Nächsten Monat wird meine Schwiegermutter 80, und meine Schwägerin 60. Das gibt zwei große Familienfeiern in Kalifornien, da muss ich hin. Normalerweise freue ich mich auf sie, aber diesmal graut mir. Nicht, dass ich meine angeheiratete Familie nicht mögen würde, ganz im Gegenteil: Ich mag sie alle. Sie sind nett, hilfsbereit, lustig, schmeißen großartige Partys, und wenn ich einmal in Nöte käme, bin ich mir sicher, dass ich auf sie zählen könnte. Umgekehrt gilt das auch. Aber: Sie wählen Trump. Alle. (Bis auf meine bessere Hälfte, sonst wären wir auch nicht verheiratet.)
Meine deutschen Freunde fragen ständig fassungslos: Kannst du uns bitte erklären, warum dieser arrogante Rüpel mit dem orangen Toupet so beliebt ist, dass er Chancen auf das Präsidentenamt hat?
Ja, kann ich. Ich muss ja nur meine Familie fragen.
Obwohl ich das tunlichst vermeide. Wir umschiffen alle politischen Themen, denn unsere netten Familienzusammenkünfte würden sonst schnell ein Kampf auf Leben und Tod werden.
Das fängt damit an, dass ich bekanntlich aus dem »sozialistischen« Deutschland stamme, wo Menschen dafür bezahlt werden, dass sie nichts tun. Das ist Ihnen neu? Mir auch. Aber meine Schwieger-Familie hat das aus gut informierten Quellen. Sprich: Aus den konservativen Radio- und Fernsehsendungen, die sie sich jeden Abend angucken und in denen Europa als »sozialistisch« verunglimpft wird. Was sie mit »sozialistisch« meinen: dass in Deutschland jeder eine Krankenversicherung hat. Wenn ich dann zum Beispiel sage, dass Gesundheitsversorgung für alle sinnvoll, notwendig und im Übrigen sogar billiger ist als das alte amerikanische Notaufnahme-System für Arme, dass ich es tragisch finde, wenn Amerikaner mit dem Arbeitsplatz auch ihre Krankenversorgung verlieren und dass arbeitslose und kranke Amerikaner direkt auf der Rutschbahn in die Armut landen, ist die Antwort: »Da hat der Staat nichts drein zu reden.«
Ich interessiere mich leidenschaftlich für Politik und gehe ansonsten keiner intelligenten Diskussion aus dem Weg. Aber nach fünf Minuten Polit-Diskussion mit meinen Schwieger-Lieblingen verfalle ich in Schnappatmung wie Trump bei seinen Reden.
Die Hunde toben um den Pool, die Großen betrinken sich langsam mit Craft Beer, über die Stereoanlage rockt Bruce Springsteen. Es könnte alles so schön sein.
Dann sagen sie Sätze wie: »Wenn Obama nur die Bohrungen in der Arktis erlauben würde, hätten wir das Energie-Problem gelöst.«
Wo, bitte, soll ich da anfangen? Mit einer Grundsatzrede über fossile Brennstoffe? Dem Klimawandel? Dem Fakt, dass Benzin und Strom in Amerika ohnehin billiger sind als in Deutschland, mit Verlaub viel zu billig? Der Tatsache, dass in Kalifornien die Sonne an so vielen Tagen scheint, dass sich damit halb Amerika erleuchten ließe, wenn die Amis nur bitte endlich ihre verrückte Liebe zu endlos surrenden Klima-Anlagen und Monstertrucks kündigen könnten?
Wir stehen dabei natürlich in ihrem viel zu großen Haus (sechs Schlafzimmer für zwei Erwachsene), in dem die Klima-Anlage surrt und ein Monstertruck in der Garage steht. Zwei Erwachsene teilen sich drei Autos, und Obama soll deshalb in der Arktis nach Öl bohren.
Was mich wahnsinnig macht, ist die Tatsache, dass meine Schwiegerleute keineswegs dumm sind. Aber Trump glauben sie alles. 2008 hatten wir schon einmal eine Krise, da kandidierte bekanntlich Alaskas Clown Sarah Palin als Vizekandidatin. Neben dem Weihnachtsbaum stritten sich Vater und Sohn darum, wer von den beiden die Sarah Palin-Biografie, die unter dem Baum lag, als erster lesen darf. Damals fand ich das noch lustig, weil mir klar war: diese Irre aus Alaska regiert Amerika nie. Aber nun hat sich Trump bis kurz vor das Weiße Haus gerüpelt, und mir ist das Lachen vergangen.
Auf Facebook teile ich die Videos, in denen Trump Kriegsveteranen und Behinderte verhöhnt, Frauen als Schweine beschimpft und jeden Tag wieder aus Neue beweist, dass er von der Welt keine Ahnung hat. Ich schicke ihnen Auszüge aus den Prozessen gegen ihn, in denen seine Opfer wieder und wieder erklären, wie er ihnen das Geld aus der Tasche gezogen hat, Handwerker und Architekten für seine Protzbauten nicht bezahlt hat. Sie kontern mit sexistischen Monica Lewinsky-Sprüchen und »Killary«-Fotos, in denen Hillary aussieht, als bräuchte sie dringend medizinische Hilfe. Eben Trump-Methoden.
Also, warum mögen sie Trump?
Erstens, weil sie ihn kennen. Aus dem Fernsehen, als Star der Reality-Show »The Apprentice«. Und von einem Immobilien-Seminar, das sie vor gut zehn Jahren bei ihm belegt haben. Da hat er sie mit seinen Sprüchen unheimlich beeindruckt. Das gemeinsame Foto mit Trump steht im Wohnzimmer direkt vor der Mahagoni-Schrankwand.
Zweitens, weil er erfolgreich ist. Alles, was er anfasst, wird zu Gold. Wenn man doch nur Amerika wie ein Immobilien-Imperium regieren könnte! Wenn ich dagegen halte, dass sie sich blenden lassen, dass er vier Mal bankrott ging, dass er nicht wirklich erfolgreich ist, sondern sich auf Kosten anderer bereicherte und, wie bei den Atlantic Casinos, seine Geschäftspartner im Regen stehen ließ, lautet ihr Gegenargument, das seien alles Lügen der Lamestream-Presse. Also ich. Die Presse, das bin ich.
Drittens, weil sie ihn verstehen. »Er ist der einzige Politiker, der so redet, dass ich ihn verstehe,« sagt meine Schwiegermutter, die 60 Jahre lang demokratisch gewählt hat. »Wir müssen doch was tun, es kann doch nicht so weitergehen.«
Was kann nicht so weitergehen? Geht es ihnen schlecht? Nein, gar nicht. Sie leben in einem überdimensionierten Haus mit Pool und Sauna, die Schwiegermutter in einem Fertighaus in der Seniorensiedlung. Es geht ihnen gut, sogar jedes Jahr ein bisschen besser. Aber wenn man sie reden hört, denkt man, die Terroristen stünden vor den Toren und nur Trumps Fantasie-Mauer könnte alle Irren davon abhalten, Amerika zu überrollen. Sie haben entsetzliche Angst, dass ihnen alles weggenommen wird. Von wem? »Von denen.« Von wem? Na, den Mexikanern, den Asiaten, den Ungläubigen. Kennen sie welche? Nicht persönlich. Nur den netten Mexikaner Pablo, der den Rasen mäht. Dann bringen sie irgendwelche Geschichten, die sie auf ihren Hetzsendern gehört haben.
Das passt alles nicht zusammen. Über Trumps Mauer, die er unbedingt zwischen Mexiko und Amerika bauen will, könnten sie stundenlang reden. Ich auch. Dass die Idee kompletter Schwachsinn ist, weil 1. die meisten Einwanderer gar nicht über Land kommen, 2. man die Mauer untergraben und überklettern kann, 3. sie unbezahlbar und 4. es de facto unmöglich ist, sich diese meilenlangen Landstücke zu sichern.
Wenn sie nicht mehr weiter wissen, dann kommt das Totschlagargument: Killary. »Weißt du,« ruft meine Schwägerin triumphierend, »dass die mit Saudi-Arabien unter einer Decke steckt, wo Frauenrechte mit Füßen getreten werden? Ausgerechnet du, wo du doch immer für Frauen eintrittst, findest die gut!«
Wenn ich noch einmal höre, dass Obama und Clinton für alles Schlechte auf der Welt verantwortlich sind (vom Irakkrieg bis zu Isis, obwohl beide bekanntlich unter George W. Bush ihren Anfang nahmen) und Trump »einfach sagt, was Sache ist«, dann springe ich in den Pool. Und tauche erst wieder auf, wenn ich auf der anderen Seite des Pazifiks angekommen bin.
Foto: Bloomberg