Die Geschichte von Daisy und Toni

Im tiefsten Bayern leben zwei Prinzessinnen, glücklich und zufrieden. Ihr Leben lang sind sie beieinandergeblieben, bis heute gehen sie fleißig ihrer Arbeit nach: die Schwestern Thurn und Taxis. Besuch bei einem ungewöhnlichen Paar.


Im Wald südlich des Starnberger Sees sind sie seit ihrer Kindheit zu Hause: die Schwestern Margarethe (l.) und Antonia von Thurn und Taxis.

Wären sie ein Ehepaar, würden sie Kronjuwelenhochzeit feiern, 75 Jahre teilen die beiden nun Haus und Hof. Aber sie sind kein Ehepaar, sondern Schwestern. Prinzessin Antonia ist 75, Prinzessin Margarete 78 Jahre alt, sie sind geborene von Thurn und Taxis, und für Schwestern, auch wenn sie das ganze Leben beieinandergeblieben sind, gibt es keine Jubiläen.

Am Sonntagmittag um 12 Uhr parkt Prinzessin Antonia den dunkelblauen BMW vor der »Schlossgaststätte Hohenberg«. Die Prinzessinnen kommen gern früh, bevor die Autos aus ganz Bayern vor der Tür stehen und es in der Stube so voll ist, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Das Gasthaus ist gut besucht, dabei kommen die Leute nicht wegen der Prinzessinnen, die wenigsten wissen überhaupt, dass sie hier leben. Die Ausflügler kommen, weil die Landschaft rund um die Osterseen und südlich des Starnberger Sees so wild und schön und einzigartig ist. Moorwiesen und kleine Seen, sanfte Hügel von einem tiefdunklen Grün, die der Würmtal-Gletscher in der letzten Eiszeit geformt hat, Mischwälder, Buchen mit Kronen so breit, dass fünfzig Kühe darunter Schatten finden.

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Oberhalb der Wirtschaft, umgeben von dichtem Wald und von der Straße nicht zu sehen, liegt Schloss Hohenberg. Dort sind die Prinzessinnen auf die Welt gekommen, und dort haben sie die meiste Zeit ihres Lebens verbracht, bis sie den Besitz 1999 ihrem Neffen und Patenkind vermachten, Emmeram Prinz von und zu Liechtenstein, dessen Mutter auch eine Thurn und Taxis war: die Schwester von Johannes, Glorias Mann. Für ihre alten Tage haben sie sich am Waldrand ein Austragshäusl gebaut, aus Hohenberger Holz; es war immer ihr Traum, in einem Holzhaus zu leben.

Die Prinzessinnen nehmen in ihrer angestammten Ecke Platz, Antonia wie immer rechts von Margarete. Prinzessin Antonia, zuständig für die Konversation, gibt die Worte der Kellnerin an ihre Schwester weiter: »Möchte sie Kalbszunge probieren?« Die beiden siezen sich. »Es ist das kleine Sie«, erklärt Antonia, »man spricht miteinander in der dritten Person. ›Gibt sie mir mal bitte das Salz?‹ Aber das gibt es nur noch in der engsten Verwandtschaft.«

Prinzessin Margarete bleibt beim Tafelspitz, keine Experimente bitte. Wenn die Schwestern erzählen, wie sie stets in aller Herrgottsfrühe aufgestanden sind und lange schon verlernt haben auszuschlafen, ergänzen sie sich gegenseitig, ständig. Und führen vor, wie man sich unterbricht, ohne sich ins Wort zu fallen, so eingespielt sind sie. Sie nennen sich Toni und Daisy; Daisy ist der englische Name für die Margaretenblume.

Antonia:
Als der Vater gestorben ist, hat Daisy den Jagdschein gemacht, die Jagd und die Landwirtschaft übernommen, ich habe den Forst gemacht. Sie ist ja schon in aller Früh auf die Jagd gegangen.
Margarete: Ich musste um vier Uhr im Wald sein. Und dann heim, und die Landwirtschaft ist angegangen. Kuhstall, Viecher melken. 25 bis 30 Stück Kühe, entsprechend Jungvieh. Und Pferde. Vater hat fast alles mit Pferden gemacht.
Antonia: Der Wald ist nicht so groß, 105 Hektar. Ich bin rausgegangen zum Holzmessen.
Margarete: Sie hat die Bäume ausgesucht, die geschlagen wurden.
Antonia: Und dann hab ich das Holz ausgerechnet und mit den Käufern verhandelt.
Margarete: Der Vater wollte den Wald haben wegen der Tiere. Er wollte sie anschauen, nicht jagen.
Antonia: Mit Gästen ist er oft rausgegangen, um ihnen ein Reh zu zeigen oder einen Fuchs.
Margarete: Man lebt ja hier und sieht die Kitze auf der Wiese herumsausen. Die möchte man nicht gern schießen.

Antonia: Daisy hatte jemanden mit zur Jagd, er hat die Kitze und Geißen schießen müssen. Wie die Mutter 1991 so krank geworden ist, konnte Daisy nicht mehr jagen.
Margarete: Die Mutter war zwei Jahre bettlägerig, man musste sie aus dem Bett heraus- und hineinheben, das ging nur zu zweit. Da habe ich die Jagd verpachtet.
Antonia: In den zwei Jahren hatten wir nicht eine Minute jemanden Fremden da, haben alles ganz allein gemacht.
Margarete: Eine 30 Meter lange Schnur mit einer Glocke daran haben wir uns in den Garten gelegt. Dass wir’s hören konnten, wenn sie geläutet hat. Und dann sind wir gesaust.
Antonia: Die Mutter hatte einen Herzinfarkt – und Herzwasser.
Margarete: Am Schluss ist das Wasser nicht mehr weggegangen.
Antonia: Wir haben ihr versprochen, dass sie in kein Altersheim oder Pflegeheim muss.

Margarete: Wir hingen an den Eltern und hätten uns ein Leben anders nicht vorstellen können. Die Frage hat sich natürlich gestellt: Wenn eine von uns heiraten würde, wo blieben da die Eltern?
Antonia: Daisy war mal verlobt.
Margarete: 1960 war das, und 1961 wieder entlobt.
Antonia: Es war nie der Richtige.
Margarete: Weil alle anders waren. Alle nicht so wie wir.

Antonia: Wir sind wirklich unkompliziert. Die Leute meinen immer: »Ui, die Prinzessinnen.« Und wenn sie uns dann kennen: »Ach, die sind ja gar nicht so.«
Margarete: Wir sind mit den Bauernkindern in die Schule gegangen, sind aufgezogen worden wie auf dem Bauernhof. Da leben die Alten auch noch zusammen. Wir sind nicht lang gefragt worden, wir haben’s gemacht.
Antonia: Den Haushalt haben wir immer zusammen erledigt.
Margarete: Toni macht kalte Küche, Salate und Suppen.
Antonia: Daisy die Braten. Und backt.
Margarete: Nur keine Weihnachtsplätzchen. Die bekommen wir immer von den Frauen unserer Holzhauer. Jedes Jahr.

Antonia: Aber jede hat auch ihren Beruf gehabt. Darauf hat der Vater bestanden. Ich bin Damenschneidermeisterin. Sie ist Säuglingskrankenschwester. Ich war zwei Jahre in München, habe im Modesalon genäht.
Margarete: Der Bruder ist Kunstschlossermeister, konnte mit der Landwirtschaft nichts anfangen.
Antonia: Der Vater ahnte, dass er verkaufen würde, und hat uns gefragt, ob wir weitermachen täten, und wir haben gesagt: »Freilich.« Im Testament hat er uns Hohenberg dann vererbt.
Margarete: 1964, da war ich 31. Vaters Heiligtum – das wäre gar nicht gegangen für uns, das herzugeben.

»Wir wollten nie hier weg«


Ein Foto zur Feier der Silberhochzeit, 1954: Philipp Ernst Prinz von Thurn und Taxis mit seiner Frau, Prinzessin Eulalia, in der Mitte die blonde Margarete
und die dunkelhaarige Antonia, rechts im Bild Sohn Albert.

Der Vater, Philipp Ernst Prinz von Thurn und Taxis, kaufte Schloss Hohenberg 1931. Er war das jüngste der acht Kinder von Albert Fürst von Thurn und Taxis und Fürstin Margarete. Bis auf den ältesten Sohn, der Schloss Emmeram in Regensburg erbte, wurden die Kinder ausbezahlt und verdienten sich ihren Lebensunterhalt dann mithilfe ihres Besitzes.

Prinz Philipp war erst 21, als er im September 1929 Prinzessin Eulalia, genannt Illa, heiratete. Dem ging ein Eklat voraus, denn Illa war eigentlich seinem älteren Bruder versprochen, sie liebte aber Philipp und gestand das dem Vater, Fürst Albert, unmittelbar vor der angekündigten Hochzeit. Fürst Albert war von ihrem Mut und ihrer Geradlinigkeit beeindruckt und erlaubte ihr, nach Ablauf einer Frist Philipp zu heiraten.

1930 kam Sohn Albert auf die Welt, die Töchter wurden im Schloss geboren, Margarete 1933 und 1936 Antonia. Die Familie lebte von der Land- und Forstwirtschaft und der Pacht aus der Gastwirtschaft. Es war eine Kindheit wie in Bullerbü, so schildern es die beiden Prinzessinnen, aber verwöhnt wie Prinzessinnen in Büchern wurden sie nicht. Morgens um sieben stapften sie los, fünf Kilometer liefen sie bis zur Schule in Seeshaupt, und wenn die Kinder der Wirtsleute an dunklen Wintermorgen quengelten: »Heute ist es so kalt, können wir nicht daheimbleiben?«, dann sagten ihre Eltern: »Wenn die Prinzessinnen in die Schule gehen, müsst ihr auch in die Schule gehen.« Und die Prinzessinnen gingen zur Schule – auch wenn es so kalt war, dass ihnen Eiszapfen von der Mütze ins Gesicht hingen.

Nachmittags halfen sie dem Vater das Heu einbringen, den Mist herausfahren, das Eis schneiden und zum Eiskeller fahren, Bäume ausrücken, alles machte er mit seinen Kaltblutpferden. Der Vater, erzählen die Prinzessinnen und glühen vor Stolz, konnte alles. Er hatte eine Holzwerkstatt und eine Eisenwerkstatt, sogar seine Pferde beschlug er selbst. Eines Tages kam ein Journalist und sollte eine Reportage schreiben über den Prinzen und Bauern. »Den Bauern könnt ihr haben«, soll der Vater gesagt haben, »den Prinzen nicht.«


Wie immer sitzen Prinzessin Antonia und Prinzessin Margarete unterm Kruzifix in der »Schlossgaststätte Hohenberg«. Fürs Foto trinken sie Wasser, in Wahrheit gibt es mittags Weitweinschorle.

Margarete: Es ist eigentlich immer klar gewesen: Wir wollten nie hier weg.
Antonia: Die Familie war das Wichtigste.
Margarete: Wir haben unsere Eltern gepflegt, wie wir vorher die Großmütter gepflegt haben, bis sie gestorben sind.
Antonia: Daisy hat auch die Kinder der ganzen Familie auf die Welt gebracht. Ein Jahr ist sie bei den Babys geblieben, in München, Vorarlberg, Niederösterreich, am Achensee. Die wollten sie gar nicht mehr weglassen. Sie hat jede Menge Patenkinder.
Margarete: Eine Cousine ist nach Hohenberg gekommen, weil ich nicht mehr wegkonnte, und hat ihr Kind hier gekriegt.
Antonia: Da war der Vater schon krank. Voller Metastasen. Ich habe ein kleines Atelier zu Hause gehabt und für Kunden genäht, aber Daisy musste ran, die Landwirtschaft übernehmen.

Margarete: Als der Vater gestorben ist, standen wir fest im Betrieb. Unser Motto war: Nie einen Pfennig Schulden machen.
Antonia: Und wir haben bis heute nicht einen Pfennig Schulden gemacht.
Margarete: Eine Marotte haben wir geerbt, von der Mutter: Die Speisekammer muss voll sein, falls man mal einschneit.
Antonia: Man hat sich ja früher sonst alles geborgt. Wenn jemand den Vater nach dem Traktor gefragt hat, hieß es: »Kommst halt und holst ihn dir.« Unser Vater hat jedem geholfen. Die Dachstühle ringsherum sind alle aus Hohenberger Holz.

Immer reden sie vom Vater, dem bewunderten. Wie er nach dem Krieg, als neunzig Leute in Hohenberg lebten – es ging lustig zu, und im Wirtshaus wurde gefeiert –, einer Malerin mit ihren beiden Kindern den Schafstall gab, weil nicht mal mehr ein Kämmerchen frei war. Die Malerin wohnte 40 Jahre lang im ausgebauten Stall, ohne Strom, von Schwermut und Schicksalsschlägen gebeutelt, aber eine andere Bleibe kam für sie nicht infrage. »Und wenn es ihr gut ging, malte sie die schönsten Landschaftsbilder«, sagt Prinzessin Margarete.

Prinzessin Antonias Gesicht ist offen und sehr faltenfrei für ihr Alter, die grauen Haare sind in weicher Welle aus der Stirn gekämmt, ein dezentes Rot färbt ihre Lippen. Prinzessin Margaretes Stimme kratzt von vielen Zigaretten der Marke Lord Extra, ihre kurzen Haare stehen hoch, die Augenbrauen sind dicht und schwarz, und so borstig wie sie selbst ist auch ihr Humor. Sie sind also gegensätzlich, die Schwestern, aber sie sind sich auch ähnlich, mit den Schlupflidern, die sie von der Mutter geerbt haben. Vor allem aber in ihrem Bestreben, das Vermächtnis des Vaters zu erfüllen und Hohenberg zu erhalten. Dafür haben sie gearbeitet wie Männer, sie haben es geschafft, nun dürfen sie verschnaufen und selbst zum alten Eisen gehören.

Antonia: Wir sind auch nicht mehr so doll beieinander.
Margarete: Wir sind schön lädiert, alle beide. Toni hat alles voller Ersatzteile, zwei Knie, eine Hüfte. Mir haben sie alles rausgeschnippelt, Krebs, im Stillstand. Doch keiner weiß, wie lange.
Antonia: Wir lassen uns nicht unterkriegen. Wenn jemand fragt: »Wie geht’s?«, sagt Daisy …
Margarete: … »Gut.« Was soll ich denn sonst sagen?
Antonia: Wenn man »Schlecht« sagt, dann geht es einem sofort schlecht.

Fotos: Bert Heinzlmeier