Die graue Effizienz

Na servus: Alois Glück geht in den Ruhestand. Ohne ihren heimlichen Parteichef wird die CSU bei der Wahl im Herbst ganz schön alt aussehen.

Alois Maier ist ein Mensch, der den Lauf der Welt schon immer aus übergeordneter Perspektive betrachtet hat. Genauer gesagt von 1674 Meter Höhe aus, denn so hoch oben liegt das Hochfellnhaus, wo Maier seit seiner Geburt vor 67 Jahren lebt. Politiker teilt der hagere Hüttenwirt mit dem verbuschten Bart in zwei Gruppen ein: Da gibt es die anderen, das sind allesamt Leute von mehr oder weniger zweifelhaftem Ruf. Und da gibt es noch seinen Namensvetter Alois von der CSU, der obendrein sein Stammgast ist. »Für mich ist er der Größte«, sagt Maier.

»Der hat so was Beruhigendes, der ist a richtiger Analytiker.« So sitzt Alois Glück an diesem Sommerabend am Kachelofen des Hochfellnhauses. Im karierten Hemd und wasserdichter Hose, das Gesicht rot glühend. Klein, zäh und pumperlgesund, wie es auf Bairisch heißt. Kurzum: Glück sieht aus wie einer, der einen Nagel in die Wand schlagen kann, was sich nur von wenigen Politikern behaupten lässt. Den Hochfelln hat er im lockeren Schritt genommen, obwohl er 68 ist und bald Pensionär. Sein Zukunftsplan: »Ich werde weiter schlau daher-reden, aber nicht mehr verantwortlich sein.« Zufrieden grinst Glück in die Runde. Gut sechs Wochen noch hat er vor sich, dann scheidet er aus dem Landtag aus und beendet nach 38 Jahren seine Karriere als nunmehr dienstältester Parlamentarier Deutschlands. Ein Einschnitt für die CSU, in der bayerische Politiker alten Schlages auch nicht mehr auf den Bäumen wachsen. Im Gipfelhaus erklärt Glück den mitgereisten Journalisten ein letztes Mal die politische Lage.

Die war in seinen Augen schon immer ziemlich ernst und kompliziert, aber auch nie ganz hoffnungslos. Die Welt als solche macht bei Glück stets »ein Stück Veränderungsprozess« durch, legt »schwierige Wegstrecken« zurück, wobei der CSU die Aufgabe zukommt, ins allgemeine Durcheinander »das C und das S hineinzubuchstabieren«, damit die Menschen wieder wissen, woran sie sich halten sollen – im Zweifel an die CSU.

In Bayern hat das mit dem Hineinbuchstabieren bisher immer gut funktioniert, weshalb Glück an diesem Abend eine gewisse Grundzuversicht ausstrahlt, dass die CSU auch nach der Landtagswahl am 28. September allein weiterregieren wird. Andererseits lässt Glück auch einen Anflug von Lustlosigkeit erkennen, nachdem er seine Grießnockerlsuppe gelöffelt hat: Er würde jetzt wohl lieber den Musikanten zuhören und mit Hüttenwirt Alois plaudern, als Hintergründiges zu formulieren. Nur so viel noch: Der Wechsel von Stoiber zu Beckstein und Huber sei »jetzt auch ein Stück Veränderungsprozess«, sagt Glück. Womit er hundertprozentig recht hat.

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In der CSU hat mittlerweile der Prozess seiner Seligsprechung begonnen. Aber nicht etwa, weil Glück 15 Jahre lang Fraktionsvorsitzender war und zuletzt Präsident des Bayerischen Landtags. Dem Kabinett gehörte er lediglich zwei Jahre als Staatssekretär an und in der Bundespolitik spielte er so gut wie keine Rolle; in der Hauptstadt wirkte er geradezu als Exot, mit seiner erdschweren Art. Dennoch stand er in der internen CSU-Hierarchie jahrelang gleich hinter Edmund Stoiber.

Und auf eine bestimmte Weise war und ist Glück ihm sogar überlegen: Im Gemütsleben der Partei verkörpert er den tugendhaften Menschen schlechthin. Er gilt als der Anti-Söder, der gute Mann aus dem Dorf Hörzing, der Großmeister des Vor-, Nach-, Quer- und Irgendwiedenkens. Yoga praktiziert er auch noch, und das seit 40 Jahren. »Die engagierte Gelassenheit«, sagt er, »die war meine Lebensphilosophie.«

Kann so jemand überhaupt Feinde haben? Gibt es irgendeinen Menschen in Bayern, der Glück nicht leiden kann? Wo doch sogar Sepp Daxenberger von den Grünen über ihn sagt: »Zu dem habe ich mich immer gern dazugesetzt und übers Bergsteigen geredet. Der ist ein einfacher, natürlicher Mensch geblieben.

«Der Bayerische Landtag vor der Sommerpause: Glück leitet seine letzte Plenarsitzung. Das Haar diesmal akkurat gescheitelt, feines Schuhwerk statt Bergstiefel. Eine SPD-Abgeordnete referiert gerade über die Kopfprämie zur Kindertagesbetreuung. Nur eine Stunde noch, dann wird Landtagspräsident Glück seine Schlussansprache halten und darin feststellen, dass die Wegstrecke der nächsten zehn Jahre noch anstrengender werde und in weltweiten Zusammenhängen tief greifende Veränderungen bevorstünden.

Draußen vor dem Plenarsaal hadert ein CSU-Hinterbänkler mit seinem Schicksal. »Ich habe immer gesagt, dass ich überhaupt nichts sage«, murmelt er, sichtlich bemüht, seinen Frust niederzukämpfen. Dann aber bricht es doch aus ihm heraus: Der Glück, der sei ein Fraktionschef gewesen, der immer seine Lieblinge gehabt habe. Und nachtragend sei er auch gewesen. »Aber der ist jetzt weg«, sagt der Abgeordnete und macht dazu eine wegwerfende Geste. »Ich habe einen Strich drunter gezogen.«

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Ein Fraktionskollege raunt auf dem Gang, der Glück zeichne sich durch die alttestamentarische Strenge derjenigen Menschen aus, die von ganz unten kommen.)

Ein Fraktionskollege raunt auf dem Gang, man solle das jetzt bitte nicht falsch verstehen, aber der Glück zeichne sich durch die alttestamentarische Strenge derjenigen Menschen aus, die von ganz unten kommen.
Ganz unten, das ist in diesem Fall ein Bauernhof im oberbayerischen Chiemgau, auf dem Alois Glück am 24. Januar 1940 zur Welt kam. An seinen Vater, der 1944 in Frankreich fiel, hat er keine Erinnerungen mehr.

Dafür an die amerikanischen Tiefflieger, an die Nachkriegszeit mit den Flüchtlingen, an die geschlossene katholisch-bäuerliche Welt in Hörzing, in der das Leben vorbestimmt war: Mit 17 musste er den elterlichen Hof übernehmen. »Ich hatte keine unbeschwerte Jugend«, sagt Glück. Ausgerechnet der Kirche verdankt er es, dass ihm schließlich der Ausbruch aus der allzu engen Heimat gelang: 1964 wurde Glück zum Landessekretär der katholischen Landjugend gewählt, 1965 zog er nach München. »Einfach vom Bauernhof weggehen, das war nicht die Normalität.«

Aber der große Einschnitt in sein Leben sollte erst noch kommen. Im September 1966 wurde sein Sohn Thomas geboren. Nach einer Impfung erkrankte das Kind an Gehirnhautentzündung und trug schwerste Behinderungen davon. »Das war prägend für meine Weltsicht, für mein Interesse an den Schwachen«, sagt Glück mit belegter Stimme, die erahnen lässt, wie belastend das Leben für ihn oft war. »Es hat mich aber davor bewahrt, nur die Welt der Öffentlichkeit zu sehen.« Thomas blieb ein Pflegefall – bis heute.

Noch unter Strauß war Glück 1988 zum CSU-Fraktionschef aufgestiegen. Den politischen Durchbruch hatte zwei Jahre zuvor ein Auftritt im Landtag gebracht, als er nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor einer Fixierung auf die Kernenergie warnte. Ein Tabubruch. Doch Franz Josef Strauß gratulierte ihm danach per Handschlag. Es war der Anfang seiner Karriere als »Vordenker der CSU«, wie er seitdem bei jeder Gelegenheit genannt wird.

Nun gut, der Alois. Edmund Stoiber muss einen Moment lang nachdenken, bevor er langsam einen Satz formuliert: »Der Alois war immer ausgleichend, hintergründig – und sehr grundsätzlich.« Das ist geradezu milde formuliert. Als Stoiber noch Innenminister unter Max Streibl war, hatte er es anders ausgedrückt: »Diese ewige Nachdenklichkeit ohne Ergebnis!« Wohl selten zuvor war in der deutschen Politik ein so ungleiches Paar so lange zur Zusammenarbeit verdammt wie Stoiber und Glück. Hier der hypernervöse Edmund, da der zögerliche Alois. Stoiber hatte dauernd Ideen und Glück dauernd Bedenken. Stoiber hat reformiert und Glück den größten Unsinn verhindert. Gerade deswegen waren sie miteinander erfolgreich. Ein sehr gutes Gespann seien sie gewesen, sagt Glück. Wobei er sich hierin mit Stoiber ausnahmsweise mal einig ist.

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Was hätte er alles werden können: Regierungschef, bayerischer Superminister. Aber er wollte nicht. »Ich habe den Preis dieser Ämter gescheut«, sagt er. Irgendwann hat Glück gemerkt, dass er kein Mann fürs Regieren ist, sondern ein Debattierer und politischer Streuner, der immer wieder allein durch die Berge wandert, um sich seine Grundsatzpapiere auszudenken. Die sind im Kern oft bayerisch-katholische Weltbetrachtungen, selbst wenn sie sich den ganz großen Zusammenhängen widmen. Besonders sein Konzept der »Aktiven Bürgergesellschaft«, an dem er jahrelang gearbeitet hat, erinnert an die Beschreibung eines idealtypischen Dorfs, in dem sich alle gegenseitig unterstützen. Das spricht zwar nicht gegen das Konzept, es erklärt aber, warum Glücks Einfluss doch auf Bayern und die CSU beschränkt geblieben ist.

Im Palais Montgelas, einer feinen Adresse am Münchner Promenadeplatz, gilt er indes als unbestrittener Visionär. Drinnen sind die Wände dunkel getäfelt, draußen parken die Porsches in der zweiten Reihe. »Sie sind der wichtigste Vordenker der Politik aus christlich-sozialer Wurzel«, schmeichelt Alfred Bayer in seiner Vorrede. Vor mehr als zwei Jahrzehnten war Bayer einmal Staatssekretär unter Helmut Kohl. An diesem Abend darf er für das Peutinger-Collegium – eine Honoratioren-Vereinigung – den Festredner Alois Glück ankündigen. »Sie haben auch Sexbücher geschrieben, trotz der unglaublichen Belastung«, verhaspelt sich Bayer im Überschwang – obwohl er doch eigentlich »sechs Bücher« gemeint hat.

Danach ist es vorbei mit der Heiterkeit, denn Glück spricht mit seiner typisch knarzenden Stimme zum Thema »Wege in eine zukunftsfähige Kultur«, über soziale Unruhen, Rohstoffkrisen und Erderwärmung. Ein düsteres, aber auch sehr Glück’sches Szenario. Eine Bußpredigt geradezu. Das Publikum scheint schwer beeindruckt zu sein, obwohl nach einer Dreiviertelstunde die Herren auf den Sitzen herumrutschen. Sie dürfen sich noch auf viele solcher Zukunftsschauen gefasst machen: Denn Glück hat Energiemangel, Klimaveränderung und Ernährung als die zentralen Herausforderungen der nächsten Jahre entdeckt – auch für sich. Die CSU, sagt er, müsse darauf eigenständige Antworten geben. Ein paar davon wird er sich als Chef der CSU-Grundsatzkommission ausdenken. Irgendwo zwischen dem Hinteren Kraxenbach und der Haidholzen-Alm, wenn er wieder im Morgengrauen loszieht. Ganz allein.

Peter Rigaud (Fotos)