SZ-Magazin: Ihr Atelier hier im Dorf Haldenstein ist aus Lärchenlatten gebaut, die von der Witterung langsam grau werden. Was fasziniert Sie am Baustoff Holz?
Peter Zumthor: Holz ist ein fantastisches Material. Es ist noch Leben drin, es altert schön, und es ist ökologisch, wenn man lokale Hölzer nimmt. Aber ich arbeite mit allen Materialien gern, auch mit Glas und Stein. Es kommt darauf an, was die künstlerische Idee ist. Die Leinwand ist jedes Mal weiß.
Auch Ihre vielfach ausgezeichnete Caplutta Sogn Benedetg im Bündner Oberland, mit der Sie 1988 internationale Anerkennung erlangten, ist aus Holz.
Holz ist von Alters her das Baumaterial der Einheimischen. Ich wollte damit arbeiten und eine Nähe zur lokalen Baukultur herstellen. Die historischen Barockkapellen der Gegend sind Zeugnisse eines weltläufigen Baustils, bei dem man unwillkürlich an Rom denkt.
Für Ihre 2007 entstandene Bruder-Klaus-Feldkapelle in der Eifel ließen Sie ein Zelt aus Fichtenstämmen errichten, auf die Sie Stampfbeton aufbringen ließen. Die Stämme wurden danach weggebrannt. Wie kommt man auf so eine Idee?
Sie kommt einem nicht im Flugzeug von New York nach Zürich in den Sinn, das ist ein langer Entwicklungsprozess. Es fängt mit der Frage an, was heute ein Andachtsraum ist.
Sie entschieden sich für einen archaischen, oben offenen Bau.
Der Bauer, der mich beauftragte, war sparsam, er wollte keine Schalung kaufen. Dafür besaß er einen Wald, so kamen wir auf die Idee mit den Baumstämmen. Und landeten bei einem Bau, der alle Elemente vereint: Die Erde am Boden, das Wasser von oben durch den Regen, und auch das Feuer ist da: als Brandgeruch und Ruß.
Sie nahmen kein Honorar. Warum nicht?
Weder der Bauer noch ich wussten vorher, was das wird. Hätte ich das Honorar berechnet, wäre es genauso teuer gewesen wie die Kapelle selber. Da hab ich’s ihm geschenkt. Es wurden nur die Spesen in Rechnung gestellt.
Was reizt Sie an Andachtsräumen?
Kapellen sind klein, lassen viele Freiheiten, das hat mir gefallen. Wäre es um eine Kirche gegangen, hätte ich nicht mitgemacht, weil mir da durch die Liturgie zu viel vorgegeben wäre. In meinen Fällen waren es immer Einraumhäuser. Das ist eine runde Sache, wie eine Vase oder ein Krug, den man entwirft.
Spielt Spiritualität in Ihrem Leben eine Rolle?
Ich glaube daran, dass es Momente gibt, die das normale Alltagsleben transzendieren. Das erleben doch viele Menschen. In der Landschaft, in der Wüste. Oder durch Musik, natürlich auch durch Architektur. Man kann Räume machen, in denen man ein bisschen größer wird und sich aufgehoben fühlt.
Sie haben mal gesagt, Architektur sei für Sie etwas »Mütterliches«. Was meinen Sie damit?
Das Schönste an der Architektur ist für mich, dass ich mit ihr Räume schaffen kann, in denen man gerne ist. Räume mit einer spezifischen Atmosphäre, in denen man geborgen und nicht ausgesetzt ist. Das kann eine Kapelle, ein Museum oder ein Café im Trubel der Bahnhofshalle von London sein.
Warum gibt es so wenige Bauten, in denen das so ist?
Schöne Räume zu schaffen ist eine Kunst. Das ergibt sich nicht einfach so. Wo die Tür, wo das Fenster hingehört, das muss man festlegen, aber das allein ist noch keine Raumkunst. Schöne Räume zu erfinden, in denen alles stimmt, Maße, Proportionen, die richtige Menge der Materialien im Licht und im Schatten – das ist die hohe Schule. Raumkunst muss man auch wollen. In der Bauwirtschaft ist das oft schwierig, weil dafür kein Geld da ist, kein Wille oder keine Zeit – oder gar nichts davon.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie durch eine ganz normale mitteleuropäische Stadt spazieren? Fühlen Sie sich geborgen?
Im Prinzip liebe ich die Städte, obgleich sie ziemliche Geschwüre sind. Man sieht ihnen halt an, dass man nur die Infrastruktur plant und nachher die Abstände einhält, und das war’s. Früher habe ich viel geschimpft über schlechte Architektur und auch unter ihr gelitten. Das mache ich nicht mehr, denn das gibt mir nur eine miese Energie. Natürlich sehe ich die Trostlosigkeit der großen Masse der Bauproduktion, wo jeder nur auf seine Bauparzelle und deren maximale Ausnutzung schaut. Städtebau scheint ein Fremdwort zu sein. Ich muss nur hier, wo ich wohne, den Berg hinaufsteigen und auf die Stadt schauen. Ganz weit hinten in der Talenge sitzt das mittelalterliche Chur, und davor breitet sich ein konzeptloser Brei von Häusern aus, groß und klein, schräg und gerade, hoch und niedrig, Straßenführungen, die im Überblick keinen Sinn machen. Man hat den Eindruck: Wenn es um die architektonische Form der Stadt als Ganzes geht, hat sich hier niemand auch nur für fünf Rappen etwas überlegt. Vielleicht muss man den Städten die Chance geben, zwei-, dreihundert Jahre alt zu werden, vielleicht werden sie besser, wenn sie siebzehnmal umgebaut wurden.
Eine Auswahl bedeutender Zumthor-Bauten, bei denen Holz eine tragende Rolle spielt:
Caplutta Sogn Benedetg
Allmannajuvet Zinc Mine Museum
Für die stillgelegte Zinkmine in Norwegen entwarf Zumthor eine Besucheranlage mit Gaststätte und Galerie, die 2016 eröffnete.
Fotos: Aldo Amoretti
Schweizer Pavillon und Burder-Klaus-Feldkapelle
Für die Expo 2000 in Hannover ließ Zumthor auf 3000 Quadratmetern einen neun Meter hohen »Klangkörper« bauen, der aus 37 595 gestapelten Lärchen- und Föhrenbalken bestand. Der Bau war begehbar, innen traten Akkordeon- und Hackbrettspieler auf.
Foto: Kirsten Neumann/ddp images
Der Bau ist aus Stampfbeton, der auf Baumstämme geschichtet wurde. Diese löste man später durch ein dreiwöchiges Mottfeuer heraus. Die Bauherren, eine Bauersfamilie aus der Eifel, widmeten die 2007 fertiggestellte Kapelle dem Schutzpatron Bruder Klaus.
Foto: L. M. Peter/akg-images
Sie sind berühmt dafür, viel Wert auf den Kontext zu legen, in dem ein Bau entsteht. Wie baut man Häuser so, dass sie zu ihrem Ort passen?
Es muss einem wichtig sein. Man muss die Energie mitbringen, ein Gebäude zu wollen, das mitklingt in dem, was schon da ist, oder den Ort sogar verbessert. Ich finde es wichtig, die Geschichte, die in den Dörfern, in der Erde, in den Dingen steckt, zu spüren, sie aufzunehmen und weiterzuverarbeiten. Unsere Neubauquartiere sind so steril, weil es dort nichts Altes gibt. Oder das Alte war ein Bach, aber der wurde begradigt. Die Natur hätte einem Anhaltspunkte geben können zu bauen. Leider hat sich in den wenigsten Städten die ursprüngliche Natur erhalten.
Wie könnte man das ändern?
In älteren Städten – und in wenigen neuen Städten, die Glück hatten, – sieht man Parks und Alleen, gestaltete Natur. Leider gibt es selten eine Öffentlichkeit, die die von den Behörden gestaltete Natur für sich reklamiert. Vielleicht sind unserer Peripherien zu klein, um dieses Bedürfnis nach Grün in den Städten groß werden zu lassen? Hoffnung macht mir die Bewegung der Stadtgärten.
Wie erspüren Sie einen Ort, auf dem Sie bauen wollen?
Hinschauen. So wie ein Schriftsteller hinschaut, wenn er einen Roman über eine Stadt schreiben will. Was gibt es hier, woher kommt das? So kommt man zu einem Gefühl für diesen Ort. Das ist erst mal keine intellektuelle Tätigkeit. In der Regel reagiere ich auf Orte, die etwas an sich haben.
Sie sind Sohn eines Schreinermeisters. Wie prägte das Ihre Kindheit?
Mein Vater erlaubte mir, die Werkzeuge unten in der Werkstatt zu gebrauchen. Wir hatten nicht viel Geld, es wurde nicht für Spielsachen ausgegeben. So habe ich mir meine Spielsachen, Schiffe, Flugzeuge selber gebaut. Manchmal habe ich Tage, ja Wochen so für mich gearbeitet. Das war schön. Wir wohnten in Oberwil, einem Dorf an der elsässischen Grenze bei Basel. Sanft gewellte Hügel und Wälder. Die Sonne ging tief im Westen unter, nicht wie hier im Gebirge schon nachmittags.
Sie waren das älteste von acht Kindern.
Meine Eltern wollten viele Kinder, auch wenn es damals schon nicht mehr üblich war. Ich fand das gut. Wir waren eine katholische Familie, sehr respektiert.
Sie gingen später bei Ihrem Vater in die Lehre. Was hielt Sie davon ab, Schreiner zu werden?
Mein Vater war ein bisschen zu streng mit mir. So habe ich mich bald innerlich verabschiedet von der Schreinerei. Ich schätze den Beruf, aber letztlich erschien er mir zu eintönig. Es war ein hartes Leben für meinen Vater. Viel Arbeit, und reich wurde er nicht damit.
Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?
Ich habe etliche Möbel für mich gemacht. Zu jener Zeit kamen schon Einflüsse von außen: Ich las die Wohn- und Architekturzeitschriften, die mein Vater abonniert hatte. Es gab zwei, drei Figuren im Dorf, die im Gymnasium waren oder Kontakte hatten zu Designern, die mich beeinflusst haben. Die Möbel, die ich damals in meiner Freizeit gemacht habe, gibt es heute noch: Stühle, Nachttische, ein Bett, die zum Teil heute noch von meinen Kindern benutzt werden.
Statt den Betrieb Ihres Vaters zu übernehmen, zogen Sie in den Sechzigerjahren nach New York, um Design zu studieren.
Ich war zunächst auf der Kunstgewerbeschule in Basel und besuchte eine Fachklasse, in der Handwerker Grundbegriffe der Gestaltung lernten. Ein Lehrer wollte mich zu Jean Prouvé nach Paris schicken, der andere sagte Pratt Institute New York. Dort war ich dann bei den Innenarchitekten, was mir nicht gefallen hat. Der Lehrer für Industrial Design wiederum sah meine Stühle und Tische und sagte: Sie lernen bei mir nichts mehr, was Sie nicht schon können. Schließlich wollte ich dort Architektur studieren, da war ich Mitte zwanzig. Aber dann hat mein Vater nicht mehr bezahlt, und ich konnte nicht länger in New York bleiben. Rückblickend wurde mir klar, er wollte mich halt nicht verlieren. Er hoffte, ich käme doch noch zurück zu ihm.
War er trotzdem später stolz auf Sie?
Mein Vater war auch Alpinist, er ist mit 58 in den Bergen tödlich verunglückt. Er hat leider nicht mehr mitbekommen, was aus mir wurde. Schade, das hätte ihn sicher gefreut.
Sie haben dann zehn Jahre lang als Denkmalpfleger in Graubünden gearbeitet. Wollten Sie nicht mehr Architektur studieren?
Als ich zurückkam, 1967, hatte sich die Welt total verändert. Meine einstigen Kommilitonen aus Basel machten plötzlich Sit-ins und Protestaktionen. Alles, was vorher richtig war, war plötzlich falsch. Nun hieß es: Gestaltung ist nicht wesentlich, wesentlich ist, die Gesellschaft zu verändern. Gestaltung war out, auch für mich. Ich wollte was Konstruktives machen und landete über einen Freund bei der Denkmalpflege. Ich war zuständig für Bauernhäuser und Siedlungen in Graubünden.
Sie haben ganze Dörfer analysiert und inventarisiert. Was haben Sie dabei für die Architektur gelernt?
Wie man was Neues machen kann, ohne Altes zu zerstören. Es war eine tolle Arbeit. Aus dieser Zeit gibt es ein paar Bauten und Umbauten von mir, die ich nicht offiziell zu meiner Karriere zähle. Aber erst 1979 habe ich mir gesagt: Ab jetzt bin ich Architekt. Die politische Zeit war vorbei. Plötzlich war Gestaltung wieder aufregend, auch unter linken Architekten. Man wollte das Bauen nicht den Spekulanten überlassen.
»Ich bin ein stolzer Autodidakt. Ich habe Mühe mit Leuten, die mir was erklären«
Wie denken Sie heute über die 68er-Bewegung?
Gute Ideen waren das, aber das Missionarische lag mir nicht. Irgendwann war es bei mir wie mit der Religion. Ich dachte: Irgendwas stimmt hier nicht.
Viele bedeutende Architekten haben bei Meisterarchitekten gelernt. Sie nicht. Gab es trotzdem einen Meister in Ihrem Leben, dem Sie viel verdanken?
Nein. Ich bin ein stolzer Autodidakt. Ich habe nie in einem Architekturbüro gearbeitet. Ich habe Mühe mit Leuten, die mir was erklären. Ich will alles selber verstehen und selber machen, und nur das machen, was mich interessiert. So bin ich geboren. Jetzt bin ich selbst Meister.
Wie haben Sie sich als Autodidakt angeeignet, was auch ein Architekt beherrschen muss – Statik zum Beispiel?
Statik habe ich schon gelernt, als ich den ersten Stuhl oder Tisch gebaut habe. Ob was hält oder nicht oder warum es zusammenfällt, lernt man am besten, wenn man etwas mit den Händen baut. Bei einem Gebäude ist das ähnlich, nur in größerem Maßstab. Ich diskutiere auch gerne mit Ingenieuren und Haustechnikern, frage immer, wie geht das, wie machen Sie das? Alles an einem Gebäude kann man begreifen. Wenn ich das nicht kann, kann ich es auch nicht entwerfen.
Sie gelten als Perfektionist, der äußerste Sorgfalt auf Materialien und Details legt, von der Türklinke bis zur letzten Fuge. Woher kommt diese Akribie?
Ich bin wie ein Komponist, ein Maler, ein Schriftsteller, der seine künstlerische Arbeit gut machen will und sie nicht aus der Hand gibt, bis er denkt, sie stimme. Vielleicht ist diese Perfektion in der Architektur selten geworden. Für meine Arbeit ist sie wichtig.
Ihnen haftet der Ruf an, unnahbar und stur zu sein.
Wer leidenschaftlich Autodidakt ist wie ich, neigt zu einer gewissen Ungeduld. Früher war ich auch ein bisschen schüchtern. Nach außen hin mag das auf manche abweisend gewirkt haben. Da war viel Unsicherheit dabei.
Sie haben eine Kapelle auf einer Schweizer Alm gebaut, ein Mahnmalder Hexenverbrennung in Vardø an der Nordmeerküste, ein Besucherzentrum für eine stillgelegte Zinkmine in den norwegischen Bergen. Woher kommt Ihre Vorliebe für exzentrische Projekte an entlegenen Orten?
Weil es fantastische Bauaufgaben sind. Meine erste Kapelle im Oberland spiegelt mein Erlebnis in dieser Landschaft. Das Gleiche gilt für die Kapelle in der Eifel. Dort gibt es viele Barockkapellen, die frei in der Wiese stehen, vor der Tür die weidenden Kühe. Das hat mich umgehauen. Was gibt es Tolleres, als ein Objekt in die Landschaft zu stellen, das Teil dieser Landschaft wird? Egal ob in der Schweiz oder am Ende der Welt, wie in Norwegen. Da wurden 91 Menschen zu Tode gebracht, gequält und verbrannt. Diesem Ort eine Form zu geben hat mich gereizt.
Sie gelten als sehr wählerisch, was Ihre Auftraggeber angeht. Welche Projekte lehnen Sie ab?
Das sind meistens kommerzielle Projekte, wenn ich merke, man will nur meinen Namen. Ich mache nur Projekte, die eine soziale oder kulturelle Relevanz besitzen. Einfamilienhäuser baue ich schon länger nicht mehr. Das kostet zu viel Lebenszeit.
Sie könnten Projekte an Ihr Team delegieren, wie es viele Architekten machen.
Ein Büro wie Foster+Partner hat eine weltweite Struktur aufgebaut, die so etwas kann. Das ist ein Konzept, für das in erster Linie der Name Norman Foster wichtig ist. Ich finde das ein gutes Konzept, aber es entspricht mir nicht. Ich arbeite wie ein Künstler. Jedes Haus ist von mir. Aus diesem Grund kann ich nur eine bestimmte Zahl von Projekten machen. Und wenn ich irgendwann tot bin, hört dieses Atelier auf, dann gibt es keine Zumthor-Häuser mehr.
Einmal haben Sie doch noch ein Einfamilienhaus entworfen, 2013 für den Schauspieler Tobey Maguire. Warum haben Sie für ihn eine Ausnahme gemacht?
Weich geworden bin ich, weil ein Freund, der Direktor des Los Angeles County Museums of Art, meinte, ich solle einmal eine Residenz für einen Hollywoodstar bauen. Das hätten viele bedeutende Architekten gemacht, von Oscar Schindler bis Frank Lloyd Wright. Und mit Tobey Maguire kam ich auf Anhieb sehr gut aus. Nun haben sich seine Familienverhältnisse geändert, und er hat das Bauen eines eigenen Hauses verschoben.
Mehr als siebzig Projekte, die Sie entworfen haben, wurden nie realisiert. Wie sehr frustriert Sie das?
Da ich ähnlich wie ein Künstler baue, ist die Quote der nicht realisierten Projekte bei mir vermutlich höher als bei Kollegen, die eher kommerziell bauen oder eben Kompromisse machen. Es ist, wie es ist. Mein Atelier ist nicht darauf ausgelegt, reich zu werden und beständig zu wachsen.
Viele Ihrer Auftraggeber sind ausgestiegen und machten zu hohe Kosten geltend. Zu Recht?
Ich hatte mal einen tollen Bauherrn für ein Luxushotel in der Atacama-Wüste in Chile. Ein wohlhabender, gebildeter Typ, mit dem ich gut ausgekommen bin. Zwei Jahre lang planten wir den Entwurf. Dann stieg ein Freund von der Harvard Business School bei ihm ein, und eine Woche später war das Projekt tot. Zu teuer, zu wenige Zimmer, hieß es auf einmal. Ähnlich ging es mir oft, weil ich eben unkonventioneller baue. Natürlich bin ich dann sehr enttäuscht und denke: Ihr habt nicht recht, der Harvard-Typ hat nicht recht, das wäre ein Erfolg geworden! Alle Dinge, die ich bauen durfte, waren erfolgreich. Selbst dort oben in Nordnorwegen hat ein stillgelegtes Hotel wiedereröffnet, weil immer mehr Touristen kamen. Und so war es auch mit der Therme Vals.
»Als Zwanzigjähriger glaubt man, die Welt mit ein paar Häusern aus den Angeln heben zu können«
Eine Ihrer größten Niederlagen war das Aus Ihres Entwurfs für das NS-Dokumentationszentrum in Berlin, das schon im Bau war und 2000 gestoppt wurde – aus Kostengründen. Sie sind später nach Berlin gereist, um sich den Abriss zweier bestehender Türme anzusehen. Warum haben Sie sich das angetan?
Weil ich nicht glauben konnte, dass es wirklich passiert. Heute würde ich vermutlich nicht mehr hingehen. Damals wollte ich einfach mit meinen eigenen Augen sehen, ob es wirklich wahr sein kann, dass eine große Stahlkugel etwas zerstört, was wir mit Leidenschaft und Hingabe entworfen hatten.
Was haben Sie aus dieser Erfahrung gelernt?
Dass es Historiker gibt, für die Geschichte nur aus Büchern besteht. Historische Quellen sind aber nicht nur aus Papier. Auch Orte, auch die Dinge sind Quellen. Ich wollte in Berlin zum Beispiel einen freigelegten Zellenboden des ehemaligen NS-Reichssicherheitshauptamtes zeigen, im Eingang. Der Boden existierte noch von damals. Das ist für mich auch Geschichte. Man wollte aber alles ganz didaktisch haben, mit Schautafeln und Texttafeln. Mein Konzept, das NS-Gebäude dort sprechen zu lassen und mit meinem Gebäude einen baukünstlerischen Kommentar dazu zu geben, nannten die Historiker eine »unzulässige Dramatisierung« der Geschichte. Das hat wehgetan. Seit wann darf man Geschichte nicht künstlerisch kommentieren?
Als junger Mann wollten Sie die Gesellschaft verändern. Was macht für Sie heute gute Architektur aus?
Als Zwanzigjähriger glaubt man, die Welt mit ein paar Häusern oder mit den richtigen Ideen aus den Angeln heben zu können. Mit fortschreitendem Alter wird man Realist. Ich muss meine Kräfte einteilen und weiß, was ich bewirken kann: natürlich nur ganz wenig. Dafür scheue ich keine Liebe, keinen Aufwand bei meinen Projekten. Neulich sagte ein Vertreter der Stadt zu mir: Ihre Häuser sind modern und volksnah zugleich. Das gefällt mir. Man braucht keinen Kritiker, um meine Häuser zu verstehen.