Die über-Kreuz-Fahrt

Man steckt Künstler und Wissenschaftler zusammen, damit etwas ganz Neues entsteht. Klingt nach einer guten Idee. Doch auf einem Boot vor Panama hat unsere Autorin zwei Welten erlebt, die einfach nicht miteinander sprechen können.

Wir legen bei tropischer Hitze in Panama City ab. Francesca Habsburg-Lothringen hat die Luke zu ihrem Familienschiff »Dardanella« geöffnet, und das ist ein Ereignis, ist sie doch eine wichtige Figur in der Kunstszene, die Tochter der Sammlerlegende Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza – und, auch wenn sie schon lange von ihrem Gatten Karl Habsburg-Lothringen getrennt lebt, sie wäre die heutige Kaiserin von Österreich. Gäbe es dort noch Kaiser. Francesca Habsburg lädt regelmäßig bedeutende Wissenschaftler und Künstler auf die »Dardanella« ein. Sie sollen ins Gespräch kommen, Projekte starten, auf das Sterben der Ozeane aufmerksam machen, schnorcheln, Jetski fahren, in den Sternenhimmel schauen.

An Bord sind diesmal: Neri Oxman, Professorin für Media Arts and Sciences am MIT (dem Massachusetts Institute of Technology in Boston, der Elite-Uni für sogenannte Techies), ihre makellos weiße Haut schützt sie mit einem riesigen Sonnenhut. Sie wird von vier ihrer Studenten und dem Korallenprofessor James Weaver begleitet. Aus Norwegen reist die Soundkünstlerin Jana Winderen an, die in Doc Martens an Bord geht, Pascal Wyse, Cartoonist und Musiker aus London mit klassisch britischem Humor – und aus Deutschland wir als Beobachter: die Journalistin und der Fotograf. Die junge, gut gelaunte Crew setzt jedem von uns einen Panamahut auf den Kopf. Am Abend werden Thunfisch, Pasta und Wein serviert; Ferienstimmung. Natürlich drehen sich bei Tisch die ersten Gespräche um Haie, die heimliche Mission jeder Seereise – werden wir sie sehen? Als gelte es, das Gefährlichste schon mal einzukreisen. Um es vorab zu sagen: Die einzigen Haie, die wir auf der Fahrt ins nördliche Panama sehen, sind die auf den Oberkörper des Tauchbegleiters tätowierten Hammerkopfhaie.

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Der erste Morgen. Durch die Bullaugen sehen wir üppig grüne Inseln. »Ich will, dass ihr nasse Füße kriegt!«, ruft Francesca Habsburg freudig beim Frühstück. Ihr Plan ist gut, sie schafft eine intime Bühne für Wissenschaft und Kunst, zwei Welten, die sich kaum noch begegnen, einander aber viel zu geben hätten. Die Leute aus ihrem Labor holen, das gefalle ihr, sie in eine Umgebung zu bringen, in der sie ihre Ideen neu bewerten müssen. In Körbchen stehen Sonnencremes in allen Lichtschutzfaktoren bereit; Flossen und Taucherbrillen in Reih und Glied. Einmal am Tag frage ich nach etwas, von dem ich glaube, dass es das bestimmt nicht geben wird auf der »Dardanella« – gibt es aber alles: Tampons, Unterwasser-Telefone, frischen Ingwer, sogar Pappkaffeebecher to go.

Nach dem Frühstück springt Neri Oxman zum Schnorcheln ins Meer – unter ihr ein Schwarm schwarzer Fische: »Beautiful!« Hinter ihr paddelt James Weaver durchs Wasser. Sein halbes Leben hat der Korallenprofessor aus Harvard die halb pflanzen-, halb tierartigen Wesen studiert; er nennt sie nur »these guys«. Er kennt sie von 3-D-Bildschirmen. Nie zuvor war er im Meer und hat sie berührt. Jetzt taucht er zum ersten Mal zu einem Riff hinab, und das Erschreckende ist, dass Weaver später sagen wird, nein, etwas Besonderes sei das für ihn eigentlich nicht gewesen. Als hätte er einen Stecker zwischen sich und der ihn umgebenden Natur gezogen. Als wäre außerhalb seines Gehirns Schluss.

Wie weit kann man sich auf einem Schiff vom Wasser entfernen? Wenn der Ozean unter den Füßen tausend Meter in die Tiefe fällt, der Boden auf jedem Meter wackelt, das Herz weit wird vom Blick über das endlose Blau? Neri Oxman startet im Salon ihre Power-Point-Präsentation. Ihre sonst liebliche Stimme bekommt jetzt etwas Kantiges, Schnelles. Es geht um nichts weniger als breaking science. Die Idee von Francesca Habsburg: Neri Oxman und die Künstlerin Jana Winderen entwickeln gemeinsam einen Korallenpavillon; die beiden teilen sich auch eine Kabine. Oxman präsentiert das Vorgängermodell. Ein Fasergerüst, das von einem Roboterarm begonnen und von 6500 Seidenraupen fertig gesponnen wurde. Oxman spricht über biologisch informiertes Design. »We use nature«, sagt sie. Auf größere, tiefere Fragen geht sie nicht ein. Es geht doch hier auch ums Sterben, sagt Jana Winderen einmal leise. Oxman schaut sie an, ein Blick, der nicht atmet, weiter im Text. Und die Eier, fragt Winderen, die Seidenraupen legen doch ihre Eier auf den Pavillon? Oxman verweist auf die strikten Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen des MIT. Sie ist freundlich, sie lächelt, aber man spürt sie nicht. Stattdessen spüre ich zum ersten Mal diese wabernde Kälte, die weder einen klaren Ursprung noch einen Empfänger hat; sie ist ungreifbar.

Der nächste Tag. Oxman hat schlecht geschlafen, weil Winderen schnarcht. Die steht schon im abgeschnittenen Karohemd in einem Wust aus Kabeln, als Oxman mit verquollenen Augen zum Frühstück kommt. »Fährst du schon wieder raus?«, fragt sie erstaunt. »Du warst doch erst gestern Abend draußen.« – »Ich liebe, was ich tue«, antwortet Winderen, die von Pascal Wyse unterstützt wird. Bis spät am Abend saßen die beiden in einem Boot, ließen zwei hochsensible Mikrofone, die den Raum im Wasser erfassen, an Kabeln in die Tiefe, hielten sie fest. Auch Francesca Habsburg war mitgekommen. Sie setzte die Kopfhörer auf, lauschte versunken, was das Meer ihr zu sagen hat. Machen Korallen Geräusche? Wie kommunizieren Fische? Eine glatte, blaue Oberfläche, und im selben Augenblick hört man, was zehn Meter darunter geschieht. Der Ozean unter einem. Das Krachen und Rauschen, Knistern und Prasseln, Grummeln, sogar ein leises Schnarchen und ein vermutlich großes Tier, das sich mit hohen Tönen aus der Ferne nähert. Wie laut es dort unten ist, die Fülle, das Leben. Und was wissen wir letztlich davon? Winderen hat die Augen geschlossen, hält die Kabel zwischen ihren Fingern, zwischen ihren Zehen, stundenlang. Die Hingabe hat oft zu wichtigen Entdeckungen geführt. Hingabe ist so ein altes Wort. Aber hier ist sie. Sie sitzt in einem kleinen Boot.

Die Welt wolle sie verändern, sagt Neri Oxman vor dem Abendessen. »Wie?«, fragt sie der Fotograf. »Mit gutem Willen«, antwortet sie lächelnd. »Was ist guter Wille?« – »Seine Arbeit gut machen, ein gutes Team bilden, gut zu anderen sein, Gutes tun.« Sie spricht über den guten Willen wie über etwas, das sie mal gelesen hat. Sie spricht über den Tod wie über etwas, das sie mal gelesen hat. Sie spricht über die Liebe wie über etwas, das sie mal gelesen hat. Aber sie fährt kein einziges Mal mit Winderen hinaus ins Ungewisse. Stattdessen folgt der nächste Talk – Steven, ihr Lieblingsstudent. Er spricht in atemberaubendem Tempo, seine Stimme kennt keine Höhen und Tiefen, es geht um Unterwasserroboter, Roboterschwärme, Menschen, die Fehler machen. Ich fühle mich ein bisschen wie Ethan Hawke im Film Gattaca. Beim Abendessen gibt es die Gemeine Goldmakrele, die von der Crew am frühen Morgen gefangen wurde. Winderen und Wyse hören sich die Aufnahmen aus dem Meer an. »Wenn man das rückwärts abspielt, kommt vermutlich ein Abba-Song raus«, witzelt Wyse. Wir suchen Muscheln und Krokodilspuren, wir schnorcheln zu einem U-Boot, wir essen Pistazien zum Sundowner.

Die erste Seemannsregel kennt man instinktiv: Auf hoher See fängt man keinen Streit an.



Nach ein paar Tagen frage ich mich, warum keine Gruppendynamik entsteht. Warum alle so angepasst und weich gespült sind, keine wahre Diskussion möglich ist, warum man an Menschen abgleitet wie an einer glatten Wand, darüber leise verzweifelt. Was sind die Einstellungskriterien für Ihre Studentengruppe, Frau Oxman? Sie überlegt kurz, nennt als Erstes: »Unschuld.« Francesca Habsburg fragt die Studentin aus Barcelona, was sie an Boston mag. »Dass ich dort so fokussiert bin«, antwortet sie. »Meine Aufgabe ist es, euren Fokus ein wenig zu zerstreuen«, sagt Habsburg. Sie moderiert, stellt interessiert Fragen, erzählt Anekdoten am Tisch: Wie die Sängerin Björk mal in Habsburgs Haus auf Jamaika zwischen zwei Voodoo-Trommlern hin- und hersprang und die auf dem Boden liegende Künstlerin Marina Abramovic´ sie dabei fotografierte. Francesca Habsburg macht eine Party auf dem Oberdeck, in deren Verlauf der Korallenprofessor James Weaver mit einer Dolly-Parton-Perücke auf dem Kopf um eine Poolstange tanzt. Aber auch sie schafft es letztlich nicht, die Gruppe zusammenzubringen. Wie weit die Wissenschaft und die Kunst wirklich voneinander entfernt sind, lässt sich erst durch den engen Raum auf diesem Schiff ermessen.

Die Passagiere sitzen im Salon vor ihren Notebooks. Draußen zieht der Ozean vorbei. Warum sammeln sich die Vögel hier im Wasser? Warum verdichten sich dort am Himmel die Wolken? Warum ist diese Welle höher als die anderen? Auf jedem Meter ein Rätsel. Drinnen geht es um den Korallenpavillon, und Oxman fragt sich: Wie können wir uns selbst übertreffen, wie das erste lebende Gebäude konstruieren? Eine photosynthetische Maschine? »Können wir einen Polypen bauen, James?« – »Das ist unmöglich«, antwortet der Korallenprofessor. »Dann ist es doch großartig!«, sagt Steven. Oxman strahlt ihn an.

Die Wissenschaft war mal eine Gabe. Sie war ein Berg, den man erklimmen musste. Sie kam aus der Natur. Wer in Besitz des Wissens war, der hatte etwas Wertvolles, dem er in Demut gegenübertrat, das ihm die Verantwortung übertrug, dieses Wissen für etwas Gutes weiterzugeben. Sokrates saß auf einem Marktplatz, und die Menschen um ihn herum konnten ihm Fragen stellen. Heute sitzen Klimaforscher in klimatisierten Luxushotels, berechnen Wolken – während draußen jeder Mensch spürt, dass die Jahreszeiten andere sind, mit dem Wetter etwas nicht mehr stimmt. Nur ist dieses Gespür nicht das Gleiche wert. Jana Winderen stellt sich einen ganz leisen Sound im Pavillon vor, sodass die Menschen ihre Sinne öffnen müssen, dann könnten sie Korallen beim Wachsen zuhören. Sie möchte mit Oxman darüber sprechen, aber Oxman nicht mit ihr. Wir müssen zuerst entscheiden, was für Material wir verwenden, ist ihr Mantra. »Aber sieh das doch nicht als etwas Getrenntes, sieh es als etwas Zusammengehörendes«, sagt Winderen. »Was soll ich sehen?«, sagt Oxman. »Das Material und den Sound.« – »Wir kennen das Material noch nicht.« Oxman lächelt. Manchmal möchte ich die Plastikfolie herunterziehen, mit der sie sich versiegelt – aber das Schiff hält einen ja gerade davon ab. Die erste Seemannsregel kennt man instinktiv: Auf hoher See fängt man keinen Streit an. Und was wäre überhaupt unter dieser Folie?

In der Nacht werden die Wellen höher. Die »Dardanella« fährt über Berge aus Wasser, gibt dunkle, schwere Töne von sich. Neri Oxman und die spanische Studentin hängen an der Reling, nehmen Tabletten gegen Seekrankheit. Dann verschwinden sie in ihren Kabinen. Jana Winderen ist zum Sonnenaufgang wieder auf der Brücke. Während der ganzen Reise kommentiert sie das Geschehen nur einmal kurz, »immer weiter und weiter, ohne irgendetwas infrage zu stellen …«, sagt sie kopfschüttelnd, wie zu sich selbst. Sie geht ihren Weg, zeichnet vor Tagesanbruch Fledermäuse auf, die eine Zeitlang neben dem schaukelnden Schiff her fliegen. »Wenn man im Schlaf mit der Bewegung der Wellen mitgeht, fühlt man sich besser«, meint sie. »Ja«, sagt der 30-jährige Captain Brady, »du musst das umarmen, du kannst nichts dagegen tun.« Links und rechts tauchen dichter Urwald, brokkolirunde Bäume aus dem Licht. Überbordende Natur, die keine Jahreszeiten, keinen Wechsel kennt, die sich ständig selbst neu schöpft. »Auf diesen Inseln«, sagt Brady, »gibt es keine Menschen.«

Der sechste Tag. Am Mittag reisen die Studenten mit dem Korallenprofessor ab. Die Haare von James Weaver, im Laufe der Woche verwuschelt, sind wieder glatt gegelt. Es geht zurück ins Labor. Wir verbleibenden Passagiere winken dem Beiboot hinterher. »Danke für mein zweites Gehirn!«, ruft Francesca Habsburg, die ein von einem 3-D-Printer erstelltes Modell eines Polypen behalten durfte. An Bord kommt als Special Guest: Maria Wilhelm, enge Mitarbeiterin des Avatar-Regisseurs James Cameron,
Expertin für Medienstrategien. Maria ist selbst eine Art Avatar, sie sieht aus, als wäre kaum etwas an ihr nicht operiert. Sie umarmt einen herzlich; isst ausschließlich Gemüse und Salat, nur Natürliches in den künstlichen Körper. Jeder dritte Satz von ihr könnte aus einem Hollywoodtrailer stammen. Wie ein Tier auf Raubzug sei Francesca Habsburg, »ihre Beute ist das Leben«. Sie bringt Neri Oxman auf eine Idee: Man konstruiert den Pavillon aus hundertprozentig biologisch abbaubarem Material und versenkt ihn schließlich im Meer. Man gibt dem Ozean etwas zurück. Oxman: »Das gefällt mir! Eine Opferung. Ein zeremonieller Akt.«

Wilhelm: »Die Menschen hungern danach, dass ihnen jemand etwas von Bedeutung gibt.«
Oxman: »Yeah, empowerment.«
Wilhelm: »Empowerment, absolutely.«

Jana Winderen sitzt mit am Tisch: »Ja, aber das Problem ist, wir tun schon so viele Objekte ins Meer, die ganzen Schiffe, die Chemikalien, all das Zeug, das wir in die Ozeane schmeißen …« Wilhelm: »Es muss eine Art tribal momentum geben – ein Gefühl von: Ihr müsst dabei sein. Kommt von überall her, denn das wird ein Moment, der eure persönliche Geschichte definiert.« Neri Oxmans Augen leuchten. Jana Winderen steht irgendwann, unbemerkt von den anderen, auf. Diese Menschen können nicht miteinander sprechen. Es gibt keine Sprache zwischen ihnen. Weil eine Seite es nur rational versteht. Das, was der Künstler mit seinem Herzen aufnimmt, passt nicht in einen Kopf, der glaubt, jedes Problem habe eine wissenschaftliche Lösung. Der selbst Gefühle als etwas sieht, das sich berechnen lässt. Der nicht mehr friert, wenn es kalt ist. Jana Winderen geht früh schlafen. Die Crew serviert zu später Stunde Eimer voll Popcorn im Salon. Francesca Habsburg, Maria Wilhelm, Neri Oxman und andere liegen auf dem Teppichboden vor einer Großbildleinwand. Sie schauen sich einen Film an. Sein Titel: Shining. Der Boden wackelt kaum noch.

Am nächsten Tag reise ich ab. Die »Dardanella« ankert wieder in einem tropischen Paradies, in Nordpanama. Francesca Habsburg kommt mit zum Flughafen, um ihre Tochter abzuholen. Sie steigt in den Tender, das Beiboot, überall auf der »Dardanella« stehen einzelne Menschen, die uns zuwinken. Gestern meinte Habsburg, als Maria kam, lag plötzlich etwas in der Luft, ein Schöpfungsfunke vielleicht – »aber wir wissen nicht, was dabei herauskommt«. Sie ist wie ein Dalai Lama der Kunst. Sie gibt den Raum, sie gibt die Zeit. Nicht jeder kann damit etwas anfangen. Aber man sollte nicht unterschätzen, was sie tut. Selbst wenn James Weaver nur einmal nachts in Boston von den Korallen träumt, die er berührt hat, greift sie doch in seine Träume ein. Wir fahren an Inseln vorbei, wild wachsendes Grün, Francesca Habsburg jubelt durch die lauten Motoren, das Wasser schäumt, das Boot macht kleine Sprünge. Die »Dardanella« im Hintergrund wird immer kleiner und kleiner, der Tender fährt auf einen Palmenstrand zu, biegt um die Ecke, und da ist sie verschwunden. Wie eine Vision.

Fotos: Jonas Unger