Mit dem Spiegel kann man nicht nur das eigene Aussehen kontrollieren, sondern sich auch wunderbar von der Familie abschirmen.
Territorium, sagen die Psychologen. Dass es ums Territorium geht, das allererste eigene im Leben. Einen Ort, an dem man denken, träumen, sumpfen, sich ausdrücken kann. Und in Ruhe gelassen wird von den Eltern, Lehrern und sonstigen Erwachsenen. Deswegen hängt ja das Schild an der Tür. Mittlerweile schon das dritte. Das erste bat noch: Bitte klopfen. Das zweite sagte: Zutritt für Erwachsene verboten. Das dritte ist ein Totenkopf. Demütigend, obwohl es auch rührend ist. Aber ein Schlüssel, wie ihn das Kind will, steht außer Diskussion. Was denn, wenn ein Feuer ausbricht? So ein Kerzenunfall ist schnell geschehen. Und so weit kommt’s noch, dass zu Hause Türen abgeschlossen werden, mal abgesehen vom Bad. Auch wenn man manchmal stundenlang wartet, bis man endlich unter die Dusche darf.
Wahrscheinlich hat man keine andere Wahl. Junge Menschen brauchen ihre Freiräume, das war schon in der eigenen Jugend so. Aber ist es denn wirklich nötig, dass ein Freiraum so aussieht? Mit Zebrateppich, Pace-Fahne, Salzkristalllampen, überall diesen Aufklebern, sogar auf dem Laptop? Mit diesem gebrochenen Skateboard, in irgendeine Ecke gepfeffert? Und den Sportschuhkartons?
Das Kind, für das man immerhin noch die Verantwortung hat, braucht ja eine Lernumgebung. Sonst wird das nichts mit dem Abi und einem Notenschnitt, der zu anderen Studiengängen berechtigt als, sagen wir, Münzenkunde oder Kultur-Management. Helle freundliche Farben, klare Linien, Struktur. Ein Raum, in dem man denken kann. Statt von Reizen überflutet zu werden. Es muss doch wuschig machen, wenn man ständig Rihanna in Hotpants im Blick hat. Oder eine Sammlung leerer Energy-Drink-Dosen. Und dieser tote Gangster-Rapper ist wohl auch kein geeignetes Vorbild. Bei aller Toleranz: So geht das nicht.
Was sonst nicht geht: die Klamottenhaufen auf dem Boden. Gibt es überhaupt noch einen Boden? Dass die DVDs alle so herumkugeln, statt wieder in die Verpackung zu kommen. Der Handabdruck auf der Wand. Das Baustellenlicht. Die leeren Eisteepackungen. Weil das erstens das reinste Chaos, zweitens unhygienisch, drittens geschmacklos ist. Und weil es keine Mühe kostet, das halbwegs in Ordnung zu halten. Wozu hat man diese Trödelverwahrboxen angeschafft? Und wenn einem all diese Dinge so ungemein kostbar sind, dass niemand auch nur in ihre Nähe darf, könnte man auf sie achtgeben, sollte man meinen. Dann gingen sie auch nicht ständig verloren.
Neulich wollte das Kind, dass man sein Handy vom Festnetz aus anruft, damit es das in seinem Saustall wiederfindet. Irre. Völlig normal, sagen die Psychologen. Und dass man sich solchen Installationen nicht wie ein Erziehungsberechtigter nähern sollte, sondern wie ein Ethnologe, der eine fremde Lebensform studiert. Gucken Sie doch auf die biografischen Schichtungen, raten sie. Da ist immer noch die Geige, der alte Kuschelteddy, die Fotos von dem Urlaub damals mit Oma und Opa. Das müsste einen doch davon überzeugen, dass es immer noch das eigene Kind ist, das da wohnt. Es häutet sich gerade. Sucht sich. Wird zu einem Menschen, der sein Leben selbst regelt, statt bei jedem Aua auf den Arm zu wollen. Verständlich, dass man in so einer Lage oft übertreibt. Wie sonst sollte man seinen Eltern mitteilen, dass man kein Kind mehr ist? Etwa mit einem Brief, in dem steht: Liebe Mama, lieber Papa, ich werde jetzt erwachsen?
Eltern sagen, man könnte seine Stifte mal nach Farben sortieren. Aber was geht das eigene Zimmer die Eltern schon an?
Teenager haben keine Zeit, sich für ihre Eltern zu interessieren. Sie interessieren sich dafür, ob sie beliebt genug sind, was die anderen hinter ihrem Rücken über sie tuscheln, ob ihre Brüste und Penisse normal sind oder wie sie es schaffen, im Sommer nicht wieder nach Dänemark mitzumüssen. Deswegen ist es kein persönlicher Angriff, dass ihr Zimmer so aussieht, wie es aussieht. Sondern Ausdruck von Zeitmangel. Und einer Persönlichkeit, an der man keinen Anteil mehr hat.
Auch das ist sehr einleuchtend. Es wäre nur schön gewesen, wenn man ein wenig mehr Zeit gehabt hätte, sich darauf einzustellen. Aber das Kind wurde praktisch über Nacht so aggressiv anders. Plötzlich brauchte es einen nicht mehr. Dabei stünde man zur Verfügung, wie man immer zur Verfügung gestanden hat, ist doch klar. Will es nicht. Tut so, als wäre man eine Belästigung, wenn man sich Sorgen macht, weil es seit Tagen so totenstill ist, wo sonst immer Indie-Rock war. Oder wenn man im Kleiderschrank nachgucken will, ob da vielleicht Motten sind. Man darf nicht einmal in seiner Abwesenheit kurz stoßlüften, um diesen Geruch von zehn Lagen Deo über zwei Tagen Achselschweiß endlich loszuwerden. Mein Zimmer geht euch nichts an, hat das Kind gesagt. Aber du gehst uns etwas an, du bist doch unser Kind. Keine Antwort.
Es beginnt jetzt damit, sich vom Elternhaus zu lösen, sagen die Psychologen. Es muss seinen eigenen Lebensstil experimentell ermitteln. Irgendwann muss es doch damit beginnen. Besser früh als nie. Außerdem geht das wieder vorbei. Wie auch Tim Bendzko, die Mangas, die Ponyposter, die Pokémonkarten, der reiselustige Hase Felix und die Windpocken vorbeigegangen sind.In ein paar Jahren ist es so weit. Dann steht das Kinderzimmer leer, man könnte ein Daybed und ein Zimmerfahrrad hineinstellen. Und die Wohnung hätte endlich wieder dieselbe Anzahl von Räumen wie beim Einzug.
Noch so etwas, bei dem einem die Psychologen nicht helfen werden.
Fotos: Rania Matar und Fabian Zapatka