Angeschmiert

Mit Duschgel den Kater loswerden, mit Shampoo die Frauen rumkriegen: Auch Männern verspricht die Kosmetikbranche heute viel mehr als bloß Schönheit. Wie viel Wahrheit steckt darin? Ein Selbstversuch

Meinen Kulturbeutel packte ich spät am Abend, heimlich, als meine Freundin schlief. Wie hätte ich erklären sollen, dass eine Flasche »Womanizer Shampoo« hineinkam? Wer so etwas mit auf Dienstreise nimmt, zappt abends im Hotelzimmer nicht allein durch die Programme, sondern hat etwas vor – und dafür wäre Barcelona ja nicht der schlechteste Ort.

Besondere Vorkommnisse auf der Reise: keine. Außer, dass ich nach meinem Empfinden weniger nach dem angeblich enthaltenen Vulkangestein roch als nach der Wirtsflüssigkeit von mobilen Toilettenhäuschen, vielleicht finden Frauen das anziehend. Auf der nächsten Reise vollbrachte das Shampoo ebenfalls kein Wunder, da ging es allerdings nach Annaberg-Buchholz. In Barcelona lächelte ich erst jede Frau in den Bars an, und als das nichts nützte, las ich den Satz »¿Hola señorita, le gustaría olfatear a mi?« vom Zettel ab, den mir ein Freund übersetzt hatte: »Hallo Fräulein, wollen Sie einmal an mir riechen?« Wollten sie nicht. Auch in Annaberg-Buchholz musste ich mir die Zeit anders vertreiben, deshalb war ich froh, am nächsten Morgen das »Axe Anti Hangover Wake-Up Shower Gel« in die Kopfhaut massieren zu können. Mit »mg+O2«. Prima, dachte ich, mein Cousin Frank schwört ja auch auf eine Magnesium-Tablette, wenn er zu viel Kölsch getrunken hat. Weil die Hotelmatratze in Annaberg einer Hängematte glich, schäumte ich dort eine Runde »Fa Sport Double Power« hinterher. Das hat einen Muscle-Relax-Effekt, mit dem sich »Verspannungen einfach weg« massieren lassen.

Imposant, was Shampoos heute können. Früher mussten sie säubern und duften, nun helfen sie modernen Multitasking-Menschen, schon morgens im Bad mehrere Punkte der To-do-Liste abzuhaken – und die Natur zu besiegen: Ich habe gelesen, dass die Menschen weltweit rund 270 Milliarden Euro allein für Produkte mit Anti-Aging-Effekten ausgeben. Die Deutschen investieren laut dem Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel immerhin 13 Milliarden Euro in Kosmetika, da sind aber auch alle ohne Anti-Aging dabei. Das Geld wäre gut angelegt, wenn die Produkte so wirken würden, wie von ihnen behauptet wird. Und das sollten sie, findet die EU: »Werbeaussagen über kosmetische Mittel – ob explizit oder implizit – müssen durch hinreichende und überprüfbare Nachweise belegt werden«, heißt es in der Verordnung Nummer 665/2013, die festlegt, was behauptet werden darf und was nicht.

Meistgelesen diese Woche:

Also, Axe? »Anti Hangover« begreife man als Namen »und nicht als Beschreibung einer Wirkung«, erklärt ein Sprecher auf meine Nachfrage. »Und mg+O2 ist eine eher fiktive Formel, die angibt, dass Magnesium und Sauerstoff enthalten sind. Sie soll keinen funktionalen Effekt andeuten.« Schade.

Bei Fa verweist man darauf, dass das Muscle-Relax-Duschgel »die physikalische Wirkung der warmen Dusche« unterstütze. Und dass dieser Effekt »durch das Einschäumen und das Massieren des Körpers verstärkt« werde, was Verspannungen löse – und wohl bedeuten soll, dass man beim Benutzen von Fa-Duschgel meistens duscht und warme Duschen belebend wirken, zumal wenn man dabei die Arme bewegt. Die Drogeriekette dm, deren Eigenmarke das Womanizer-Shampoo im Programm hat, zog es vor, auf meine Fragen nicht zu reagieren. Allerdings: Dass man mit einem Shampoo für 65 Cent kaum die Wirkung erzielt, die selbst ein Porsche für 65 000 Euro nicht garantieren kann, dürfte sogar der liebestollste Teenager verstehen. »Eindeutig übertriebene Behauptungen, die vom Endverbraucher nicht wörtlich genommen werden (…), müssen nicht belegt werden«, heißt es im Gesetzestext der EU.

In meinem Kulturbeutel fand sich aber noch einiges mehr an Herrenkosmetik aus dem Drogeriemarkt um die Ecke. Etwa das »L’Oréal Men Expert Hydra Energy Feuchtigkeits-Fluid Turbo Aufwach-Kick mit Taurin + Vitamin C« für 9,95 Euro, gemacht für »Partytiere« und »Workaholics«, die »nie ein Ende finden«. Partytier bin ich zur Zeit eher keins, ich bin kürzlich Vater geworden. Aber genau deshalb kann eine »Schock-Therapie gegen Zeichen von Müdigkeit« nicht falsch sein, dachte ich. Außerdem führte ich bei mir: die nicht in Deutschland erhältliche, aber für 8,69 Euro im Internet georderte »Signal White Now Men« – die erste Zahnpasta nur für ihn, die männliche Zähne (was immer das sein mag) nach nur einem Putzen wei- ßer macht. Dazu ein weiteres Duschgel, »Lebensfreude« von Kneipp für 3,45 Euro – »hebt die Stimmungslage nachweislich«. Eigentlich nicht mitnehmen müssen hätte ich die beiden Deos von Right Guard (je 1,75 Euro): Meine Reise nach Barcelona dauerte knapp sechzig Stunden, die ins Erzgebirge nur 48, bei einer Wirksamkeit von 72 Stunden wären meine Achseln also eh versorgt gewesen. Aber ich wollte situativ reagieren können, etwa auf Sahara-Hitze (mit »Heat Control« – »wirksam bis zu 50° C!«) oder auf Unvorhergesehenes (mit »Stress Proof« – »erkennt den Schweiß, bevor er entsteht!«).

Was die Kosmetikindustrie auf Verpackungen und in Anzeigen angibt, erweckt oft den Anschein topmoderner Wissenschaft. Doch als Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg vor zwei Jahren all den Special Effects auf den Grund gehen wollte, hatte sie wenig Erfolg. Viele Hersteller hätten nicht reagiert oder bloß oberflächliche Analysen geschickt, die nichts mit Wissenschaft zu tun hätten. Manche Ergebnisse basierten auf so interessanten Methoden wie der Befragung von ausgewählten Newsletter-Abonnentinnen, sagt Schwartau. Sie drückt es dann ähnlich plakativ aus wie die Kosmetikhersteller: »Neun von zehn Werbeaussagen in diesem Bereich sind Humbug!«

Zumindest sind die meisten kaum zu prüfen. Für Schwartaus Verbraucherzentrale nicht, die schon daran scheiterte, einen unabhängigen Partner zu finden, der die Produkte für sie bewertet – »selbst an den Universitäten standen die Ärzte oder Wissenschaftler so direkt mit der Industrie in Verbindung, dass sie nicht in Frage kamen. Oder sie haben auf unsere Anfragen nicht einmal reagiert.« Für Verbraucher oder Journalisten mit müder Haut ist es noch schwieriger. Fragt man nach, bekommt man Erklärungen geschickt, die auch wieder mehr nach Werbung klingen als nach Wissenschaft (»belebt durch Taurin«, »stärkt die Feuchtigkeitsbarriere«). Und den Hinweis, »dass wir Ihnen einzelne Studien aus Vertraulichkeitsgründen nicht zur Verfügung stellen können«. Ich müsste es also einfach glauben.

Oder eben selbst versuchen zu testen. Und siehe da: Das Hydra-Energy-Feuchtigkeits-Fluid mit Taurin hält, was es verspricht, der Aufwach-Kick ist wirklich turbo, zumindest als ich es mir aus Versehen in die Augen schmiere. Die Zahncreme für Männer allerdings schmeckt so, dass sie nur ganz harte Männer benutzen können. Das Happyhappy-Duschgel von Kneipp macht mir wirklich gute Laune, weil es zitronig-frisch den Axe-Geruch wegwäscht. Und die Deos halten die Achselhöhle in Spaniens Mittagshitze trocken – 72 Minuten.

Leichter als die Verbraucherzentrale oder ich sollten sich die deutschen Landesämter tun. Ihnen fällt per Gesetz die Aufgabe zu, derlei Werbeaussagen fachmännisch zu prüfen. Die Landesämter kontrollieren auch Lebens- und Futtermittel, und wenn sie danach fragen, müssen Hersteller ihre Studien offenlegen. Einige seien völlig in Ordnung, sagt ein Herr aus einem Landesamt, der anonym bleiben will. »Manche versuchen aber auch, uns mit bunten Prospekten abzuspeisen, in denen Ergebnisse der Marktforschung abgedruckt sind.« Mehr als zu versuchen, die Studien nachzuvollziehen, könnten er und seine Kollegen sowieso nicht. »Ob eine Creme wirklich Falten reduziert, können wir im Labor nicht prüfen.« Um so etwas einwandfrei zu belegen oder zu widerlegen, bräuchte man klinische Langzeitstudien, mit Kontrollgruppe, Placebo und allem, was dazugehört. Das kostet mehr Geld, als die Landesämter haben. Also kontrollieren sie die Kosmetika vor allem auf Schadstoffe.

Das effektivste Kontrollmittel ist deshalb wohl der Markt selbst. Birgit Huber, stellvertretende Geschäftsführerin beim Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel, sagt: »Wettbewerber haben die Möglichkeit, innerhalb kurzer Fristen die Verbreitung irreführender Werbeaussagen gerichtlich verbieten zu lassen« – und täten das auch oft. So setzte Henkel 2013 durch, dass der Konkurrent Beiersdorf ein Deodorant nicht mehr als »invisible« (unsichtbar) bewerben durfte und legte vor Gericht Stoffproben vor, die bewiesen, dass auch »das beste Deo gegen gelbe Flecken« gelbe Flecken macht. Wilkinson wurde von einem Konkurrenten verklagt und darf nicht mehr behaupten, dass bei seinem Rasierer Hydro »das wasseraktivierte Gel mit Aloe Vera und Vitamin E« der Haut »schon während der Rasur direkt Feuchtigkeit« spende. Krähen hacken sich eben doch manchmal gegenseitig ein Auge aus.

Trotz des erweckenden Ergebnisses im Anwendungstest zweifle ich immer noch daran, dass Taurin meine Haut so wach macht wie Energydrinks die männliche Landjugend. Ein renommierter Dermatologe, der mir viele interessante Dinge sagt, die er aber nicht gedruckt lesen will, schickt mir Studien: Taurin hat demnach tatsächlich Effekte auf die Haut. Also: auf isolierte Hautzellen. Unter Laborbedingungen. Absolut pur. Und in hoher Dosis. Eine solche In-vitro-Studie – oder nur der Verweis darauf von anderen Herstellern, Forschern, Wissenschaftlern – kann für Kosmetikproduzenten genügen, um eine Wirksamkeit zu belegen. Aber ob die Stoffe in ausreichender Konzentration im Endprodukt enthalten sind? Und ob sie in der Praxis die gewünschte Wirkung entfalten? »Tja«, sagt der Dermatologe. »Tja«, sagt der Mann von Prüfamt.

Doch manchmal kommen die Prüfer selbst an solche Studien nicht heran: Der Produzent meiner Aufwach-Schmiere hat deutsche Niederlassungen, dürfte nach Einschätzung des Herrn im Landesamt aber darauf verweisen, dass die Wirksamkeitsanalysen im Hauptsitz in Paris liegen – somit sind sie unerreichbar für deutsche Behörden, auch in Zeiten von EU-Verordnungen. »Auf manche Hersteller haben wir also überhaupt keinen Zugriff«, sagt er – und in welchen EU-Staaten weniger gut kontrolliert wird, sei in der Branche ein offenes Geheimnis.

Was mich noch beschäftigt: Was ist ein »Haut-Booster« für den »Turbo-Aufwachkick«? »Das weiß auch kein Wissenschaftler«, sagt der anonyme Kontrolleur und lacht. Die Industrie weiche sehr gern auf Anglizismen und Kunstwörter aus, »und Sie können sicher sein: Jede Behauptung ist von Experten so formuliert, dass sie juristisch nicht zu greifen ist.« Axe schreibt aufs Duschgel nicht nur »Anti-Hangover«, weil das cooler klingt: »Mit dem deutschen Begriff ›Anti-Kater‹ haben wir es bewusst nicht versehen«, sagt der Sprecher von Unilever: »Dann könnten Verbraucher wirklich eine Wirkung erwarten.«

Foto: David Favrod