Auf Großwildjagd in Paris

Kylie Jenner trägt bei der Haute-Couture-Woche ein Kleid mit täuschend echtem Löwenkopf. Das Internet ist empört, eine bekannte Tierschutzorganisation dagegen verteidigt das Modehaus. Und der Designer hat ohnehin eine ganz andere Erklärung für den Löwenkopf.

Kylie Jenner mit der täuschend echten Trophäe.

Foto: Getty Images

Montagmorgen, noch nicht mal 10.30 Uhr, und schon ist in der Modewelt wieder die Hölle los. Übrigens nicht nur bildlich gesprochen, aber dazu später. Denn erst mal sind wir gewissermaßen noch im Vorhof: Auf der Treppe zum Petit Palais in Paris, wo gestern die Couture-Show von Schiaparelli stattfand und eine topgelaunte Kylie Jenner im schulterfreien schwarzen Samtkleid die Stufen hinauf trippelt. Es sind zwar nur ein Grad Celsius im europäischen Winter, aber Mantel tragen geht ja schlecht, wenn auf der Brust ein riesiger Löwenkopf sitzt. Einige Gäste machen spontan Raubkatzen-Gebärden, andere kalauern, die 25-Jährige sähe heute mal wieder zum Brüllen aus. Allzu viel Verwunderung im Raum löst der großkopferte Auftritt eines Kardashian-Spross' allerdings nicht aus.

Dann beginnt die Präsentation, Models mit spektakulär gefertigten Couture-Roben schreiten durch die imposante Halle und ungefähr bei der Hälfte fällt der Groschen zu Jenners wilder Kleiderwahl: Die Supermodels Irina Shayk, Shalom Harlow und Naomi Campbell tragen ebenfalls täuschend echte Tierköpfe am Leib, einmal den gleichen Löwen wie Jenner, einen Schnee-Leoparden, aus dem pechschwarzen Mantel von Naomi ragt eine Wölfin heraus, und während das Publikum am Ende den Designer Daniel Roseberry beklatscht, ist das Internet schon auf 180.

Fotos: Schiaparelli Haute Couture SS23

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»Geschmacklos!«, »Wie kann man nur!«, »Schlimmste Großwildjagd!«, schimpfen die Leute auf Twitter und Instagram. Dass die Tierköpfe natürlich nicht echt sind, wie die Marke betont, sondern aus Schaum, Kunstharz, Wolle und Seide von einem israelischen Künstler per Hand gefertigt wurden, interessiert hier niemanden. Ob echt oder nicht – damit werde »Trophy Hunting« zelebriert, empört sich auch die Tierschützerin Carrie Johnson, Frau des ehemaligen britischen Premierministers Boris Johnson auf ihrer Instagram-Seite. Wobei sie wahrscheinlich kurzzeitig verdrängt hat, dass ihr Mann vor nicht allzu langer Zeit die Fuchsjagd in Großbritannien wieder legalisieren wollte.

Dabei könnte man, nur mal theoretisch, auch genau andersherum argumentieren. Weil die Tiere so täuschend echt wirken, sind sie ein Statement dafür, wie überflüssig die alte Großwildjagd einmal mehr ist. Die modernen »Trophy Wifes« sind weder selbst Trophäen noch brauchen sie den Quatsch als Bettvorleger oder Stola. Sie tragen Fake Fur und Fake Taxidermy, kaufen sich ihre Blumen selbst (wie im neuen Song von Miley Cyrus), bisweilen heiraten sie sich sogar selbst (Sologamie à la Selena Gomez). Tatsächlich gehört die Tierschutzorganisation Peta zu den wenigen Stimmen, die den Auftritt von Kylie Jenner deshalb sogar lobt.

Wofür sich vor lauter Gebrüll dagegen kaum jemand interessiert, weil man dafür erst mal den Begleittext der Kollektion lesen müsste: Man kann die Kleider seltsam finden, vielleicht auch aufmerksamkeitsheischend, aber zumindest gibt es eine Geschichte dazu. Roseberry ließ sich bei der Kollektion von Dantes Göttlicher Komödie aus dem frühen 14. Jahrhundert inspirieren. Von der Hölle, die er durchschreitet, um schließlich die Erlösung zu finden. Tatsächlich stammen die Kreaturen aus Dantes Erzählung und stehen für Lust (Leopard), Hochmut (Löwe) und Geiz (Wolf). Seine »Inferno« genannte Kollektion sollte eine Allegorie auf den Schaffensprozess sein, in dem jeder Kreative finstere Momente erlebt, zweifelt und sich vor dem Unbekannten fürchtet. Nun kam der Designer gleich selbst in Teufels Küche.

»So viel Polemik habe ich nicht erwartet«, sagte Roseberry sichtlich angefasst einige Stunden nach der Show. Allerdings passe die Aufregung ironischerweise wieder zum Haus – die Entwürfe der Gründerin Elsa Schiaparelli wurden in den Dreißigerjahren ebenfalls stets kontrovers diskutiert, allein ihr »shocking pink« ist legendär. »Hätte es damals schon Social Media gegeben, hätte sie wahrscheinlich ständig einen Shitstorm kassiert«, so der Texaner.

Kylie Jenner jedenfalls zog ihr Löwenkostüm vorsichtshalber schnell wieder aus und posierte später in einer Tiefgarage mit Swarovski besetzten, pinkfarbenen Stiefeln von Givenchy. Das zumindest: schockt garantiert niemanden.

Typischer Instagram-Kommentar: »Wer ist hier die Schöne und wer das Biest?«
Das sagt die Sitznachbarin: »Darf ich‘s mal streicheln?«
Passender Song: Roar (Katy Perry)