Nachdem wir es erfahren hatten, traten wir hinaus in den Januarmorgen von Innsbruck, auf der einen Seite erhob sich der Patscherkofel, auf der anderen die Hafelekarspitze. Die Luft war klar und kalt. Oleg Velyky war tot. Wir waren zu dritt, Sportjournalisten, die gekommen waren, um über die Handball-EM 2010 zu berichten. Wir nahmen die Nordkettenbahn – Zug, große Gondel, kleine Gondel – bis hinauf zur Hafelekarspitze. Bald standen wir in gut 2000 Meter Höhe und schauten auf dieses Winterwunderland, und nachdem wir es lang genug angeschaut hatten, erzählten wir uns Geschichten von Oleg.
Oleg Velyky war einer der besten Handballer der Welt. Im September 2003 erfuhr er, dass er Hautkrebs hatte. Er wurde operiert, erfolgreich, wie es schien, es folgte eine 18 Monate währende Therapie. Als damals, am Tag der Diagnose, der Gedanke aufkam, er könnte nie wieder Handball spielen, da hat Velyky, wie er einmal sagte, »diesen Gedanken wieder weggeschmissen«.
Er wurde in der Ukraine geboren und ist 2004, als Todgeweihter, Deutscher geworden, auch weil er im internationalen Handball endlich etwas gewinnen wollte. 2005 hat er bei der WM in Tunesien für Deutschland gespielt, als das Team sich im Umbruch befand und nichts gewinnen konnte. Danach verletzte er sich immer genau dann, wenn ein großes Turnier anstand. 2008 kam der Krebs zurück. Seine Mitspieler schwärmten stets: Oleg in Form – das sei der mit Abstand beste Mann des Teams. Die deutschen Handballer haben ihn schnell aufgenommen, weil er zum einen ein ruhiger, angenehmer Mensch war und weil er zum anderen auf dem Parkett die erstaunlichste Mischung aus Kämpfer und Künstler war.
Handball ist ein sehr harter Sport, und Velyky konnte nicht nur die Härten mit Leichtigkeit wegstecken, er konnte diesem kantigen Spiel Eleganz verleihen. Der Bundestrainer Heiner Brand erzählte einmal, wie er Velyky im Jahr 2000 zum ersten Mal spielen sah, damals noch für die Ukraine, und wie Velyky den damals schnellsten Handballer der Welt nicht nur stehenließ, sondern austanzte.
Nachdem der Krebs zurückgekommen war, versuchte Velyky erneut, den Gedanken ans Ende wegzuschmeißen. Viermal spielte er noch für seinen Club, den HSV Hamburg, einmal, vom Krebs gezeichnet, vor rund 10 000 Zuschauern, die sich erhoben und applaudierten, weil sie an das Wunder glaubten. Das Wunder ist nicht geschehen, Velyky starb im Alter von 32 Jahren in der Nacht vom 22. auf den 23. Januar 2010; er war zum Sterben in die Ukraine gereist, seine Heimat.
Auf der Hafelekarspitze waren wir die einzigen Menschen, die keine Ski, kein Snowboard, nicht einmal einen Schlitten dabeihatten. Als Einzige trugen wir keine bunten Jacken. Es war ein guter Ort, um zu trauern.
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