Es passiert, was will man machen? Da können noch so viele US-amerikanische, europäische oder deutsche Ministerien und Organisationen forschen und seitenlange Vorgaben erarbeiten, um internationale Standards für Produkte festzulegen – und trotzdem ist die Salzstange krumm, hat oben einen Haken wie ein Spazierstock für Puppen. Millionen normierter, fehlerloser Salzstangen haben den Weg von den Fließbändern in die Packungen geschafft, und dann so was. Oder dieses Pflaster! Plötzlich fehlt ein Loch, mehr ein Löchlein, ein einziges in den Hunderttausenden von Kilometern produzierter Hautpflaster, bei denen die wie Perlschnüre aufgereihten, nur Millimeter großen Löcher, dem Verwundeten versprechen: Hier kommt Luft an dein aufgescheuertes Knie. Muss er nun leiden, weil dieses eine Loch fehlt? Medizinisch bestimmt nicht. Ästhetisch vielleicht.
Zum Glück gibt es Leute, die fehlerhafte Dinge nicht gleich wegschmeißen, die den Teebeutel mit dem viel zu langen Faden oder die Plastikgabel mit dem verkümmerten Zinken aufheben und sie an Heike Bollig schicken, eine in Berlin lebende Künstlerin, deren Werk sich um die Wahrnehmung von Fehlern aller Art dreht und eben auch um Alltagsdinge, die schiefgegangen sind. Sie sammelt sie seit 16 Jahren. Und Alex Kalman stellt sie in seinem »Mmuseumm« in New York aus. Nicht nur die Schreibweise seines Museums ist ungewöhnlich, auch die Größe: Die Kabine eines Lastenaufzugs, 180 Zentimeter lang und breit, mehr nicht, ein »Achtzehntausendstel der Ausstellungsfläche des MoMa«, schrieb die New York Times. Auf dieser winzigen Fläche stellte er beispielsweise Gegenstände aus, die Menschen bei sich trugen, als sie von der Polizei erschossen wurden. Oder jene Dinge, bei deren Produktion was schiefgelaufen ist. Manchmal, wie bei der Briefmarke der Deutschen Post von 1996, merkt man erst auf den zweiten Blick, dass sie nutz- und sinnlos ist, denn nichts gekostet, also 00 wie oben rechts aufgedruckt, hat die Beförderung eines Briefes oder Päckchens nie. Ein Muster ohne Wert für die Post, ein Sammlerstück für Heike Bollig und Alex Kalman.
Fehler sollen nicht passieren, auch wenn der Begriff »Fehlerkultur« bei vielen Firmen inzwischen Fetisch-Charakter besitzt, weil aus Fehlern angeblich alle nur lernen können. Immer sind Menschen damit gemeint, Maschinen nie. Die waren teuer, sind hochspezialisiert, haben alles auszusortieren, was nicht der programmierten Norm entspricht, kennen weder Urlaub noch Traurigkeit; und wenn alle Stricke reißen, gibt es ja noch die Qualitätskontrolle, für die meistens doch wieder Menschen zuständig sind. Und mit den Menschen ist es so eine Sache: Finden sie nicht gerade einen Glassplitter in der Tomatendose, sondern einen Lakritzkringel in der Packung, der nicht flach ist, sondern sich zu einem kleinen Hügel türmt, sind sie eher gerührt als verärgert. Für einen Moment wird ihnen warm uns Herz, und sie sind froh darüber, dass doch nicht alles perfekt ist in einer Welt, die nach Vollkommenheit strebt.