SZ-Magazin: Was ist Ihnen wichtiger – Beruf oder Familie?
Thomas Middelhoff: Eindeutig Familie.
Warum üben Sie dann einen Beruf aus, bei dem Sie kaum Zeit für sie haben?
Das hat sicher auch mit Egoismus und Egozentrik zu tun. Früher konnte ich mich leichter rechtfertigen, wenn ich 14 Stunden am Tag gearbeitet habe, denn einer musste ja die Brötchen verdienen, wenn man viele Kinder hat. Heute zählt dieses Argument nicht mehr, Geld habe ich genug verdient. Aber inzwischen akzeptieren meine Frau und meine Kinder, dass ich viel ausgeglichener und zufriedener bin, wenn ich so arbeite, wie ich arbeite.
Wie schwierig ist es, im Beruf erfolgreich und gleichzeitig ein guter Vater und Ehemann zu sein?
So schwierig, dass mir das nicht immer besonders gut gelungen ist. Bei mir kam häufig die Firma zuerst, zumindest habe ich mehr Zeit mit ihr verbracht.
Haben Sie deswegen ein schlechtes Gewissen?
Nein. Meine Frau regelt die wesentlichen Bereiche der Erziehung allein – dafür kann ich ihr gar nicht genug danken. Sie zieht mich aber sofort hinzu, wenn ein Kind mal meinen Rat braucht. Wenn ich frei habe, bin ich voll für die Familie da, da muss ich mich nicht auch noch selbst verwirklichen, das kann ich ja in der Firma. Wir haben sogar Regeln. Erstens: Am Wochenende wird nur an einem Tag gearbeitet, und zwar zu Hause. Zweitens: Wenn ein Kind mit mir sprechen will, wird es sofort durchgestellt, egal in welchem Meeting ich gerade bin.
Wie halten Sie unter der Woche mit Ihren Kindern Kontakt?
Die Kleinen sehe ich zu Hause, mit den anderen per Telefon und E-Mail. Ehrlich gesagt sind mir E-Mails lieber, weil sie persönlicher sind. Am Ende schreibe ich zum Beispiel »Ich hab dich lieb«, beim Telefonieren mache ich das weniger. Letztes Jahr haben wir eine Überraschungsparty für meine Frau organisiert, ich saß im Büro in Essen, mein Sohn in London, meine Tochter in Düsseldorf, die anderen in Bielefeld. Wir haben unsere Sketche in Konferenzschaltungen besprochen und über Skype sogar einstudiert.
Ihre Eltern leben im Haus nebenan. Steckt da ein Konzept dahinter?
Sicher, das wollten wir so und hat mit unseren Werten zu tun, mit der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Ich mag die Idee der Großfamilie, in der jeder für den anderen da ist, deshalb haben wir für meine Eltern ein zweites Haus auf unserem Grundstück gebaut. Ich bin sicher, da fühlen sie sich wohler als im Altenheim. Außerdem haben alle was davon: Meine Kinder haben mit ihrer Oma Latein- und Französisch-Vokabeln gelernt, zweimal in der Woche essen wir gemeinsam und ab und an spielen wir Skat in der Männerrunde: Opa, Papa und die Söhne.
Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?
Als ich noch bei Bertelsmann war, kam ich jeden Tag um 8 Uhr in die Firma und am Abend nicht vor 22 Uhr nach Hause. Heute sehe ich das ein bisschen lockerer, trotzdem arbeite ich noch viel. Das Problem ist: Mein Job macht mir einfach Spaß. Manchmal, wenn ich in meiner Wohnung in Düsseldorf übernachte, stehe ich um halb 6 Uhr auf, mache den Kamin an und gehe ein paar Akten durch.
Sie fahren also nicht jeden Tag nach Hause?
Nein, die Firma ist 130 Kilometer von unserem Haus entfernt, das schaffe ich nicht jeden Tag. Dreimal die Woche bleibe ich in meiner Wohnung.
Haben Sie manchmal Zeit nur für sich?
Nein, die brauche ich auch nicht. Wenn ich Freizeit habe, will ich sie mit meinen Kindern verbringen. Ich käme nie auf die Idee, mit Kollegen Golf zu spielen. Da mache ich lieber Ausritte mit der Familie. Manchmal schauen wir uns auch einen Film im Heimkino an oder spielen Tennis. Nur keine Routine, sonst lebt man nur noch aneinander vorbei.
Waren Sie schon mal beim Elternsprechtag eines Ihrer Kinder?
Normalerweise macht das meine Frau. Aber ein- oder zweimal war ich da, Sie glauben gar nicht, wie irritiert mich die Lehrer angeschaut haben. Die kannten mich nicht. Aber ich war auf den Abschlussbällen meiner Kinder und fahre sie am Wochenende auf Partys in die Stadt. Das ist ja auch gemeinsame Zeit, wenn wir uns im Auto unterhalten können.
Welchen Beruf hat Ihre Frau?
Meine Frau hat Architektur studiert. Eigentlich wollte sie nach der Geburt unseres ersten Sohnes weiterarbeiten, aber als sie nach dem Mutterschaftsurlaub zum ersten Mal ins Büro wollte, hat der so gotterbärmlich geweint, dass es ihr fast das Herz zerrissen und sie beschlossen hat, ganz für die Kinder da zu sein. Fünf Kinder, das ist ein Fulltime-Job.
Wenn Ihre Frau Sie bitten würde, kürzerzutreten, wie würden Sie sich entscheiden?
Vielleicht würde ich darauf eingehen, aber im Grunde glaube ich, dass ich unglücklich werden würde, dass es zu Streit käme. Wir haben einfach akzeptiert, was jeder von uns braucht, um ausbalanciert zu sein.
Sind Sie eher süchtig nach Arbeit oder nach Anerkennung?
Ich glaube, dass ich lange Zeit von einer Mischung aus Ehrgeiz, Eitelkeit und dem Wunsch nach Anerkennung angetrieben wurde. Ich bin mit vier Geschwistern aufgewachsen, da musste ich mir auch die Anerkennung der Eltern erkämpfen. Heute bin ich viel gelassener, mir geht es längst um andere Dinge: Prozesse verändern, Werte entwickeln, Menschen führen, das macht mir Spaß.
Wie reagieren Sie, wenn einer Ihrer Mitarbeiter wegen eines Kindes nur noch Teilzeit arbeiten will?
Es gab mal so einen Fall, als ich noch Bertelsmann-Chef war. Da wollte eines unserer größten Management-Talente – der Mann war 36 Jahre alt – von einem Tag auf den anderen kürzertreten, um mehr Zeit mit seinen zwei Kindern zu verbringen. Diese Entscheidung hat mein Weltbild damals ganz schön durcheinandergewirbelt. Ich dachte, der spinnt. Heute verstehe ich ihn. Die Familie ist das Wichtigste.
Nach welchen Prinzipien erziehen Sie Ihre Kinder?
Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Verlässlichkeit. Und dass sie auch mal Verantwortung für andere übernehmen und nie glauben, was Besonderes zu sein, nur weil ihr Vater in der Zeitung steht und gut verdient. Designerklamotten gibt es bei uns nicht, jedes Kind bekommt Taschengeld und muss damit selbstständig wirtschaften.
Wie viel Taschengeld bekommen Ihre Kinder denn?
Das weiß ich nicht, die Höhe legt meine Frau fest.
Was halten Sie davon, wenn beide Eltern berufstätig sind?
Ehrlich gesagt, wenig. Werte muss man Kindern vorleben, damit sie sie verstehen und verinnerlichen. Früher war ich der Meinung, dass eine Frau das besser kann als ein Mann, Kinder erziehen, aber da bin ich im Laufe der Jahre liberaler geworden: Wer den Job besser draufhat, der soll ihn machen.
Thomas Middelhoff, 54. Vorstandsvorsitzender der Arcandor AG, früher Karstadt Quelle AG, fünf Kinder (zwischen 5 und 23 Jahre).
Foto: Frank Schemmann
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