Vermutlich wird es so ablaufen am kommenden Dienstag um zehn Uhr Ortszeit im Steve-Jobs-Theatre: Apple-Chef Tim Cook wird von einer Seite der Bühne zur andern schleichen und wieder zurück. Irgenwann wird er den berühmten »One more thing«-Satz aufsagen, den er von seinem Vorgänger geerbt hat. Das Publikum wird in einer Art von pawlowschen Reflex die Handykameras in die Höhe reißen, die Displays werden glühen in der Dunkelheit des Saals und irgendwie wird es so ähnlich aussehen wie in dem Superbowl-Werbespot aus den frühen 80er-Jahren, in der Apple mit zahlreichen gar nicht mal subtilen Anleihen bei George Orwell vor der Gehirnwäsche durch das damals übermächtige IBM warnte. Dann werden die Lichter angehen und nichts mehr wird sein wie es einmal war. Kein Knopf wird auf dem anderen bleiben.
Noch ist das alles freilich nicht bestätigt, es ist sogar vielmehr geheim. Doch wenn die Technik-Propheten recht behalten mit dem was sie aus den Fußnoten der Verschwiegenheitserklärungen und geleakten Nachrichten aus südchinesischen Handyfabriken herausdestillieren und hineininterpretieren, dann kommt das neue iPhone, das vielleicht iPhone 8 oder iPhone Pro oder iPhone X heißen wird, ohne einen Home-Button aus. Also ohne den großen, den einzigen Knopf, der bis dahin bei jedem Modell unten mittig platziert war. Damit verschwindet jener Kreis, den heute jedes Kind in ein beliebiges Rechteck malt und danach behauptet, es hätte ein Handy gezeichnet.
Dabei gibt es inzwischen sogar Modelle der Konkurrenz, die diesen Schritt bereits vollzogen haben. Apple sieht sich auf einmal in der Rolle des Verfolgers. Vor zehn Jahren, als Steve Jobs das erste iPhone vorstellte, war das noch anders: Ein Telefon ohne Tasten war ein radikaler Neuentwurf. Mobiltelefone gab es bis dahin beinahe ausschließlich mit Hardwaretastatur, so wie jene Modelle, die heute in der Abteilung Senioren-Handy im Elektromarkt verstauben. Manche konnte man auf- und wiedereinklappen, es gab ausschiebbare Tastenflächen und manchmal sogar gekrümmte, so dass sie entfernt an eine Wählscheibe erinnerten. Damals wurde mit Handys nicht durch Wischen und Streicheln interagiert, da wurde auf die Tasten gehämmert und geflucht, wenn sich mal wieder eine verklemmt hatte. Am Ende hat keiner dieser Knöpfe überlebt, bis auf den einen, den letzten. Ein Knopf, sie zu knechten, alles zu finden...
Dabei war der Home-Button nie einfach nur ein Stückchen Plastik in einer Skulptur aus Glas und Metall. Er war ein Versprechen. Drück den Knopf und Du kommst, na ja, zurück nach Hause eben. Wenn man sich mal wieder in dem zehnten Untermenü verfranst hat und kurz davor war, die Eingabesprache unabsichtlich auf Mandarin-Chinesisch umzustellen? Einfach einmal drücken. Wenn man im Netz die Orientierung verloren hat und mal wieder ein halbes Dutzend Pop-Up-Werbungen auf das Display einprasseln? Einmal drücken und schon ist wieder der vertraute Start-Bildschirm zu sehen. Es gab keinen Fehler, der mit dem Home-Button nicht verhindert werden konnte. Er ist unser Anker in die Realität. Der Zuhause-Knopf verhindert, dass wir uns im Zeitalter des Smartphones noch mehr selbst verlieren als von besorgten Psychiatern und geschäftstüchtigen Ratgeberbuch-Autoren ohnehin schon diagnostiziert wird.
Was wird Apple stattdessen anbieten? Und was werden unzählige Technologieunternehmen dem Marktführer dann in den nächsten Jahren nachmachen? Von Gestensteuerung, die den letzten physischen Knopf ersetzen soll, ist in den Gerüchteküchen der Tech-Blogs zu lesen. Und auch von einer dramatisch verbesserten Kamera, die die Gesichtsausdrücke ihrer Nutzer noch besser interpretieren könne. Lächeln? Mehr Tabs öffnen! Heruntergezogene Mundwinkel? Abschalten!
Apple hat in seiner Formfaktor-Manie schon seit langer Zeit versucht, dem Smartphone jede noch so kleine Ecke und Kante abzufeilen. Bei der letzten Generation musste der altbekannte Kopfhöreranschluss weichen und jetzt eben der Zuhause-Knopf. Alles wird dem Ziel untergeordnet, noch mehr Displayfläche zu schaffen, auf dass unsere Gadgets dann bald endgültig so aussehen, wie es die Requisiteure früher Science-Fiction-Serien phantasiert haben.
Muss man das gut finden? Eigentlich nicht. Früher war die Beziehung des Menschen zu seinen Geräten ja beneidenswert einfach gestrickt: Knopf drücken. An, aus. Ja, nein. Lämpchen leuchtet grün oder rot. Ein kleines Bisschen dieser binären Logik hat es sogar ins digitale Zeitalter geschafft: Betrachtet man mal eine Computer-Tastatur abseits von A-Z und 0-9, gibt es da viele Tasten mit verheißungsvollen Namen. Sie heißen Escape, Pause, Alternate, Ende oder Pos1. Ist es nicht bezeichnend, dass all diese Dinge darauf ausgerichtet sind, dem Nutzer einen Neuanfang oder zumindest ein bisschen Übersicht zu gewähren und die Überforderung für einen kurzen Moment zu lindern? So dass er nur ein einziges Mal noch kurz Luft holen kann, bevor dann das ewige Toben und Tosen der digitalen Welt weitergeht.
Illustration: Thomas Kartsolis