige Unruhen. Aber hier il hamdu li allah, ist alles normal.
    Waren die Geschäfte geöffnet? Hatten Sie das Gefühl, dass die Leuten Angst hatten?
    Nein, niemand hat Angst. Aber die Geschäfte hatten teilweise schon geschlossen, nicht alle waren geöffnet.
    Warum hatten diese Geschäfte geschlossen?
    Manche hatte ein wenig Angst, in manchen Stadtteilen. Aber sonst ist alles nur in Tripolis. Ich muss los. Salam!

    Außer in Libyen haben wir noch in folgenden Ländern angerufen:
    Jemen - "Das ist alles aus dem Westen gesteuert"
    Tunesien - "Wir können wieder Brot kaufen gehen"
    Ägypten - "Jetzt ändert sich alles"
    Iran - "Die Grüne Bewegung lebt. Sie lebt!
    Marokko - "Ich bekomme viele Morddrohungen"

    Telefonate und Produktion: Ilhem Ajili, Christoph Cadenbach, Amr Elhadad, Max Fellmann, Ellhem Hysene, Solmaz Khorsand, Wolfgang Luef, Burhan Schawich, Anna Schmidhauser, Laura Selz, Hakan Tanriverdi, Zeidan Ali Zeidan

    Foto: ddp